Kurioses Phänomen: Warum trotz Corona weniger Firmen pleite gehen
Im ersten Halbjahr 2020 mussten weniger Firmen Insolvenz anmelden. Woran das liegt - und warum es anders, als man vermuten mag, kein gutes Zeichen ist.
Erst waren die Läden wochenlang geschlossen, nun kommen die Verbraucher zwar zurück, geben aber kaum Geld aus. "Die Kunden kaufen sich vielleicht neue Strümpfe, aber auf den teuren Anzug oder neues Reisegepäck verzichten sie", sagte kürzlich Frank Kebekus im Interview mit der Wirtschaftswoche. Für die Kaufhauskette Galeria Karstadt Kaufhof ist das ein Problem. Bereits im April hat sie Insolvenz angemeldet. Kebekus ist der vom Gericht bestellte Sachverwalter. Mit dem Generalbevollmächtigen Arndt Geiwitz soll er nun retten, was noch zu retten ist.
Und Galeria Karstadt Kaufhof ist nur eines von mehreren Großunternehmen, das im Zuge der Coronakrise Insolvenz angemeldet hat.
Auch die Modehändler Appelrath Cüpper, Esprit und Hallhuber hat es getroffen, ebenso wie den Reparaturdienst Mister Minit, die Restaurantkette Vapiano und den Küchenhersteller Poggenpohl. Dabei sagen Experten: Die eigentliche Insolvenzwelle kommt erst noch.
Aktuellen Zahlen der Auskunftei Creditreform zufolge hat es im ersten Halbjahr sogar noch auffallend wenig Unternehmensinsolvenzen gegeben. 8900 Firmen gingen demnach pleite. Das sind gut acht Prozent weniger als im Vorjahr - wo man doch angenommen hätte, die Zahl der Insolvenzen schnellt mit der Coronakrise nach oben. Bei Creditreform hält man diese extrem niedrigen Zahlen allerdings auch für kein gutes Zeichen.
Denn mit Beginn der Coronakrise hat der Staat die Unternehmen massiv gestützt - mit zusätzlichen KfW-Krediten, Soforthilfen und Zuschüssen.
Damit könnte der Staat Creditreform zufolge auch Firmen am Laufen gehalten haben, die ohne Corona längst pleitegegangen wären. "Hier hat es möglicherweise unerwünschte Mitnahmeeffekte gegeben", schreibt die Auskunftei. Andere nennen Unternehmen, die der Staat künstlich am Leben hält, auch gerne Zombie-Firmen.
Firmen können sich mit Anzeige der Insolvenz derzeit Zeit lassen
Dass es von ihnen nun in Deutschland wohl einige gibt, liegt neben den Hilfsgeldern auch an einer anderen Regelung. So hat die Regierung die Insolvenzantragspflicht bis September ausgesetzt. Eigentlich müssen sich Firmen spätestens drei Wochen, nachdem ihnen das Geld ausgegangen ist, bei Gericht melden.
Derzeit ist das nicht der Fall. Mit dieser Ausnahmeregelung will die Regierung verhindern, dass Unternehmen nur deshalb Insolvenz anmelden müssen, weil die staatlichen Hilfen nicht rechtzeitig bei ihnen ankommen.
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Dazu kommt allerdings auch noch, dass viele Insolvenzgerichte gerade überlastet sind. Coronabedingt konnten sie nicht so viele Fälle prüfen wie üblich. "Dies hat zu erheblichen Bearbeitungsrückständen geführt", schreibt Creditreform.
Ohnehin dauert es immer etwas, bis sich die schlechte Wirtschaftslage der Unternehmen in der Statistik zeigt: Auch in normalen Zeiten vergehen zwischen dem Insolvenzantrag und der Eröffnung des Verfahrens durch das Gericht Wochen.
Die Auskunftei prognostiziert deshalb, dass die Pleitewelle erst noch kommt. Spätestens wenn die Firmen ab Herbst wieder verpflichtet sind, ihre Zahlungsunfähigkeit anzuzeigen, dürfte die Zahl der Insolvenzen steigen.
Deutschland ist noch lange nicht über den Berg
Wie heftig die Pleitewelle dann ausfallen wird, hängt dabei maßgeblich von der weiteren Entwicklung der Wirtschaft ab. Folgt auf den jähen Absturz eine ebenso rasche Erholung, könnte ein massiver Anstieg an Insolvenzen laut Creditreform noch verhindert werden.
Von einem solchen V-Szenario bei der Wirtschaftsentwicklung gehen Ökonomen inzwischen aber nicht mehr aus. Das Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das gerade seine jüngste Prognose vorgelegt hat, rechnet eher mit einem U-förmigen Verlauf, bei dem sich die Erholung hinzieht. "Es wird lange dauern, bis die deutsche Wirtschaft die Verluste durch die Corona-Krise ausgeglichen hat", glaubt DIW-Forscher Claus Michelsen.
Dazu kommt, dass auch schon eine kleine Zahl an Insolvenzen schlimme Folgen haben kann. Denn am ehesten gehen Großunternehmen pleite, an denen besonders viele Arbeitsplätze hängen. Das war nach der Finanzkrise so und wiederholt sich in der Coronakrise.
Trotz der niedrigen Zahl an Insolvenzen im ersten Halbjahr liegt der Schaden der Gläubiger bei rund zwölf Milliarden Euro. Im Schnitt hat jeder Insolvenzfall sie mehr als 1,3 Millionen Euro gekostet. "Das ist der höchste Wert der vergangenen Jahre", schreibt Creditreform.
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Und: Je größer der Schaden der Gläubiger durch die Insolvenz, desto mehr Jobs stehen in der Regel auf dem Spiel. "Somit dürfte sich auch in der Coronakrise das Insolvenzgeschehen selbst bei relativ konstanter Zahl von Firmenpleiten immer stärker auf den Arbeitsmarkt auswirken", sagt Steffen Müller, der die Insolvenzforschungsstelle am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle leitet.
Ablesen lässt sich das schon jetzt an den bisherigen Insolvenzfällen der Coronakrise. Allein bei Galeria Karstadt Kaufhof sind bundesweit 28.000 Angestellte betroffen. Noch ist offen, ob die Sanierung der Warenhauskette gelingt und wie viele Filialen gerettet werden können. Sachwalter Kebekus zeigte sich zuletzt optimistisch, dass doch zwei Drittel der insgesamt 172 Warenhäuser im Idealfall weitermachen können.
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