Bald 40 Werte im Leitindex: Warum der Dax größer werden soll
Der deutsche Leitindex Dax bekommt strengere Regeln und wird ausgeweitet. Was das für Anleger bedeutet - und welche Firmen nun aufsteigen könnten.
Ein Unternehmen, das in den Dax aufsteigt, hat es geschafft. Es zählt zu den wichtigsten Konzernen des Landes. Als zuletzt der Delivery Hero in den deutschen Leitindex aufgenommen wurde, sagte dessen Chef Niklas Östberg, das sei eine Bestätigung, dass die Anleger an seine Plattform für Lieferdienste glaubten. Ein Ritterschlag also. Künftig könnten den mehr Unternehmen als bislang erhalten: Die Deutsche Börse will den Dax vergrößern – von bislang 30 auf dann 40 Werte.
Börsenchef Theodor Weimer wirbt dafür: „Es ist kein Geheimnis, dass ich persönlich die Ausweitung des Dax 30 auf einen Dax 40 begrüßen würde“, sagte er am Montag.
Den Dax zu vergrößern, ist einer von mehreren Vorschlägen, um den wichtigsten deutschen Aktienindex zu reformieren. Nach der Pleite des Zahlungsdienstleisters Wirecard, der noch bis August im Dax vertreten war, soll damit der Neuanfang gelingen. Die Vorschläge stammen von einem Arbeitskreis, dem neben Vertretern der Deutschen Börse auch Manager von Banken und Fondsgesellschaften angehören. Bevor die Regeln endgültig festgezurrt werden, haben nun Investoren bis Anfang November Zeit, ihre Meinung dazu abzugeben.
Ihre Zustimmung gilt aber als sicher. Denn die bisherige Zusammensetzung des Leitindexes ist den Augen vieler schon lange als überholt.
Warum der Dax wächst
Als „Industriemuseum“ hat ein Analyst den Dax jüngst verspottet. Denn dominiert wird er noch immer von der „Old Economy“ – in den USA dagegen prägen längst große Techkonzerne wie Facebook oder Amazon den dortigen S&P 500. Dabei gibt es auch hierzulande einige innovative Konzerne, die global erfolgreich sind. Schon länger als Dax-Kandidat gilt zum Beispiel Symrise. Der Konzern stellt Duft- und Geschmacksstoffen her und ist damit weltweit aktiv. Seine Stoffe bestimmen etwa, wie Sonnenmilch riecht oder wie Chips schmecken.
Auch junge Techfirmen warten auf den Sprung in den Dax – allen voran Zalando. Die Coronakrise hat dem Berliner Onlinehändler noch einmal einen Schub gegeben. Weil mehr Menschen Kleidung im Netz kaufen, konnte Zalando seine Prognose für dieses Jahr kräftig anheben, die Aktie stieg zeitweise auf ein Allzeithoch. Mit der Vergrößerung des Dax hätte Zalando daher gute Chancen in die erste Börsenliga aufzusteigen. Das Biotechunternehmen Qiagen und der Laborausrüster Sartorius dürften ebenfalls in den Dax 40 einziehen.
Wenn der Leitindex wächst, wären also nicht nur mehr Unternehmen, sondern auch mehr Branchen vertreten. Das hat aus Sicht der Anleger Vorteile. Zum einen bekommen Zukunftsbereiche mehr Gewicht. Zum anderen fällt das Klumpenrisiko geringer aus: Derzeit ist der Dax stark von der Entwicklung der Automobilbranche abhängig – gerät sie in die Krise, kann das den Dax schnell runter ziehen. Mit der neuen Zusammensetzung würde das abgemildert.
Wie der Dax im internationalen Vergleich da steht
Über ETFs investieren immer mehr Anleger automatisch in die Aktien, die in einem bestimmten Index vertreten sind. Entsprechend viel Geld fließt Unternehmen eines Leitindizes zu. Mit 30 Konzernen im Dax profitieren davon in Deutschland bislang vergleichsweise wenig Firmen. „Der Dax ist deutlich zu klein, um die Breite der hiesigen Volkswirtschaft abzudecken“, meint Christoph Kaserer, Finanzprofessor an der TU München.
