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Protest. Am Freitag gingen bundesweit Siemensianer auf die Straße, in Berlin allein 750.
© AFP

Siemens streicht rund 900 Stellen in Berlin: Was für ein Schlag

Der Stellenabbau bei Siemens trifft viele Mitarbeiter hart – er ist aber auch für Berlin eine schlechte Nachricht.

Es klingt wie Hohn in den Ohren der Betroffenen: Am vergangenen Donnerstag noch forderte Siemenschef Joe Kaeser einen „respektvollen Umgang mit den Interessen der Mitarbeiter“ sowie „Solidarität aller Beteiligten“ – und eine Woche später streicht er fast 3500 Arbeitsplätze in Deutschland, 870 davon am größten Produktionsstandort Berlin. Kaesers Bemerkung auf der Bilanzpressekonferenz, auf der er glänzende Geschäftszahlen präsentierte, sollte wohl ein menschliches Signal in die Belegschaft senden: Wir Siemensianer halten zusammen, auch wenn der Wind von vorne kommt!

Geglaubt hat es kaum jemand, denn der Wind im Kraftwerksgeschäft ist längst zum Sturm geworden, und die Appelle Kaesers kommen zu spät. Seit Monaten schon hatten die Mitarbeiter in den Werken der Kraftwerks- und Antriebssparte Angst um ihre Jobs, seit Monaten gingen Gerüchte um, Siemens müsse mangels Nachfrage die Gasturbinenproduktion radikal zurückfahren. Kaeser hat es in der Öffentlichkeit laufen lassen und damit den seit Jahren schärfsten Konflikt mit der Belegschaft provoziert. Dem Konzern steht nun ein frostiger Winter bevor.

Die Erosion der industriellen Basis geht weiter

Schmerz und Empörung über den Personalabbau sind am Traditionsstandort Berlin mit 11 500 Siemensianern besonders groß. Für die Stadt insgesamt kommt die Nachricht ebenfalls zur Unzeit. Gerade erst ist Air Berlin abgestürzt; Hunderte, vielleicht Tausende Arbeitsplätze gehen verloren. Mehr als 200 Stellen will auch der chinesische Eigentümer der früheren Osram-Lampensparte in Berlin streichen, wie er erst Anfang dieser Woche ankündigte. Der Verlust industrieller Arbeitsplätze in der Hauptstadt (100 000 allein nach der Wende) setzt sich fort, die Erosion der industriellen Basis geht weiter.

Sie nagt an der positiven Entwicklung, die Berlin anderswo nimmt: als Start-up-Metropole, Tourismus-Magnet, Dienstleistungsstadt, Immobilien-Hotspot. Die Berliner Wirtschaft wächst und mit ihr die Zahl der Beschäftigten, sogar dynamischer als im Rest der Republik. Aber wie solide, wie nachhaltig ist dieses Wachstum, wie sicher sind die Jobs?

Weniger Arbeitsplätze mit Tariflöhnen

1000 Industriearbeitsplätze weniger bedeuten 1000 Arbeitsplätze weniger mit Tariflöhnen, geregelter Arbeitszeit, Altersvorsorge, Fachkräfte-Know-how. Auch deshalb hat die Politik, haben der Regierende Bürgermeister und die Wirtschaftssenatorin gut daran getan, den Dax-Konzern Siemens an seine Verantwortung zu erinnern. Geholfen hat auch dieser Appell gleichwohl wenig.

Politisch interessant und brisant ist der Fall Siemens auch, weil der Konzern ausgerechnet dort die größten Probleme hat, wo auch die Politik mit ihrem Latein am Ende zu sein scheint: bei der Energiewende. Energie, die aus Wind und Sonne stammt, braucht keine großen Gasturbinen mehr. Zu lange haben frühere Siemens-Vorstände etwas anderes geglaubt und auf eine Zukunft fossiler Energieträger gesetzt. Joe Kaeser präsentiert den Beschäftigten nun eine Rechnung, die seine Vorgänger nicht bezahlt haben. Das hilft den Betroffenen nicht, es entschuldigt auch nicht die monatelange Hängepartie – aber es erklärt vielleicht, warum Kaeser plötzlich von Respekt und Solidarität redet.

Henrik Mortsiefer

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