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Proteste gegen die Freihandelsabkommen TTIP (mit USA) und Ceta (mit Kanada) vor dem EU-Ratsgebäude in Brüssel (im Mai 2016).
© EPA/OLIVIER HOSLET/dpa

Freihandelsabkommen: Was das EuGH-Gutachten für Ceta, TTIP und Co. bedeutet

Der Europäische Gerichtshof stellt klar: Die EU muss bei sensiblen Abkommen die nationalen Parlamente abstimmen lassen.

Beim Abschluss umfassender Handelsabkommen hat die Europäische Union keinen Blankoscheck: Die Mitgliedstaaten und ihre Parlamente müssen beteiligt werden, stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg am Dienstag klar. EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström erklärte, diese Entscheidung schaffe „dringend benötigte Klarheit“ und kündigte an, sie werden nun mit den Regierungen der Mitgliedstaaten und dem EU-Parlament an „einem Weg nach vorne“ arbeiten. Verbraucher- und Umweltverbände sahen sich in ihrer Kritik an den Freihandelsabkommen mit den USA, TTIP, und Kanada, Ceta, bestätigt.

Das Gutachten des EuGH bezieht sich zwar nicht auf Ceta oder TTIP, sondern auf Singapur. Die Einschätzung der Richter lässt aber Rückschlüsse auf alle modernen Handelsabkommen zu. Das Handelsabkommen der EU mit Singapur, das schon 2013 unterzeichnet worden war, ist eines der ersten Handelsabkommen der EU der neuen Generation. Während früher lediglich der Abbau von Zöllen und ähnlicher Handelshemmnisse vereinbart wurde, geht es in den modernen Abkommen um weitreichende Ergänzungen – etwa zum Investorenschutz, Urheberschutz, öffentliche Aufträge sowie Umwelt- und Arbeitnehmerschutz.

Zu dem Abkommen mit Singapur hatten nahezu alle Mitgliedstaaten ein Mitspracherecht gefordert, darunter auch Deutschland. Daraufhin bat die Kommission den EuGH um ein Rechtsgutachten, um die Zuständigkeiten zu klären. Das Ergebnis ist für EU-Kommission und EU-Parlament bindend.

Demnach fallen insbesondere die oft umstrittenen Regelungen zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investoren und einzelnen Staaten in die „geteilte Zuständigkeit“ zwischen EU und Mitgliedstaaten. Denn die hier vorgesehenen Schlichtungsverfahren griffen unmittelbar in die Zuständigkeiten der einzelnen Mitgliedstaaten ein, betonte der EuGH. Daher könnten sie „nicht ohne deren Einverständnis“ eingeführt werden. Zweite Ausnahme von der überwiegenden Alleinzuständigkeit der EU sind Regelungen zu sogenannten Portfolio-Investitionen. Das sind Investitionen von Kapitalgebern wie etwa Fondsgesellschaften, die kein Interesse an bestimmten Produkten haben, sondern lediglich an den Gewinnen bestimmter Unternehmen teilhaben wollen.

Für die EU-Kommission, die auf den schnellen Abschluss weiterer Handelsabkommen setzt, gilt das Gutachten als schwerer Rückschlag. Sie hatte erst nach langem Widerstand im vergangenen Jahr beim Handelsabkommen Ceta mit Kanada den Mitgliedstaaten ein Mitspracherecht eingeräumt. Dies führte zu einer tagelangen Blockade durch das Parlament der belgischen Region Wallonie.

Die Wallonie, eine von drei Regionen Belgiens mit einer Einwohnerzahl von gerade einmal 3,6 Millionen Menschen, drohte 2016 über Wochen mit einem Veto gegen Ceta. Das Handelsabkommen, das als das fortschrittlichste von allen gilt und von dem sich Politiker und Unternehmer viele Impulse für Handel und Jobs im Binnenmarkt mit 500 Millionen EU-Bürgern erhoffen, hing an einem seidenen Faden. Aus durchsichtigen parteitaktischen Motiven beanspruchte ein Sozialist aus der Wallonie das Recht für ein Regionalparlament, in der Handelspolitik der EU mitzumischen. Er manövrierte damit die gesamte EU an den Rand der Handlungsfähigkeit.

Anders als TTIP, das als gescheitert gilt, ist Ceta auf EU-Ebene verabschiedet, nun sind die Mitgliedstaaten am Zug. Eine Handvoll Parlamente hat bereits zugestimmt, darunter Lettland. Wann der Bundestag und der Bundesrat mit dem europäisch-kanadischen Abkommen befasst sein werden, ist noch unklar. Das Bundesverfassungsgericht prüft derzeit die Frage, ob die deutschen Vertreter in Brüssel dem Abkommen zustimmen durften. Wie ihr Vorgänger Sigmar Gabriel hält aber auch Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) Ceta für eine gute Sache. Das Abkommen würde EU-Exporteure wegen des Wegfalls der Zölle um rund 470 Millionen Euro im Jahr entlasten, zudem bekräftige Ceta soziale und ökologische Standards und schütze europäische und kanadische Besonderheiten, teilte das Ministerium auf Anfrage mit. Das Gutachten des EuGH begrüßte Zypries am Dienstag ausdrücklich. Das Gericht habe „das Mitspracherecht nationaler Parlamente, einschließlich des Deutschen Bundestags, bei Freihandelsabkommen sichergestellt“.

Aber auch die Globalisierungsgegner triumphierten und sprachen von einem Rückschlag für die EU-Kommission. Die Grünen-Fraktionschefin Franziska Keller sagte: „Die Europäische Kommission schießt gern über das Ziel hinaus, wenn es um Handelsabkommen geht.“ Deshalb müssten die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten frühzeitig in den Verhandlungsprozess einbezogen werden. Ziel sei es, „die EU-Kommission dort in die Schranken zu weisen, wo es notwendig ist“. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) freute sich über die „Bruchlandung“ Brüssels beim Versuch, die nationalen Parlamente auszubooten. Das kann man aber auch anders sehen. „Der EuGH hat die europäische Handelspolitik deutlich gestärkt“, stellt Daniel Caspary (CDU), Handelsexperte im Europaparlament, fest. Er verweist darauf, dass die meisten Themen, bei denen EU und Mitgliedstaaten um Kompetenzen gestritten haben, eindeutig der EU zugeordnet wurden. „Es ist gut, dass wir hier nun Klarheit haben.“

Caspary skizziert, wie es weitergehen soll: „Wir brauchen in Zukunft separate Abkommen über die Dinge, die in EU-Verantwortung liegen, sowie für die Bereiche, für welche die Mitgliedstaaten zuständig sind.“ Es könnte schon bald konkret werden: Als Nächstes will die EU mit Chile, Australien und Neuseeland über umfassende Vereinbarungen für den Freihandel reden. Eine Frage ist aber zur Zeit noch gänzlich ungeklärt: Was passiert eigentlich, wenn eines der nationalen Parlamente Ceta ablehnt? mit AFP

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