Gehälterkluft: Warum Frauen weniger verdienen
In fast allen Branchen und Berufen ist das Einkommen von Frauen im Schnitt viel niedriger als das von Männern: Warum das sogar bei Unternehmerinnen zutrifft – und wie sich das ändern lässt.
Wenn Brigitte Freiburghaus in ihrem Büro jungen Gründerinnen gegenübersitzt, erzählt sie ihnen gerne von Hanna Hilfreich, einer Heilpraktikerin, die es nicht übers Herz bringt, für ihre Massagen einen Stundensatz von 70 Euro zu nehmen – und beginnt, für 30 Euro brutto in der Stunde zu arbeiten. Es dauert nicht lange, bis sie dann die Betriebskosten und die Miete nicht mehr zahlen kann – und nach einem halben Jahr die Praxis schließen muss.
Freiburghaus führt ihre Existenzgründerberatung in Tiergarten. Ihr Terminkalender ist gut gefüllt. Sie arbeitet als Beraterin, Coach und Dozentin und beschäftigt fünf Mitarbeiter. Die Geschichte der Heilpraktikerin Hilfreich hat sie sich ausgedacht. Weit weg von der Wirklichkeit sei sie häufig aber nicht, sagt die 53-Jährige. Daraus erwächst nun ihre Aufgabe: „Ich bin dazu da, das zu ändern und mit Gründerinnen dazu gemeinsam Strategien zu entwickeln“, erklärt sie.
Nicht erst seit dem Jahr 2008, als in Deutschland der internationale „Equal Pay Day“ eingeführt wurde, der auf die Ungleichheit in der Bezahlung von Männern und Frauen aufmerksam macht, ist die Lücke zwischen den Einkommen von Männern und Frauen bekannt. Bei Angestellten beträgt sie im Schnitt 23 Prozent. Laut einer aktuellen Studie der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin ist die Lücke bei den Selbstständigen aber sogar noch größer. Unternehmerinnen bekommen im Schnitt 34 Prozent weniger aufs Konto überwiesen als selbstständige Männer.
Die Zahlen wurden deutschlandweit erhoben. „Die Situation lässt sich aber durchaus auf Berlin übertragen“, sagt Claudia Gather. Die HWR-Professorin hat die Studie durchgeführt.
Doch was steckt dahinter? Warum ist bei Frauen, die in der Regel viel Eigeninitiative, Mut und Risikobereitschaft brauchen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, die Kluft sogar noch größer als bei angestellten Frauen, die in ihrem Arbeitsalltag hinsichtlich ihres Gehaltes oft viel weniger Spielraum haben?
„Eine Annahme ist es, dass Frauen gar nicht erst in den Bereichen gründen, in denen das meiste Geld verdient wird“, sagt Gather. Ein Hinweis darauf sei, dass Frauen auch im branchenspezifischen Vergleich deutlich schlechter abschneiden. In der Gesundheitsbranche zum Beispiel kommen sie nur auf die Hälfte des Einkommens ihrer männlichen Kollegen.
Das könnte daran liegen, dass Männer in diesem Bereich lukrativere Arztpraxen gründen und gut verdienen – während Frauen als Physiotherapeutinnen oder Hebammen mit ihren Praxen im unteren Einkommensbereich liegen. Doch das sei nur eine Vermutung und durch die HWR-Studie nicht eindeutig zu belegen.
Ein zweiter Aspekt, der immer wieder als Argument für geringere Einkommen von Frauen aufgeführt wird, hat laut der Studie bei selbstständigen Frauen weniger Relevanz: Eine zusätzliche Belastung durch Kinderbetreuung kann danach nicht als Grund für das ungleiche Einkommen herhalten, denn auch Frauen ohne Kinder oder mit erwachsenen Kindern erwirtschaften ein Drittel weniger.
Warum Gründungen von Frauen schiefgehen
Also liegt es doch daran, dass sich Frauen zu oft wie „Hanna Hilfreich“ verhalten? „Die Frauen fordern zu wenig, geben sich zu bescheiden, wenn sie ihre Dienstleistungen oder Produkte an den Kunden bringen“, sagt HWR-Professorin Gather.
Das kann Brigitte Freiburghaus aus ihren Erfahrungen mit Existenzgründerinnen nur bestätigen. Unternehmerinnen verhielten sich ähnlich wie angestellte Frauen, die sich laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus dem Jahr 2010 oft in Gehaltsverhandlungen mit zu wenig zufrieden geben.
„Ich denke; dass das auch in einer geschlechtertypischen Erziehung gründet“; sagt Freiburghaus. Bei den Einnahmen, die eingespielt werden müssen, um die gesamten Ausgaben des Unternehmens zu tragen, gäben sich Frauen zu bescheiden. „Sie neigen schon eher dazu, den Wert zu niedrig anzusetzen“, sagt Freiburghaus. Immer wieder greift die Beraterin deshalb auf „ Hanna Hilfreich“ zurück – um ihre Kundinnen davon zu überzeugen, wie wichtig es ist, von Beginn an Preisvorstellungen klar zu äußern.
Sabine Smentek hätte es so ergehen können wie dem Musterbeispiel der Beraterin. Smentek ist Diplom-Kauffrau und machte sich 1998 als Unternehmensberaterin selbstständig. Zunächst war sie sehr erfolgreich, beschäftigte sechs Mitarbeiter. Aber als im Jahr 2001 ein Hauptauftraggeber absprang, stand ihr Betrieb vor dem Aus. Smentek wollte sich nicht von ihren Mitarbeitern trennen, musste es aber doch: „Ich habe mich gesund geschrumpft; Umsatz und Kosten gesenkt und so den Gewinn erhöht“, sagt sie.
Heute berät sie in ihrem Büro in Charlottenburg unter anderem öffentliche Verwaltungen, soziale Projekte oder kleine Unternehmen unterschiedlichster Branchen in betriebswirtschaftlichen Fragen. Die 50-Jährige hat nur noch zwei enge Mitarbeiter.
In der Krise wurde Smentek von ihrem Netzwerk aufgefangen. In Zusammenarbeit mit dem Berliner Gründerinnenzentrum Weiberwirtschaft stellte sie eine Gruppe für kollegiales Coaching auf die Beine, in der sich Künstlerinnen, Journalistinnen und Pädagoginnen austauschten und ihre Businesspläne überarbeiteten. „Es hat mir geholfen, mich mit anderen Frauen zusammen zu tun“, sagt sie, „gerade, wenn man im Haifischbecken Unternehmensberatung überleben will.“ Das geht nicht nur ihr so. Nach einer Forsa-Studie nutzen Frauen berufliche Netzwerke häufiger und effektiver als Männer.
„Die Haltung zur eigenen Selbstständigkeit ist entscheidend“, sagt Beraterin Freiburghaus. Die Frage „Wo will ich hin?“, die Männer sich häufiger stellten, sei zu Beginn einer Gründung angemessener als ein stetiger Blick auf die Kosten, wie er bei den Frauen zu beobachten sei. Im weiteren Verlauf der Selbstständigkeit kann der sparsame Blickwinkel aber genau der richtige sein. Denn langfristig müssen Einnahmen und Ausgaben aufeinander abgestimmt sein.
Insgesamt machen sich Frauen immer noch seltener selbstständig als Männer. In Berlin kommt auf sieben Existenzgründer gerade mal eine Unternehmerin.
Wenn sie auf dem Markt bestehen will, kann sie sich nicht leisten, im Sinne von Hanna Hilfreich zu handeln. Sie muss gut kalkulieren – und wissen, was sie wert ist.
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