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Hartes Sanierungsprogramm. Eine Mitarbeiterin von Schaeffler blickt durch ein Kugellager, das der Autozulieferer der Welt produziert.
© Foto: Daniel Karmann/dpa

Stellenstreichungen, Kurzarbeit, Werksschließungen: Warum die Krise der Autozulieferer so schnell nicht vorbei ist

Die Angst geht um in der Branche. Denn die Autozulieferer trifft nicht nur die schwache Konjunktur, sie sind auch für die Zukunft schlecht aufgestellt.

Von „Kehraus“ ist die Rede, von einer neuen „Pleitewelle“, von „Angst“. Die Autobranche geht mit trüben Aussichten in den Herbst 2019. Die schwache Konjunktur und die Folgen der Transformation zur E-Mobilität treffen vor allem die Zulieferer hart. Muss die Politik helfen?

Auch die Großen der Branche bleiben nicht verschont. Bis zu 20.000 Stellen muss Continental, weltweit die Nummer drei, in den kommenden zehn Jahren streichen, 7000 davon in Deutschland, Werke werden geschlossen, Conti hat in der vergangenen Woche ein überraschend hartes Sanierungsprogramm aufgelegt.

Die Situation bei vielen Wettbewerbern ist nicht besser. Bosch wird von der geringeren Dieselnachfrage getroffen, bei ZF fürchten Mitarbeiter um ihre Arbeitsplätze, Schaeffler führt Kurzarbeit ein und stellt Hunderte Jobs zur Disposition, Mahle schließt ein Werk, die großen Zulieferer Eisenmann und Weber Automotive sind insolvent, die Gießerei Avir Guss kämpft noch gegen die Pleite.

Ob groß oder klein – alle Zulieferer leiden aktuell unter einer bedrohlichen Gemengelage. Denn es ist nicht nur der Einbruch der Autoproduktion (weltweit um fünf Prozent), der ihnen zu schaffen macht. Zugleich befindet sich die Industrie mitten in den Turbulenzen einer technischen Revolution. Der Verbrennungsmotor wird ausrangiert, alternative Antriebe ausgerollt.

Dabei drohen die Kernkompetenzen der deutschen Ingenieure wertlos zu werden. Die seit mehr als 100 Jahren perfektionierte Wertschöpfungskette der Automobilherstellung, an der die Zulieferer einen wachsenden Anteil haben, droht zu reißen.

Studie: 125.000 Jobs fallen bis 2030 weg

Von der „schwierigsten Zeit für die Automobilindustrie seit 20 Jahren“ spricht der Duisburger Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer. Viele Beobachter erwarten, dass diese Krise nicht so schnell vorüberzieht wie die letzte während der Finanzkrise vor zehn Jahren.

Nach einer aktuellen Prognose von Dudenhöffers Center Automotive Research (CAR), die Tagesspiegel Background vorliegt, könnten bis 2030 bei deutschen Autobauern und Zulieferern mehr als 233.000 von heute 834.000 Arbeitsplätzen verloren gehen. Die Schätzung nimmt an, dass dann zwei Drittel der Autoproduktion auf rein elektrische Fahrzeuge entfällt – eine Fertigung, die deutlich weniger komplex ist und mit weniger Beschäftigten auskommt. Dudenhöffer glaubt nicht, dass neue Jobs in der Elektromobilität den Verlust aufwiegen. Unter dem Strich, so sagt er voraus, gehen bis 2030 fast 125.000 Arbeitsplätze in der deutschen Automobilindustrie verloren.

Allenfalls das „müde“ Klimaprogramm der Bundesregierung werde den Stellenabbau etwas verlangsamen, weil es dem Verbrennungsmotor ein etwas längeres Leben zubillige. „Insbesondere die Zulieferbetriebe in Korea und China gewinnen durch das langsame Umsteuern in Deutschland“, sagt Dudenhöffer. In Summe koste das deutsche Klimaprogramm gut 30.000 Arbeitsplätze.

Druck von allen Seiten - bei niedrigen Gewinnmargen

Eine Kombination aus Absatzrückgang, Sparprogrammen und gleichzeitig hohen Investitionen setzt die Autohersteller von mehreren Seiten unter Druck – und damit auch ihre Lieferanten, die inzwischen bei Entwicklung und Produktion für 75 Prozent eines Autos verantwortlich sind.

