Verbraucherschützer verklagen Daimler: Was Mercedes-Kunden die neue Klage bringt
Nach Volkswagen soll jetzt auch Daimler für Abgasmanipulationen haften. Worum es geht, wen es betrifft und wie man mitmachen kann.
Nach dem Massenverfahren gegen Volkswagen gehen Verbraucherschützer im Dieselabgasskandal jetzt gegen den nächsten Autobauer vor: Am Mittwoch reichte der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) eine Musterfeststellungsklage gegen Daimler beim Oberlandesgericht Stuttgart ein. „Wir schlagen ein weiteres Kapital im Dieselskandal auf“, sagte VZBV-Vorstand Klaus Müller in Berlin.
Die Klage soll Daimler-Kundinnen und -Kunden die Möglichkeit geben, bei einem Erfolg des Musterverfahrens später Schadensersatz für die Abgasmanipulationen einzuklagen. Zudem können Verbraucher mit der Teilnahme an der Musterklage verhindern, dass mögliche Ansprüche zum Jahresende verjähren.
Worum geht es bei der Klage?
Die Verbraucherschützer werfen Daimler vor, bewusst Abgaswerte bei Dieselfahrzeugen manipuliert zu haben. Mit verschiedenen Abschalteinrichtungen habe der Hersteller dafür gesorgt, dass Autos auf den Prüfständen die zulässigen Grenzwerte einhalten, um die die nötige Typengenehmigung zu erhalten. Auf der Straße habe der Ausstoß von Abgasen aber deutlich über den Grenzwerten gelegen.
Ist das nicht dasselbe wie bei VW?
Das neue Musterverfahren ist deutlich komplizierter als das Verfahren gegen VW. Bei Volkswagen hatten sich die Verbraucherschützer gemeinsam mit dem ADAC gegen die Abschalteinrichtung des Dieselmotors EA189 gewandt. „Im Unterschied zu Volkswagen steht bei Daimler statt einer Abschaltvorrichtung ein ganzes Sammelsurium an Manipulationsvorwürfen im Raum“, betont Müller.
Bei Daimler sei das System „erheblich ausgereifter als bei anderen Herstellern“, kritisiert auch Rechtsanwalt Christian Grotz von der Anwaltskanzlei Stoll&Sauer, die bereits an der Musterklage gegen VW beteiligt war.
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Worum dreht es sich konkret?
Die Verbraucherschützer orientieren sich an den amtlichen Rückrufen des Kraftfahrtbundesamts (KBA). Die Behörde hatte in Deutschland insgesamt rund 254.000 Daimler-Modelle wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen zurückgerufen. In seiner neuen Musterklage hat sich der VZBV, der dieses Mal ohne den ADAC vorgeht, den Motortyp OM651 herausgepickt.
Konkret geht es um fünf Modelle des Mercedes-SUV GLK und zwei weitere des GLK-Nachfolgers GLC. Die Geländewagen kosten rund 40.000 Euro. Betroffen sind in Deutschland rund 50.000 Autos. Drei Dinge nehmen die Verbraucherschützer in den Fokus: einen Speichermodus, der die Einspritzung von Adblue-Harnstofflösung und damit den Stickoxid-Ausstoß regelt, die Abgasrückführung und die Kühlmitteltemperaturregelung in den betroffenen Fahrzeugen. Mit der Musterfeststellungsklage soll festgestellt werden, dass diese Techniken rechtswidrig sind, Daimler sittenwidrig und vorsätzlich gehandelt hat, betont Müller.
Bei der Musterklage geht es ausdrücklich nicht um das sogenannte Thermofenster. Diese Technik definiert einen Temperaturbereich, in dem die Abgasreinigung reduziert oder gar abgeschaltet wird. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat bereits mehrfach durchblicken lassen, dass der Einbau eines solchen Thermofensters allein keinen Grund für Schadensersatz liefert. Am Dienstag wird es dazu ein Urteil des höchsten deutschen Zivilgerichts geben.
Was sagt Daimler zu den Vorwürfen?
Daimler bestreitet, rechtswidrig gehandelt und Verbraucher geschädigt zu haben. „Wir halten die in Dieselklagen gegen uns geltend gemachten Ansprüche für unbegründet und werden uns weiterhin dagegen zur Wehr setzen – auch im Rahmen einer möglichen Musterfeststellungsklage“, sagte ein Unternehmenssprecher auf Anfrage. Gegen die Rückrufbescheide des KBA geht der Konzern juristisch vor. In den USA hat Daimler jedoch im vergangenen Jahr umgerechnet rund zwei Milliarden Euro Schadensersatz wegen des Abgasskandals gezahlt.
