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Deutschland steigt bis 2022 aus der Atomkraft aus.
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Regierung muss Entschädigungen neu regeln: Was das Urteil zum Atomausstieg bedeutet

Das Verfassungsgericht hat die Regelung für die Entschädigung der Fukushima-Abschaltungen kassiert. Die Bundesregierung muss jetzt reagieren. Eine Analyse.

Die Bundesregierung hat vor dem Bundesverfassungsgericht am Donnerstag wegen des Atomausstiegs eine krachende Niederlage erlitten. In dieser Deutlichkeit und mit so erheblichen finanziellen Folgen für den Haushalt ist das selten. Das höchste deutsche Gericht kassierte die Regelung zur Entschädigung für das Abschalten von Atomkraftwerken im Jahr 2011 nach der Fukushima-Katastrophe aus zwei Gründen: erstens, weil die Entschädigung für den Eingriff nicht rechtlich korrekt geregelt worden sei – und zweitens, weil die Bundesregierung auch noch einen schweren Formfehler begangen hat, durch den das entsprechende Gesetz nie wirksam in Kraft trat.

Die komplizierte Ausgangslage lässt sich am besten chronologisch ordnen: Der 2001 vereinbarte Atomausstieg der damaligen rot-grünen Regierung sah sogenannte Restlaufzeiten für die deutschen Kernkraftwerke vor, genauer gesagt bestimmte Strommengen, die je Kraftwerk noch erzeugt werden durften. Feste Abschaltdaten für die Meiler gab es nicht. 2010 vereinbarte die schwarz-gelbe Regierung zwar eine Laufzeitverlängerung, diese hat aber keinen wesentlichen Einfluss auf das Urteil, auch wenn Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) dies gestern anders darstellte und Schwarz-Gelb die Schuld geben wollte.

Im Zentrum des Streits stehet die Stilllegung älterer Kraftwerke

Vielmehr geht es um die Stilllegung von acht älteren Kernkraftwerken nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima 2011. Zwei davon, Krümmel und Brunsbüttel, gehörten vor allem dem schwedischen Konzern Vattenfall. Während andere Atomkonzerne die eigentlich noch zustehenden Restlaufzeiten auf eigene Kraftwerke übertragen konnten, hat Vattenfall sonst keine Meiler in Deutschland.

Deutschland steigt aus der Atomkraft aus, will stärker auf Erneuerbare Energien setzen.
Deutschland steigt aus der Atomkraft aus, will stärker auf Erneuerbare Energien setzen.
© imago/Westend61

Diese Zwickmühle für Vattenfall, so urteilte das Verfassungsgericht schon 2016, hätte nicht gestellt werden dürfen – und kassierte das Atomausstiegsgesetz der Bundesregierung mit der Anweisung zur Nachbesserung. Die erfolgte mit einer Gesetzesnovelle 2018 – und ist nun erneut auf Klage von Vattenfall für ungenügend erklärt worden. Das grundsätzliche Problem sei nicht gelöst, so das Gericht in einer Mitteilung: Vattenfall müsse „entweder potenziell unangemessene Konditionen“ akzeptieren oder aber „riskieren, kompensationslos auszugehen“. Denn die Bundesregierung hatte die Betreiber bis 2023 mit der Berechnung der Entschädigungszahlen hingehalten und sie mit der ungefähren Verpflichtung verknüpft, sich um den Verkauf zu bemühen.

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"Das Urteil ist eine Niederlage für die Regierung"

Der Energie- und Verfassungsrechtsexperte Martin Maslaton kam gestern zu einer klaren Einschätzung: „Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist eine sehr eindeutige juristische Niederlage für die Bundesregierung“, sagte er dem Tagesspiegel. Sie habe die grundsätzlichen Zweifel an ihrer Regelung der Entschädigung auch durch Nachbessern nicht ausräumen können. „Denn generell gilt: Wenn der Gesetzgeber enteignen will, dann muss er eine Entschädigung festlegen, die belastbar und möglichst eindeutig in ihrer Berechnung sein muss. Entweder mittels einer festen Summe oder einer eindeutigen Entschädigungsregelung. Das ist nicht geschehen und deshalb überrascht das Urteil auch nicht.“

Noch einen zweiten gravierenden Mangel stellten die Verfassungsrichter fest: Die selbst vorgeschriebene Notifizierung der Regeln – eine Art Erlaubnis – durch die Europäische Kommission habe nicht stattgefunden. Damit sei das Gesetzt „nicht in Kraft getreten“, schreibt das Gericht. Unklar ist, ob diese Erlaubnis leicht zu erreichen gewesen wäre. Anwalt Maslaton vermutet das: „Bei der fehlenden beihilferechtlichen Genehmigung handelt es sich offenbar um einen klaren Formfehler, der sehr verwundert.“ Olaf Däuper von der Energierechtskanzlei BBH sagte, beide Punkte seien vom Verfassungsgericht „nachvollziehbar und gut begründet worden“. Zur Einordnung solle man sich aber auch klarmachen: „Der Atomausstieg als solcher ist damit nicht infrage gestellt, es geht ‚nur‘ um die verfassungsgemäße Abwicklung einer verfassungsrechtlich eindeutig zulässigen Entscheidung gegen Kernkraftwerke.“

Bei Umweltverbänden wurde das Urteil relativ gelassen aufgenommen. „Das Bundesumweltministerium hat sich einen groben handwerklichen Fehler geleistet“, sagte BUND-Chef Olaf Bandt am Donnerstag. Doch die verfassungsrechtliche Legitimität des Atomausstiegs, die das Bundesverfassungsgericht bereits 2016 festgestellt hatte, bleibe von dem Urteil unbenommen.

Die finanziellen Auswirkungen sind unklar. RWE, das auch von dem Urteil betroffen ist, rechnet mit einem „mittleren dreistelligen Millionenbetrag“ an Entschädigungen. Bei Vattenfall geht es vermutlich um eine Milliardensumme.

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