zum Hauptinhalt
Wie im 19. Jahrhundert. Die Unterschiede zwischen Arm und Reich werden größer.
© picture alliance / akg-images

Ökonom Piketty und die Debatte um Umverteilung: Warum die Reichen immer reicher werden

Der Kapitalismus nützt nur den Wohlhabenden, sagt der französische Ökonom Thomas Piketty. Nur mit höheren Steuern lasse sich das System retten. In Frankreich und den USA hat sein Buch, das erst im Herbst auf Deutsch erscheint, eine große Debatten ausgelöst.

Wir schreiben das Jahr 2154: Auf der abgewirtschafteten, überbevölkerten Erde schuftet die Masse der Menschen vor sich hin. Für eine kleine Elite von Superreichen, die sich auf die Raumstation Elysium abgesetzt hat und dort ein Leben im Luxus führt. Das Refugium ist für die Erdenbewohner eine unerreichbare Festung, trotz aller Anstrengungen. Mit allen Mitteln wird es gegen Eindringlinge verteidigt. Erst ein Held sorgt dafür, dass sich die Verhältnisse ändern.

Hollywood hat sich dieses wüste Szenario für den Film „Elysium“ ausgedacht. Doch womöglich ist die Menschheit im Jahr 2154 tatsächlich derart tief gespalten – das legt zumindest der französische Ökonom Thomas Piketty nahe. Er hat ein Buch geschrieben, das ein düsteres Bild des Kapitalismus und seiner Entwicklung in den kommenden Jahrzehnten zeichnet. Der 43-Jährige glaubt, auf eine fatale Gesetzmäßigkeit gestoßen zu sein, die der Marktwirtschaft innewohnt und sie zu zerstören droht: Dass Kapital und Vermögen stets mehr Ertrag abwerfen als Anstrengung und harte Arbeit. Die Konsequenz: Die Reichen werden immer reicher, und wer hat, dem wird gegeben.

„Das Kapital im 21. Jahrhundert“ hat Piketty, Professor an der Paris School of Economics, sein monumentales Werk genannt, eine offene Anspielung auf Karl Marx. In den USA ist das Buch ein Bestseller. Piketty hat eine Debatte über Ungerechtigkeit und einseitige Wirtschaftspolitik losgetreten wie lange kein Ökonom vor ihm. „Das wichtigste Wirtschaftsbuch des Jahres, vielleicht des Jahrzehnts“, schwärmt Nobelpreisträger Paul Krugman. Selbst Papst Franziskus ließ jüngst via Twitter wissen, Ungerechtigkeit sei „die Wurzel des sozialen Übels“.

Piketty hat in mühevoller Kleinarbeit Daten über Einkommen, Wachstum und Wohlstand aus 30 Ländern und 200 Jahren Wirtschaftsgeschichte zusammengetragen. Eine neue Theorie, wie Keynes oder Friedman, präsentiert er nicht – der Franzose bereitet Zahlen auf und zieht daraus seine Schlüsse. Kern des Buches ist das Gesetz „r > g“. Die Rendite „r“ aus Aktien, Anleihen oder Immobilien beläuft sich nach Pikettys Berechnungen im langjährigen Schnitt auf viereinhalb bis fünf Prozent pro Jahr. Das übliche Wirtschaftswachstum („g“) – und damit der Ertrag aus Arbeit – beträgt dagegen auf lange Sicht nur ein bis eineinhalb Prozent.

Sich anzustrengen, um eines Tages einmal zur Elite der Gesellschaft zu gehören – das bleibt mithin zumindest für Mittellose eine Utopie. Statt Wohlstand für alle erlaubt das System nur Wohlstand für wenige. Auch das Ziel der Politik, mit Bildung für eine gerechtere Gesellschaft zu sorgen, wäre damit unerreichbar.

Vor allem in den USA trifft das Buch einen Nerv. Seit den 1980er Jahren öffnet sich dort die Vermögensschere immer weiter. Das kennen auch die Deutschen: Mehr als jeder Vierte besitzt hierzulande gar nichts, und laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ist der Wohlstand in keinem Land Europas so ungleich verteilt wie in der Bundesrepublik.

Gestoppt wird die Akkumulation des Kapitals nach Pikettys Beobachtungen nur durch historische Einschnitte – Weltkriege, Finanzkrisen, Inflation. So schrumpfte Mitte des vergangenen Jahrhunderts der Abstand zwischen Arbeits- und Vermögenseinkommen – weil die Kriege Werte vernichtet hatten, die Produktion anschließend rasant wuchs und Reiche kräftig besteuert wurden. Noch in den siebziger Jahren lag der Spitzensteuersatz in den USA bei mehr als 70 Prozent.

Millionäre sollen jährlich zwei Prozent ihres Besitzes abgeben

Zu diesen Zeiten möchte Piketty zurück – er will den Fehler des Kapitalismus durch Umverteilung reparieren: mit einer progressiven Vermögensteuer, die Millionäre dazu zwingt, jährlich zwei Prozent ihres Besitzes abzugeben, bei Milliardären sollen es zehn Prozent sein. Zusätzlich verlangt er eine Einkommensteuer von bis zu 80 Prozent für Spitzenverdiener.

Die Thesen des Franzosen werden bei Linken und Gewerkschaften gerne gehört, auch wenn manche Daten nicht über jeden Zweifel erhaben scheinen. Aber auch die Wirtschaftsländer-Vereinigung OECD kann ihnen etwas abgewinnen. Generalsekretär Angel Gurría prangerte vergangene Woche bei seinem Besuch in Berlin die wachsende Zahl von Geringverdienern an und das zunehmende Armutsrisiko, gerade für schlecht Qualifizierte. „Deutschland muss jetzt handeln“, verlangte der OECD-Mann. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), der neben Gurría saß, begrüßte dessen Mahnungen als „sehr hilfreich“. Man werde die Anregungen „intensiv diskutieren“. Gabriel weiß: Die Debatte um eine gerechtere Verteilung wird so schnell nicht verebben. Und spätestens im nächsten Frühjahr bekommt sie neue Nahrung – dann erscheint „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ auf Deutsch.

Zur Startseite