Wie entscheiden die Gerichte?
Daimler sieht sich in Deutschland juristisch gut gewappnet und verweist auf die bisherige Klagebilanz für seine Dieselmodelle. In den bisherigen Einzelklagen hätten die deutschen Land- und Oberlandesgerichte in rund 95 Prozent der Fälle zugunsten des Unternehmens entschieden, heißt es. Auf Ebene der Landgerichte gebe es über 10.000 Klageabweisungen zugunsten Daimlers, nur rund 600 Fälle seien für die Kläger ausgegangen. An den Oberlandesgerichten seien es 500 Entscheidungen für und nur zwei gegen den Konzern. Diese Zahlen beziehen sich auf alle Diesel, nicht nur auf die vom VZBV angegriffenen Modelle. Zu diesen ist eine vierstellige Zahl von Verfahren anhängig.
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Anwalt Christian Grotz hält das jedoch für nicht stichhaltig. Viele Landgerichte seien mit der komplexen Thematik schlicht überfordert. Ob Verbraucher vor Gericht Erfolg haben, hänge davon ab, wie dezidiert man seine Punkte vorträgt.
Für VZBV-Chef Müller ist die neue Musterklage daher auch ein Beitrag zur Entlastung der Landgerichte, weil nun bestimmte Fragen grundsätzlich geklärt werden. Zudem hoffen die Verbraucherschützer im Prozess auf Akteneinsicht in die Rückrufbescheide des KBA.
Erst VW, jetzt Daimler und dann?
Dass sich der VZBV jetzt auch Daimler vorknöpft, sei „nur fair“ gegenüber VW, meint Müller. Gegen Volkswagen hatte der VZBV 2018 das erste Musterfeststellungsverfahren in der kurzen Geschichte des jungen Rechtsinstruments eröffnet. 2020 einigten sich die Verbraucherschützer mit den Wolfsburgern auf Schadensersatz. Die rund 245.000 Kunden, die sich wirksam am Verfahren beteiligt hatten, bekamen zwischen 1350 und 6250 Euro.
In einem anderen Verfahren entschied der BGH später, dass VW seine Kunden mit dem Einbau der Abschaltsoftware systematisch und sittenwidrig getäuscht hat. Die Eigentümer konnten ihre Dieselautos zurückgeben und bekamen den Kaufpreis ersetzt, allerdings mussten sie Abzüge für die Nutzung der Autos hinnehmen.
Auch im Fall von Daimler kann sich VZBV-Chef Müller einen Vergleich vorstellen. Man sei aber auch bereit, die Sache bis zum BGH auszufechten. Ob man später auch gegen andere Hersteller wie BMW vorgehen will, ließ Müller offen.
Welche Vorteile haben die Kunden?
Wer an der Musterfeststellungsklage teilnimmt, verhindert, dass mögliche Ansprüche verjähren. Die Autos wurden 2018 vom KBA zurückgerufen, daher droht die Verjährung zum Ende dieses Jahres. Zudem würden Verbraucher von einem möglichen Vergleich mit Daimler profitieren. Sollte es einen solchen nicht geben und sollte letztlich der BGH zugunsten des VZBV entscheiden, können die Menschen, die bei dem Musterverfahren mitmachen, in Anschlussprozessen leichter Schadensersatz einklagen.
Wie kann ich mich beteiligen?
Die Teilnahme am Musterverfahren ist kostenlos. Es können allerdings nur Privat-, keine Geschäftsleute mitmachen. Ob Sie die Voraussetzungen erfüllen, sich zu beteiligen, können Sie hier in einem Check erfahren. Auf der Seite Musterfeststellungsklagen.de können Sie auch einen Newsalert aktivieren, der Sie über alle Entwicklungen auf dem Laufenden hält.
Darin erfahren Sie auch, ab wann Sie sich für eine Teilnahme registrieren lassen können. Dazu ist nämlich ein Eintrag im entsprechenden Klageregister beim Bundesamt für Justiz nötig. Ein Register für den neuen Daimler-Fall gibt es aber noch nicht. Da die Musterklage erst am Mittwoch eingelegt worden ist, werden wahrscheinlich noch einige Wochen vergehen.
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