Politik-Gipfel "Agenda 2017" beim Tagesspiegel: Was im Wahljahr wichtig wird
Was drängt auf die Agenda der Politik? Beim dritten Politik-Gipfel des Tagesspiegels diskutieren Experten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.
Die Politik-Konferenz "Agenda 2017" - bereits der dritte Tagesspiegel-Gipfel in diesem Format - hat am Mittwoch einen komprimierten Ausblick auf das kommende Jahr geboten: In wenigen Minuten präsentieren Verbandsvertreter jeweils ihre wichtigsten Forderungen, die anschließend vom Publikum bewertet werden. Was ist relevant? Was ist politisch durchsetzbar? Auf der Agenda stehen die Themen Energie, Umwelt und Agrar, Innenpolitik und Integration, Wirtschaft, Verkehr und Digitales sowie Gesundheit, Demografie und Soziales. Es diskutieren Experten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, die den politischen Prozess gestalten. Hier ein Überblick über die Debatten des Tages.
Energie, Umwelt und Agrar: Lieber CO2-Preis statt Umlage
Die hohen Steuern und Abgaben auf Strom behindern den Umbau Deutschlands in Richtung Klimaneutralität. Diese These vertraten mehrere Experten, zum Beispiel Rainer Baake (Grüne), Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Der Stromverbrauch müsse steigen, vor allem im Verkehr, der seit 1990 keine Verringerung seiner Emissionen geschafft habe. So hatte Norbert Theihs mit seiner Forderung einen Abstimmungserfolg, die EEG-Umlage durch eine andere Finanzierung der erneuerbaren Energien zu senken. Das Publikum bescheinigte dieser Forderung unter allen Vorschlägen der Diskutanten die höchsten Chancen auf Realisierung. Auch Hermann Albers, Vizepräsident des Bundesverbandes Erneuerbare Energie, forderte, die Stromsteuer durch einen Preis auf den CO2-Ausstoß zu ersetzen.
Julia Verlinden, energiepolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, verlangte einen nationalen CO2-Mindestpreis. Der europäische Emissionshandel wirke nicht so, dass die Vorgaben des Pariser Klimaabkommens eingehalten werden könnten. In Deutschland sollte jedes Kohlekraftwerk ein jährliches Budget für den CO2-Ausstoß zugewiesen bekommen. Dann könnten die Betreiber selbst entscheiden, wann der Betrieb am sinnvollsten ist.
Hubert Weiger, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz, bekam vom Publikum attestiert, dass seine Forderung dem Gemeinwohl am stärksten nütze: Er sprach sich dafür aus, die Agrarpolitik ökologisch zu gestalten und die Tierhaltung konsequent am Tierwohl auszurichten. Ein Drittel der heimischen Tier- und Pflanzenarten sei akut gefährdet. Ein Hauptursache dafür seien die umweltschädlichen Subventionen. Bernhard Krüsken vom Bauernverband forderte mehr Flächen für klimaneutrale und nachwachsende Rohstoffe.
Dass der Klimaschutz auch viel mit dem Wohnungsbau zu tun hat, machte Michael Knipper, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der deutschen Bauindustrie, deutlich. In Deutschland würden mindestens 60 000 Wohnungen pro Jahr zu wenig gebaut. Deshalb müsse schneller und billiger gebaut werden, vor allem durch Häuser in Großserie. Doch durch immer höhere Wärmeschutzstandards werde das Bauen immer teurer, kritisierte Knipper. "Das ist ein Zielkonflikt. Wir bekommen beim Klimaschutz eine immer schlechtere Kosten-Nutzen-Relation."
Auch Hans-Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, warnte vor einer Belastung seiner Branche durch die deutsche Politik. Die Stahlindustrie dürfe nicht durch nationale Zusatzabgaben belastet werden, sonst sei sie international nicht mehr wettbewerbsfähig. Die Energieeffizienz in dieser Industrie sei bereits hoch, doch jetzt stießen weitere Verbesserungen an technologische Grenzen.