Die mittelständisch geprägte Zuliefererbranche ist darauf schlecht vorbereitet. „Für das laufende Jahr wird eine durchschnittliche EBIT-Marge von etwa sechs Prozent erwartet, der niedrigste Wert seit 2012“, heißt es in der jüngst veröffentlichten „Global Automotive Supplier Study 2019“ von Roland Berger und Lazard, für die Kennzahlen von mehr als 600 Zulieferern weltweit ausgewertet wurden.

In den fetten Autojahren haben gerade viele kleinere Unternehmen offenkundig ihre Kapitaldecke und Profitabilität nicht ausreichend stärken können. Ob hausgemacht oder extern verursacht – die Probleme der Zulieferer könnten zum Problem für den gesamten Standort Deutschland werden.

Das befürchten zumindest Betriebsräte und Gewerkschaften. Immerhin arbeiten allein bei den Zulieferern hierzulande rund 300.000 Beschäftigte. In strukturschwachen Regionen wie dem Saarland, Süd-Hessen oder Thüringen, in denen Zulieferer ihren Standort haben, ist die Sorge vor Arbeitsplatzverlusten besonders groß.

Die IG Metall sieht deshalb die Politik in der Verantwortung und hat schon im Sommer ein Konjunkturprogramm vorgeschlagen. Eine Idee, die angesichts der jüngsten schlechten Nachrichten aus der Wirtschaft aktuell geblieben ist – und womöglich vor dem nächsten Autogipfel im Kanzleramt im November wieder auf die Tagesordnung kommt.

IG Metall schlägt Transformationsfonds vor

Frank Iwer, im IGMetall-Vorstand für die Autoindustrie zuständig und vom 1. Oktober an Personalchef bei ZF, schwebt ein „Transformations- und Finanzierungsfonds“ vor, der sich aus zwei Elementen zusammensetzt. Zum einen soll er gesunden mittelständischen Autozulieferern Zugang zu Krediten ermöglichen, der ihnen von den Banken verwehrt wird, weil die Geldhäuser die Risiken der Autobranche fürchten.

Zum anderen soll der Fonds, der laut IG Metall ein zweistelliges Milliardenvolumen haben müsste, in ausgewählten Fällen notleidende Unternehmen auffangen und vor der Pleite bewahren. Auch ein Transformationskurzarbeitergeld hatte Iwer ins Gespräch gebracht.

Zur Finanzierung des Fonds, der schon beim letzten Autogipfel bei der Kanzlerin präsentiert und zunächst verworfen wurde, sollen Finanzinvestoren, Autokonzerne und der Bund herangezogen werden. Am Rande der IAA hatte IG-Metall-Vorstand Iwer unlängst bekräftigt, es gebe darüber „Diskussionen auf allen Ebenen“, auch mit dem Kanzleramt und dem Bundeswirtschaftsministerium.

Dort hat man die Idee der Arbeitnehmervertreter zur Kenntnis genommen – mehr nicht. Das Ministerium verweist auf die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität (NPM). Sie sei das geeignete Forum, um über Ideen wie einen Rettungsfonds zu diskutieren.

Doch die Diskussion um staatliche Hilfen für angeschlagene Autozulieferer dürfte nicht lange den Experten überlassen bleiben. Schon im Sommer hatten die Ministerpräsidenten der drei „Autoländer“ Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen – Winfried Kretschmann (Grüne), Markus Söder (CSU) und Stephan Weil (SPD) – in einer ungewöhnlichen Koalition die Bundesregierung aufgefordert, schneller und vorausschauender auf den Umbau der Automobilindustrie zu reagieren.

In den drei Ländern beschäftigen Autobauer wie BMW, Daimler und Volkswagen sowie große Zulieferer nach eigenen Angaben zusammen mehr als eine Million Menschen. Der Ankündigung, nicht länger abwarten zu wollen und „gemeinsam Druck zu machen“, werden die drei Autoländer wohl noch in diesem Jahr Taten folgen lassen. Die Rede ist von einem gemeinsamen Kabinettsausschuss im Dezember.

Der Umstieg auf alternative Energien sei schon richtig, sagte etwa Bosch-Betriebsratschef Mario Gutman vergangene Woche in der Talkshow „maybrit illner“. Zugleich machte er deutlich, dass er die „Klima-Hysterie“ für ein „Riesenproblem“ halte, Hunderttausende Arbeitsplätze seien gefährdet. „Die stehen alle auf der Straße und demonstrieren“, sagte er mit Blick auf die Fridays-for-Future-Demonstrationen. „Wo wollen die alle arbeiten?“

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