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In Berlin wurde diese Woche an der Kreuzung Mollstraße/Otto-Braun-Straße an einen am Montag tödlich verunglückten Radfahrer erinnert.
© Soeren Stache/dpa

Tödliche Unfälle: Warum hat nicht jeder LKW einen Abbiegeassistent?

Durch sie könnten schwere Unfälle mit Radfahrern vermieden werden: Abbiegeassistenten. Einen politischen Lösungsvorschlag gibt es - aber die Umsetzung stockt.

Der tote Winkel hat nicht nur im Berliner Straßenverkehr traurige Symbolkraft erlangt. Etwa jeder dritte tödliche Unfall in Deutschland, bei dem ein Fahrrad und ein Lkw beteiligt waren, ereignete sich 2017, weil ein Lastwagenfahrer beim Abbiegen einen Radler übersehen hatte. 30 Mal passiert es im Schnitt pro Jahr. In Berlin zuletzt am vergangenen Montag, als ein Radfahrer auf der Mollstraße von einem nach rechts abbiegenden Lkw überrollt wurde.

Die Zahlen sind bekannt, das Entsetzen nach jedem Unfall ist groß – doch ein schneller Ausweg aus der buchstäblichen Todesfalle ist nicht in Sicht. Einen politischen Vorstoß unternahm im Juli Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Er gewann 70 Vertreter der Transportbranche, Hersteller, Zulieferer, Radfahr- und Verkehrssicherheitsverbände sowie technische Prüfdienste und die Polizei als Unterstützer für die „Aktion Abbiegeassistent“. Ziel des Bündnisses ist eine freiwillige Selbstverpflichtung zum Einsatz von Fahrassistenzsystemen.

EU-Regelung erst ab 2022 möglich

Gesetzlich vorschreiben kann Deutschland diese nicht, weil es einer EU-Regelung bedarf, die erst für das Jahr 2022 avisiert ist. Nachdem eine Bundesratsinitiative, die auch von Berlin unterstützt wurde, dennoch Druck gemacht hat, will die Regierung im Rahmen des Möglichen eine nationale Lösung finden. Auch im Koalitionsvertrag steht schließlich, dass man eine „Nachrüstpflicht für Lkw-Abstandswarnsysteme prüfen“ wolle.

Über das Stadium des Prüfens ist der Bund allerdings noch nicht sehr weit hinaus gekommen. Das von Scheuer für den Bundeshaushalt 2019 angekündigte „kleine Fördervolumen“, mit dem Spediteure und Logistikfirmen bei der Nachrüstung ihrer Lkw finanziell unterstützt werden sollen, ist bislang nicht konkretisiert worden. Zwar liegt nach Branchenangaben der Entwurf einer Förderrichtlinie vor. Im Oktober will das Ministerium zunächst den Kriterienkatalog für Abbiegeassistenzsysteme veröffentlichen, die die Bundesanstalt für Straßenwesen erarbeitet hat. Ab wann, wer und in welcher Höhe gefördert wird, ist offen.

Nur Daimler bietet ein System an - gegen Aufpreis

Die Lkw-Hersteller tun sich derweil schwer, das technisch Machbare serienmäßig in ihre Fahrzeuge einzubauen. Nur Mercedes bietet seit 2016 für den Schwerlaster Actros und weitere Modelle einen Abbiegeassistenten an – als Sonderausstattung gegen Aufpreis. Für den Actros, der mehr als 100.000 Euro kostet, ist der Assistent für überschaubare 2500 Euro zu haben. Dennoch kauft ihn nach Konzernangaben nur jeder dritte Neukunde.

Für ältere Lastwagen bieten sich alternativ etliche Nachrüstlösungen an. Bundesweit soll es laut Verkehrsminister zehn Hersteller geben, die Lösungen für 800 bis 1300 Euro im Programm haben. Auch auf der Nutzfahrzeug-IAA, die noch bis zum 27. September in Hannover stattfindet, werden Neuheiten vorgestellt – vom Lkw-Hersteller Scania, oder den Zulieferern Continental und Luis Technology.

Doch über die Qualität der Systeme streiten sich die Geister. Auch hier wird noch geprüft. Die Dekra hat sich fünf verschiedene Produkte vorgenommen. „Wir planen mittelfristig auch größere Testreihen, um eine konkrete Empfehlung abgeben zu können“, sagte Vorstand Clemens Klinke auf der IAA. Nach einer schnellen Lösung hört sich das nicht an. Das liegt auch an der komplizierten Radar- und Kameratechnik, die häufig noch nicht zuverlässig funktioniert und von Lkw-Fahrern deshalb nicht genutzt wird. „Die technische Umsetzung ist nicht trivial“, sagt ein Dekra-Sprecher. Dennoch müssten alle Möglichkeiten genutzt werden, um die Systeme schnell „in die Flotte“ zu bringen. „Eine Förderung wäre sinnvoll.“

Grüne: Lkw ohne Assistent aus der Stadt verbannen

Der Opposition geht es da nicht schnell genug. Es fehle der politische Wille, Nachrüsttechnik in den Markt zu bringen, kritisiert der Grünen-Fraktionsvize im Bundestag, Oliver Krischer. Ein Markt, auf dem hierzulande allein fast 140 000 Schwerlaster von mehr als 20 Tonnen zugelassen sind. „Minister Scheuer darf sich nicht hinter irgendwelchen europäischen Lösungen verstecken, die noch jahrelang brauchen“, sagte Krischer dem Tagesspiegel. Wer die europäische Typenzulassung ändern wolle, brauche ein langen Atem. Schneller umsetzen ließen sich verpflichtende Lösungen für neue und ältere Lkw über die Straßenverkehrsordnung. Krischer: „Hier kann man als einen Ansatz technische Voraussetzungen definieren unter denen Lkw in Stadtgrenzen verkehren dürfen.“

Nicht abwarten wollen vor allem die Supermarkt-Ketten, die besonders viele Lkw einsetzen. So entwickelte Edeka Südbayern schon 2015 einen eigenen Abbiegeassistenten, der heute in allen 150 Lastwagen eingebaut wurde. Netto hat 150 von rund 500 Lastwagen ausgestattet, bei Aldi sind es 700. Auch Norma, Lidl und Rewe haben die Nachrüstung ihrer Lkw-Flotten angekündigt.

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