Er würde sogar dafür plädieren, den Dax auf 50 Werte zu erweitern. Damit stünde Deutschland auch international gut da. In Frankreich und Italien sind schon jetzt 40 Firmen im Leitindex vertreten, in Großbritannien sind es 100, in Japan sogar 225.
Welche Firmen in den Leitindex aufsteigen
Stärker an den internationalen Maßstab will sich die Deutsche Börse noch in einem anderen Punkt anpassen: Bislang entscheiden Marktkapitalisierung und Börsenumsatz darüber, wer in den Dax aufsteigt. Neben der Frage, wie viel das Unternehmen in den Augen der Aktionäre wert ist, spielt also auch eine Rolle, wie häufig die Aktien den Besitzer wechseln. Künftig soll es hingegen für den Börsenumsatz lediglich eine Mindestsumme geben, entscheidend für die Aufnahme in den Dax wird dann die Marktkapitalisierung sein. Was technisch klingt, hat Folgen: So wäre nach den neuen Regeln zuletzt Symrise und nicht Delivery Hero in den Dax aufgestiegen.
Für eine Kontroverse sorgen dürfte die neue Vorgabe, nach der künftig nur noch profitable Unternehmen in die erste Börsenliga aufsteigen sollen. Eine Firma muss also Gewinn machen, um in den Dax aufgenommen zu werden. Auch nach dieser Regel hätte Delivery Hero keine Chance gehabt: Das Unternehmen mit Hauptsitz in Berlin ist in den letzten Jahren zwar rasant gewachsen und an der Börse Milliarden wert – hat aber noch nicht bewiesen, dass es mit seinen Lieferdiensten Geld verdienen kann.
Nach dem Dax-Aufstieg des Lieferdienstanbieters fragten sich deshalb viele, ob solch ein Unternehmen tatsächlich in einen Leitindex gehört. Gründe gibt es dafür wie dagegen. Einerseits ist zwar offen, ob as Geschäftsmodell nachhaltig erfolgreich ist – andererseits ist die Börse per se immer eine Wette auf die Zukunft. Deshalb versteht Finanzprofessor Kaserer diese Einschränkung auch nicht. „Das scheint mir eine Art Lex ’Delivery Hero’ zu sein“, sagt er. Wäre Tesla zum Beispiel ein deutsches Unternehmen, würde man es damit vom Dax ausschließen – und das obwohl es mehr als doppelt so viel wert ist wie SAP, dem derzeit wertvollsten Dax-Konzern.
Welche Folgen die Wirecard-Pleite hat
Ausschlaggebend für die Überprüfung des Regelwerks war der Fall Wirecard. Deshalb sollen die neuen Vorgaben auch die Glaubwürdigkeit und Seriosität des Dax stärken. So können künftig zum Beispiel Unternehmen auch dann aus dem Leitindex fliegen, wenn sie ihre Bilanz nicht rechtzeitig vorlegen. Wirecard hatte die Veröffentlichung der Zahlen nach Ungereimtheiten mehrmals verschoben.
Am Ende kam ein Bilanzskandal ans Licht, der zur Insolvenz des damaligen Dax-Konzerns führte. Weil so etwas auch dem Dax und damit dem Ansehen des Finanzstandorts Deutschland schadet, soll ein Unternehmen in einem solchen Fall künftig nicht erst aus dem Dax fliegen können, wenn es pleite ist. Um ein insolventes Unternehmen aus dem Dax zu werfen, hatte die Börse die Regeln bereits im August angepasst.
Die Arbeitsgruppe nutzt die Anpassung des Regelwerks darüber hinaus, um eine ethische Frage zu klären. So sollen künftig keine Unternehmen mehr in den Dax-Indizes (also auch M-Dax, Tec-Dax und S-Dax) vertreten sein, die mehr als zehn Prozent ihrer Umsätze mit kontroversen Waffen machen. Gemeint sind etwa Streubomben oder Landminen. Die Börse reagiert mit dieser Regelung auch auf die Anforderungen von Investoren, die ihre Geldanlage zunehmend nach ethischen Gesichtspunkten hinterfragen.
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