"Klar findet eine Kannibalisierung statt": Was eine Verkehrsforscherin über die Mobilität der Zukunft sagt
Verkehrsforscherin Barbara Lenz spricht über CO2 Einsparung, Mobilitäts-Apps, Fortbewegung im Alltag – und warum Radler und Fußgänger mehr Raum brauchen.
Frau Lenz, hat die Verkehrskommission einen Plan, wie der Verkehrssektor mindestens 40 Prozent CO2-Emissionen zwischen 1990 und 2030 einsparen kann?
Ja, der Vorsitzende der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität (NPM), Henning Kagermann, hat am 29. März den Zwischenbericht der Arbeitsgruppe 1 vorgestellt. Die AG 1 hat Vorschläge dazu erarbeitet, wie die Klimaziele erreicht werden können. Und die anderen AGs setzen sich vertiefend mit Fragen der Umsetzung und auch den Auswirkungen dieser Vorschläge auseinander. Die von mir geleitete AG für alternative Antriebe und Kraftstoffe erarbeitet, mit welchem Technologiemix wir die Ziele für 2030 und darüber hinaus erreichen können.
Was trägt die von Ihnen geleitete AG bei?
In drei Fokusgruppen werden die Themen Elektromobilität, Wasserstoff/Brennstoffzelle und alternative Kraftstoffe behandelt. Es geht zum einen darum, welche Technologie wann ihren Beitrag zur CO2-Minderung leisten kann. Und wir wollen die Frage beantworten, wie der optimale Technologiemix aussieht, um die höchstmögliche Minderung zu erreichen. Aber klar ist: Die Technologie allein wird es nicht richten. Wir müssen Technologie mit dem Verhalten der Menschen verknüpfen. Dann geht es auch um Rahmenbedingungen wie Lademöglichkeiten für E-Autos oder Beimengungsvorgaben für Biokraftstoffe.
In diesem Zusammenhang ist oft von Technologieoffenheit die Rede. Hat sich durch die Ankündigung von VW, stark auf die E-Mobilität zu setzen, etwas verändert?
Im Moment nicht. Die E-Mobilität ist eine Lösung, die wir schnell umsetzen können. Immer mehr Fahrzeugmodelle sind da, die Infrastruktur wird ausgebaut, der Anteil des erneuerbaren Stroms nimmt zu. Es gibt viele Bemühungen, mit weniger Rohstoffen für die Batterien auszukommen und diese zu recyceln. Andere Technologien wie Wasserstoff/Brennstoffzelle oder synthetische Kraftstoffe werden voraussichtlich erst später kommen; dabei muss man auch differenzieren nach Verkehrsbereichen. Trotzdem sollten wir schon heute in diese Technologien Forschungsaufwendungen investieren, um den weiteren Bedarf an CO2-Reduktion auffangen zu können.
Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) setzt ja auf Mobilitäts-Apps. Bringen die messbare CO2-Einsparungen?
Dazu gibt es erst wenige Untersuchungen und es scheint, dass der direkt messbare Beitrag von Mobilitäts-Apps eher im niedrigeren Bereich liegt. Ich halte sie dennoch für wichtig. Schon heute, und erst recht bei einem weiteren Ausbau des ÖPNV sind Apps ein tolles Zugangsinstrument. Das betrifft nicht nur den Fahrplan, sondern auch die Tickets oder Fahrdienste wie der Berlkönig der BVG. Und wir brauchen sie auch, um neue Mobilitätsdienste nutzen zu können.
Brauchen wir mehr Ordnungsrecht oder Preissignale?
Beides. Preissignale brauchen wir in jedem Fall, um die Fahrzeugflotte umzustellen. Beim Ordnungsrecht muss man schauen, welche Ziele man erreichen will. Geht es um CO2-Emissionen, Luftreinhaltung, Lärm oder die Reduzierung von Unfällen? Viele Ziele kann man nicht mit einem Instrument allein erreichen. Ein gutes Beispiel für Ordnungsrecht wäre für mich eine konsequentere Parkraumbewirtschaftung.
