Gespräch mit dem neuen Gasag-Chef: Was kommt nach dem Gas?
Der Energiemanager Georg Friedrichs setzt auf Partnerschaften für eine klimaneutrale Energieversorgung in Berlin - und auf Wasserstoff.
Georg Friedrichs braucht nicht unbedingt die Impulse der eigenen Kinder, um an einer klimaneutralen Energieversorgung zu arbeiten. Der Gasag-Chef kocht gerne und berücksichtigt am Herd die Vorlieben der Familiemitglieder. Ein Kind ernährt sich vegetarisch, wegen der Tiere und wegen des Klimas, erzählt Friedrichs, der seine Karriere fossilen Energieträgern verdankt. Nach mehr als zwei Jahrzehnten bei Vattenfall, wo er sich mit dem Ausstieg aus der Kohle befasste und den ersten Offshore-Windpark baute, hat er es jetzt mit Gas zu tun. „Das Geschäft mit fossiler Energie ist endlich“, sagt Friedrichs im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Wann das Ende kommt und welcher Stoff anstelle des Gases die Berliner Wohnungen und Büros heizt, weiß derzeit kein Mensch.
Drei Konzern im Streit
Die Gasag und ihre rund 1400 Mitarbeiter haben wilde Jahre hinter sich. Das hängt weniger mit Energiewende und Klimaschutz zusammen als mit dem Berliner Senat und den Gasag-Eigentümern Eon, Vattenfall und der französischen Engie. Die Zickereien der drei Konzerne gipfelten in einem Konsortialvertrag, mit dem sich Vattenfall und Engie gegen Eon verbündeten und mit dem die Konsortialpartner die Eon-Vertreter aus dem Aufsichtsrat werfen könnten. Bevor es dazu kam, hat man sich vertragen. Das verbessert auch die Verhandlungsposition gegenüber dem Senat.
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Die Berliner Landespolitik wiederum, die vor gut 20 Jahren die landeseigenen Energieversorger Bewag und Gasag privatisiert hatte, ist auf Rekommunalisierungskurs. Es war eine energiepolitische Sensation, als die beim Finanzsenator angesiedelte Vergabestelle die Konzession zum Betrieb des Gasnetzes 2014 nicht der Gasag zuteilte, sondern der landeseigenen Berlin Energie. Die war in jener Zeit nicht viel mehr als eine Briefkastenfirma, die allein zum Zwecke der Übernahme des Gasnetzes gegründet wurde. Die Gasag klagte gegen die Vergabe.
Niederlage für den Berliner Senat
Im vergangenen März endete der siebenjährige Rechtsstreit mit einem Paukenschlag vor dem Bundesgerichtshof: der Berliner Senat wurde verurteilt, die Konzession sofort der Gasag zu geben. Kaum waren die Champagnerflaschen in der neuen Gasag-Zentrale auf dem Euref- Campus ausgetrunken, als der nächste Knaller das Unternehmen schüttelte. Die Eigentümer setzten nach nur drei Jahren Vorstandschef Gerhard Holtmeier ab und beriefen Friedrichs zum Nachfolger. Holtmeier war den Konzernbossen zu eigensinnig gewesen und hatte viel Geld für Akquisitionen gezahlt. Und bei der Verschlankung der Gasag war Holtmeier nach Einschätzung von Vattenfall, Eon und Engie zu langsam. Das mittelständische Unternehmen habe einen Wasserkopf wie ein Konzern, grummelte es im Aufsichtsrat. Georg Friedrichs soll es besser machen.
Gas ist endlich
Die Laufbahn des 52-jährigen Juristen begann in der Rechtsabteilung der Bewag. Friedrichs leitete unter anderem die Unternehmensentwicklung der deutschen Vattenfall und führte die Geschäfte der Windenergie. „Die Branche wurde komplett auf links gedreht“, blickt er zurück auf die vergangenen 20 Jahre. Mit dem Green Deal, dem Fit-for-55-Programm der EU und den neuen Regierungen in Bund und Land kommt ab Herbst frischer Schwung in den Klimaschutz. Seine Aufgabe an der Gasag-Spitze sei es, „die Transformation zu organisieren“. Weg vom Gas, hin zum Wasserstoff – das ist die große Linie.