Innenpolitik und Integration: Den Staat stärken
Der Staat hat kein Recht auf Schwäche, er hat die Pflicht zur Stärke. Mit dieser These fand Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der deutschen Polizeigewerkschaft, die größte Zustimmung beim Publikum. Angesichts der massiven Zuwanderung im vergangenen Jahr erweise es sich als „fatale Fehlentscheidung“, den Bürger immer mehr zum Kunden und das Gemeinwohl zum Produkt zu machen – und zugleich Personal abzubauen, etwa bei der Polizei. „Gemeinwohlorientierung kann nie wirtschaftlich oder gar gewinnbringend sein“, warnte Wendt. Die Integration der Geflüchteten brauche nicht nur Personal, sondern auch klare, sichtbare Regeln, sagte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds.
„Politik muss nach außen deutlich machen, dass sie steuert.“ Entstehe der Eindruck, dass man die Probleme nicht im Griff habe, schüre man in der Bevölkerung Angst vor Überforderung. „Man kann froh sein, dass die Flüchtlinge in Bayern und nicht in Berlin angekommen sind“, sagte Landsberg. Die Hälfte des Personalabbaus bei der Polizei sei auf die Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Berlin entfallen, gab Wolfgang Bosbach, Innenpolitiker der CDU/CSU, zu bedenken. „Der Staat hat die Verpflichtung, Behörden so personell und materiell auszustatten, dass sie ihre Aufgaben wahrnehmen können.“
Wirtschaft, Verkehr und Digitales: Das schnelle Internet ausbauen
Der schnelle Ausbau der digitalen Infrastruktur steht ganz oben auf der Wunschliste der Wirtschaftsverbände und Unternehmen. „Bis 2025 muss die Gigabit-Infrastruktur flächendeckend und bedarfsgerecht ausgebaut sein“, sagte Iris Plöger, Abteilungsleiterin Digitalisierung, Innovation und Gesundheitswirtschaft beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Ob Industrie, Handel oder Selbstständige – die Klage, dass Deutschland beim schnellen Internet großen Nachholbedarf hat, ist allerorten zu hören. „Wir brauchen eine Infrastruktur auf Spitzenniveau, die so selbstverständlich angebunden ist wie das Straßennetz“, sagte auch Claudia Große-Leege, Geschäftsführerin des Verbands deutscher Unternehmerinnen (VDU). Dabei ist auch beim Ausbau der Verkehrswege noch viel zu tun. Thomas Hailer, Geschäftsführer des Deutschen Verkehrsforums, sprach sich für die Fortsetzung des Investitionshochlaufs im Straßenbau aus, wie er im Verkehrswegeplan der Bundesregierung festgelegt wurde. Die geplanten Ausgaben von 12 bis 13 Milliarden Euro in die Fernstraßen könnten aber nur ein Anfang sein. "Es muss Geld draufgelegt werden", sagte Hailer. Aber: Nicht das Geld ist momentan das Problem, sondern die fehlenden Planungskapazitäten. Hailer begrüßte deshalb die Einrichtung einer Infrastrukturgesellschaft. Dass die Digitalisierung Arbeit schafft, hob Bernhard Rohleder hervor, Hauptgeschäftsführer des IT-Verbandes Bitkom. Entsprechend gut müssten aber die Menschen für das neue digitale Industriezeitalter 4.0 ausgebildet werden. Rohleders Forderung: Das Kooperationsverbot, das Bund und Ländern verbietet, bei der Bildung zusammenzuarbeiten, abschaffen.
Jeden Dienstag erscheint im gedruckten Tagesspiegel der "Agenda"-Teil mit Hintergrundgeschichten aus dem Politikbetrieb in Berlin und Brüssel. Lesen Sie hier eine Auswahl an Geschichten.
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