In Frankreich gab es wegen weniger Cent Preiserhöhung pro Liter Sprit Massenproteste. Was müssen wir besser machen?
Man muss sichtbare Alternativen anbieten, etwa ÖPNV, Infrastruktur für Radfahrer. Und die Kommunikation muss ehrlich sein: Nicht sagen: Das kriegen wir schon irgendwie hin. Sondern sagen: Wir müssen Dinge verändern. Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie schreibt in seiner Klimapfade-Studie, wir müssen uns auf Veränderungen einstellen. Aber das ist für uns alle nicht so einfach: Menschen organisieren ihren Alltag mit Mobilität. Wenn Sie einem Menschen sagen, fahr mit dem Bus statt mit dem Auto, verändert sich nicht nur das Verkehrsmittel, sondern möglicherweise der ganze Tag – zum Beispiel, wenn man mit dem Auto die Kinder zur Kita oder Schule gebracht hat.
Sehen Sie die Gefahr, dass Carsharing und Fahrdienste wie der Berlkönig die Menschen aus Bus und Bahn herauslocken?
Klar findet eine Kannibalisierung statt. Wenn ich ein neues Verkehrsmittel nutze, gebe ich automatisch ein anderes dafür auf. Ich fahre ja normalerweise nicht zum Spaß herum. Möglicherweise kommt es dadurch aber auch zu einer Entlastung der öffentlichen Verkehrsmittel.
Einige Wissenschaftler befürchten eine weitere Verstopfung der Straßen durch immer mehr Carsharing- und Fahrdienstautos.
De facto kommen zunächst mehr Fahrzeuge in die Stadt. Aber der Berlkönig zum Beispiel bringt Fahrten in den ÖPNV, weil der Zugang wesentlich komfortabler wird. Mittelfristig könnte Carsharing dazu führen, dass doch immer mehr Leute ihr Privatauto abschaffen. Dieser Prozess dauert aber. Die Menschen müssen merken, dass sie ihren Wagen nicht mehr brauchen. Dann muss ein Anlass kommen, zum Beispiel eine große Reparatur. Übrigens haben Studien von uns beim DLR und vom Öko-Institut ergeben, dass ein überdurchschnittlich hoher Anteil der Carsharing-Nutzer eine Zeitkarte für den ÖPNV hat. Dem öffentlichen Verkehr geht also kein Geld verloren, sondern nur einzelne Fahrten.
Ein anderes Verkehrsmittel ist im Moment Gesprächsthema: E-Tretroller. Der Fußgängerverband fürchtet um die Gesundheit von Kindern und alten Menschen.
Das kann alle Menschen treffen. Im Westen von Berlin haben wir zwar breite Gehwege, trotzdem meine ich: E-Tretroller gehören nicht auf den Bürgersteig, genauso wenig wie Fahrräder. Die Geschwindigkeiten sind zu unterschiedlich, und Fußgänger können sich nicht darauf einstellen, gerade wenn die Roller von hinten kommen. Wir haben nicht den richtigen Raum für diese Geräte.
Es geht ja um die Verteilung des öffentlichen Raums. Was würden Sie verändern?
In der Stadt sollten wir auf jeden Fall dem öffentlichen Verkehr und den Sharing-Angeboten ebenso wie den Radfahrern und Fußgängern mehr Platz geben.
Sind Lufttaxis ein Privileg für Manager oder ein Verkehrsmittel für alle?
Für mich sind sie ein Verkehrsmittel für einige wenige Leute, die sich diese Exklusivität leisten können. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ein innerstädtisches Verkehrsmittel für eine breite Klientel werden. Sie machen Lärm, Sicherheitsfragen müssen geklärt werden und sie brauchen einen Landeplatz.
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