„Unsere Kernkompetenz ist Wärme“, sagt Friedrichs. An das 14 000 Kilometer lange Berliner Gasnetz sind 346 000 Häuser angeschlossen. Und die werde noch lange mit Gas beheizt werden. Eon hat für Essen den Verzicht durchgespielt: Heizung ohne Gas treibe die Kosten und belaste vor allem ärmere Haushalte. Wasserstoff werde in absehbarer Zeit für andere Anwendungen gebraucht, die Dekarbonisierung der Stahl- und Zementindustrie, Schwerlastverkehre und die Luftfahrt.
"Der Wärmemarkt ist spät dran"
„Was die Energiewende und die Klimaneutralität betrifft, ist der Wärmemarkt sehr spät dran“, sagt der Gasag-Chef. Das sieht man in der Hauptstadt. Knapp zwei Drittel der Berliner Gebäude werden mit Öl oder Gas geheizt. „Im Berliner Gebäudebestand haben wir eine Sanierungsquote von 0,8 Prozent im Jahr. Wenn das in dem Tempo weitergeht, brauchen wir mehr als 100 Jahre“, sagt Friedrichs im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Derzeit entwickle er eine Strategie, „um die Gasag Schritt für Schritt klimaneutral zu machen“. Das löst indes nur einen winzigen Teil des Problems, denn „97 Prozent der CO2-Emissionen entstehen bei unseren Kunden“, denen die Gasag wiederum als Energiedienstleister bei der Reduzierung ihres CO2-Footprints hilft.
„Ein großer Teil der CO2-Reduzierung wird im Keller stattfinden, also bei der Heizung“, sagt Friedrichs und plädiert für Technologieoffenheit. „Eine erzwungene Verengung auf bestimmte Technologien können wir uns bei der Dimension der Aufgabe nicht leisten.“ In der Stresemannstraße betreut die Gasag ein Projekt, in dem 30 Prozent der Energie aus Geothermie stammt; den Euref-Campus in Schöneberg mit inzwischen rund 5000 Arbeitsplätzen versorgt die Gasag klimaneutral mit Bio-Methangas aus Schwedt.
Gegen das Misstrauen
„Wir brauchen grüne Gase, denn man kann nicht alles mit Strom machen“, ist der Gasag-Chef überzeugt. „Die Frage ist offen, wie viel Wasserstoff in den Wärmemarkt kommt.“ Und was für Wasserstoff das sein wird. Nur grüner Wasserstoff aus erneuerbarer Energie ist ein knappes Gut, grauer Wasserstoff aus Gas wird von Klimaschützern abgelehnt. „Es gibt das Misstrauen, dass unsere Infrastruktur zu lange für Gas oder auch für grauen Wasserstoff genutzt werden könnte. Das ist eine Klippe, über die wir hinüber müssen“, sagt Friedrichs. Fridays for Future ist für ihn „eine wirklich beeindruckende Bewegung, die sich aber auch Gedanken machen muss über die Umsetzung“.
Friedrichs selbst wirbt für ein partnerschaftliches Miteinander von Politik, Unternehmen und Klimaschützern. Anders sei die „monströse Aufgabe“ nicht zu bewältigen. „Einige Akteure mit einer starken politischen Agenda haben gleichzeitig Misstrauen gegenüber den Unternehmen, die es für die Klimawende braucht. Wir müssen uns das Vertrauen erarbeiten.“ Das traut er sich zu, indem er „Brücken schlägt zwischen dem System Wirtschaft und dem System Politik“.
Keine Sorge um die Gasag
Sein Unternehmen sieht er vor einer ungewissen aber sicheren Zukunft. „Die Gasag wird stabil bleiben, weil die gesellschaftliche Aufgabe so groß ist. Es gibt für alle genug zu tun.“ Schließlich müsse in den nächsten Jahrzehnten nach der Kohle mit dem Gas ein weiterer Energieträger ersetzt werden. Wie das genau geschieht, kann auch Friedrichs nicht sagen. „Wir haben noch keine feste Investitionsplanung für Wasserstoff, dafür fehlt es schlichtweg noch am technischen und regulatorischen Regelwerk.“