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Große Nähe zur Lehmann-Pleite: Der Film "Margin Call" mit Kevin Spacey beschreibt den Fall einer Investmentfirma.
© dpa

Wirtschaft im Film: Warum sich "Das Kapital" nicht verfilmen lässt

Anders als der Dokumentarfilm erklärt der Spielfilm fast nie die Ökonomie - sondern erzählt nur von ihren Folgen. Unser Autor erklärt, warum die Spielregeln des Spielfilms auch gar nichts anderes erlauben.

Rückblickend hätten einem schon die Begleitumstände verraten können, dass die Idee ein wenig wahnsinnig war. Im November 1929, kurz nach dem großen Börsencrash, saß Sergej Eisenstein in Paris. Mit einer Überdosis Aufputschmitteln im Blut und von zu viel Stress vorübergehend erblindet, trug der russische Filmregisseur dem irischen Autor James Joyce seine neueste Idee vor: Eine Verfilmung von Marx’ „Kapital“. Als Spielfilm. Die komplette theoretische Grundlage des Kommunismus, abgebildet in einem einzigen Nachmittag eines Arbeiters. Müßig zu sagen: Das Projekt erwies sich als unrealisierbar.

Das Beispiel mag ein extremes sein, illustriert aber doch das Phänomen, dass der Spielfilm sich regelmäßig verhebt, wenn er sich der Ökonomie annimmt. Jüngstes Beispiel in einer langen Reihe von enttäuschenden Versuchen ist „Promised Land“. Thema des derzeit in den Kinos laufenden Films ist Fracking – jene umstrittene Fördermethode, bei der mittels eines Wasser-Chemikalien-Gemischs und Bohrern Gas aus den Böden geholt wird. Doch statt darüber aufzuklären, nutzt der Film das Thema wie viele vor ihm nur als Bühnenbild für eine Moralpredigt darüber, was Geld mit Menschen macht.

Das Eisenstein-Dilemma

Warum ist das so? Fehlt dem Medium vielleicht einfach die Erfahrung mit dem Stoff? „Nein“, sagt Gertrud Koch, Professorin für Filmwissenschaften an der FU Berlin. „Geld, Börse und Wirtschaft waren von Anfang an Filmstoffe.“ Einer der ersten Filme überhaupt, 1895 von Louis Lumière gedreht, trägt den Titel „Arbeiter verlassen die Lumière-Werke“ und zeigt eine Minute lang genau das. Auch später blieb die Ökonomie ein prägendes Sujet. Man nehme etwa die Ölindustrie, die den Hintergrund für so unterschiedliche Dramen wie „Der Draufgänger“ (1940), „Giganten“ (1956) oder die TV-Serie „Dallas“ (1978–1991) bildet.

Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch auf, dass die wenigsten Filme, die sich der Wirtschaft widmen, sie tatsächlich erklären. Es ist das ewige Eisenstein-Dilemma: Ein Spielfilm über ökonomische Prozesse handelt nie von eben diesen, sondern zeigt fast immer nur deren Auswirkungen auf den Menschen. Selbst der unbestrittene Genre-Klassiker „Wall Street“ ist kein Film über die Funktionsweise der Börse, sondern ein Lehrstück über den Umgang mit Geld und dass es Wichtigeres auf der Welt als das gibt. Schaut man sich an, nach welchen Spielregeln Spielfilme entstehen, kann es auch gar nichts anders sein. „Im Spielfilm geht es immer um die Dynamik zwischen Figuren“, erklärt Gertrud Koch. „Abstrakte Wirtschaftsabläufe lassen sich jedoch nur schwer in ein Kammerspiel übertragen.“

Gier und Golden Retriever

Um diesen Widerspruch aufzulösen, bedienen sich Drehbuchautoren meist einer doppelten Vereinfachung. So werden einzelne Akteure auf jeweils eine der gegensätzlichen Positionen reduziert. Das gewährleistet die Dynamik, von der der Film lebt, erschafft aber auch regelmäßig Stereotype fern jeder Wirklichkeit – der skrupellose Investor, der integre Vater, der verführbare Aufsteiger.

Zudem kommt es zu einer inhaltlichen Reduktion. Um zu erklären, wie es zur jüngsten Finanzkrise kam, was Credit Default Swaps und was Leerverkäufe sind, braucht der brillante Dokumentarfilm „Inside Job“ knappe zwei Stunden. In einer Produktion wie „Margin Call“ bleiben neben der Einführung der Figuren und dem Aufbau der Stimmung für den Erklärteil aber gerade einmal ein paar Minuten. Und weil beim Publikum null Hintergrundwissen vorausgesetzt werden darf, sagt dann der Chef der Bank Sätze wie: „Erklären Sie die Lage so, dass sie auch ein Golden Retriever versteht“. Fundierte Erläuterungen und Analysen kann man da nicht erwarten.

Ein weiteres Problem des Wirtschaftsfilms ist, dass seine Themen meist visuell wenig hergeben. Investmentbanker tragen selten Geldkoffer in begehbare Panzerschränke, wie man das aus Gangsterfilmen kennt. Stattdessen sitzen sie in anonymen Großraumbüros. Die Milliarden, um die es dann geht, oder der titelgebende „Margin Call“ – die Nachzahlungspflicht, wenn man sich mit Geld verspekuliert hat, das man gar nicht hat – existieren nur als Ziffern auf Bildschirmen. Weil das auf der Leinwand wenig hermacht, hilft sich der Film, in dem er nicht die Vorgänge selbst, sondern die Reaktion der Menschen darauf zeigt. Und um diese besonders dramatisch erscheinen zu lassen, kommt es dann häufig zu Übertreibungen: Panik, Hektik, Entscheidungen in letzter Sekunde, die nicht selten genug – und anders als in der Realität – in einem Happy End münden. Nimmt man all das zusammen, bleibt von der komplexen ökonomischen Realität wenig übrig. Vor die Wahl gestellt, erzählt der Spielfilm statt Geschichte stets lieber eine gute Geschichte.

Und weil wenig eine bessere Geschichte verspricht als Geld und Gier, erscheint bereits im Dezember der nächste große Börsenfilm. Martin Scorsese hat sich mit Leonardo DiCaprio an „Der Wolf der Wall Street“ gemacht, die Autobiografie des Börsenhais Jordan Belfort. Dass dieser Film jedoch etwas grundsätzlich anders macht als seine Vorgänger, darf nach dem Anschauen des Trailers bezweifelt werden. Denn es ist doch bezeichnend: Als der deutsche Filmemacher Alexander Kluge Eisensteins Idee einer Verfilmung des „Kapitals“ im Jahr 2008 endlich umsetzte, wurde daraus kein Spielfilm – sondern eine fast zehnstündige Collage.

Moritz Honert

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