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Abzugsbewegungen. Trotz der harten Einschnitte bei Filialen und Mitarbeitern sieht ein neues Gutachten die Zukunft von Schlecker skeptisch.
© dpa

Drogeriekette: Warum alle Schlecker retten wollen

Einst war das Unternehmen Schlecker wegen seiner Arbeitsbedingungen verpönt. Doch es gibt Argumente für eine staatlich finanzierte Transfergesellschaft.

Er gilt als der unbeliebteste Unternehmer Deutschlands, und doch wollen ihm alle helfen: Seitdem Anton Schlecker, jahrzehntelang verschrien als Billigheimer und Ausbeuter, seine Drogeriemarktkette vor die Wand gefahren hat, stehen Mitarbeiter, Politik und Gewerkschaften parat. In den vergangenen Wochen berichteten Schlecker-Frauen von guten Löhnen und unbefristeten Verträgen, davon, dass ihr Herz an ihrem Unternehmen hänge. Die Schuld an der Pleite gaben sie nicht Schlecker, sondern dem Preiskampf der anderen Discounter oder der Billig-Mentalität der Verbraucher. Auch die Gewerkschaften, für die Anton Schlecker der perfekte Feind war, plädieren vehement für Staatshilfe. Sogar Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen ist überzeugt, dass ein Kredit für Schlecker sinnvoll ist.

Die Öffentlichkeit mag das wundern, haben sich in deren Bewusstsein doch in erster Line Schleckers Skandale eingebrannt: Mitte der 90er Jahre kam heraus, dass der Drogerieunternehmer seinen Mitarbeitern vortäuschte, Tarif zu zahlen, die Löhne aber unterschritt. 1998 wurde er deshalb vom Stuttgarter Landgericht zu zwei Millionen DM Strafe verurteilt. Eine funktionierende Mitarbeitervertretung gab es bis Mitte der 90er nicht, stattdessen machte die Firma mit Überwachungsskandalen Schlagzeilen. Am meisten aber prägte wohl die jüngste Leiharbeitsepisode das Bild des Ulmer Unternehmens. 2010 wurden tariflich beschäftigte Mitarbeiter aus kleineren Filialen gekündigt, Schlecker bot ihnen dafür eine Anstellung bei der Zeitarbeitsfirma Meniar an, die die Beschäftigten dann an die Schlecker-Tochter XL auslieh – zu einem Bruchteil des Lohns.

Doch den meisten Mitarbeitern ging es da schon besser: Ab Mitte der 90er Jahre konnten sie nicht mehr über ihre Löhne klagen. Denn kurz nach Bekanntwerden des Täuschungsskandals ließ Schlecker bundesweit Betriebsräte zu und einigte sich mit den Gewerkschaften auf einen Tarifvertrag. Genau das, sagen Experten, hat Schlecker das Genick gebrochen. „Schlecker ist den Gewerkschaften zu weit entgegen gekommen, weil er eine weitere Rufschädigung verhindern wollte“, sagt Thomas Roeb, Handelsprofessor an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. „Mit seinem Geschäftsmodell konnte er sich solche Löhne eigentlich nicht leisten.“

Das Modell war das eines Nahversorgers für Drogerieartikel mit vielen Filialen. Doch damit ließen sich pro Geschäft nur geringe Umsätze erwirtschaften. Deshalb brauchte Schlecker günstige Konditionen: kleine Geschäfte in billigen Lagen, nur eine Mitarbeiterin pro Filiale, kaum Investitionen in die Ausstattung. „Durch die Tarifbindung sind die Personalkosten von rund 18 auf 28 Prozent gestiegen“, sagt Roeb. Um das zu finanzieren, habe Anton Schlecker selbst Geld zugeschossen, bis zuletzt. Anstatt die Zahlen offenzulegen und zuzugeben, dass es so nicht mehr weitergehen konnte. „Er gab lieber sein privates Vermögen auf und finanzierte die Verluste, als seine private Kontrolle zu verlieren, indem er die Gewerkschaften informierte und einbezog“, sagt Roeb. Die Leiharbeitsepisode war nach Meinung des Handelsexperten ein letzter verzweifelter Versuch, die Lohnkosten zu drücken. „Schlecker stand schon damals das Wasser bis zum Hals“, glaubt Roeb.

Die Gewerkschaften sehen das naturgemäß anders. „Schlecker ist gescheitert, weil es sein Ladenkonzept nicht weiterentwickelt hat, nicht wegen der Löhne“, sagt Verdi-Sprecherin Christiane Scheller. Die Sortimente seien nicht an regionale Bedürfnisse angepasst gewesen, Schlecker habe Trends verpasst. Kurzum: Das Geschäftsmodell passte nicht mehr in die Zeit. Während Schlecker an der Beleuchtung sparte, setzten dm und Rossmann längst auf das Einkaufserlebnis. „Auch die Konkurrenz orientiert sich an den Tarifen“, sagt Scheller. „Bei Schlecker sehen wir klares Missmanagement.“ Ein am Montag veröffentlichtes Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC im Auftrag von Baden-Württemberg bestätigt das: Es sei „nicht gewährleistet“, dass sich innerhalb von sechs Monaten ein Investor finde, ein Weiterbetrieb in Eigenregie sei „sehr herausfordernd“.

Warum aber soll der Staat für so ein Unternehmen einspringen und 71 Millionen Euro für eine Transfergesellschaft zur Verfügung stellen? „Die Politik hätte nicht zulassen dürfen, dass eine so große Firma in dieser Rechtsform geführt wird“, sagt Scheller. Anton Schlecker war eingetragener Kaufmann, hatte kaum Nachweispflichten. „Schlecker hat dadurch den Überblick über sein Imperium verloren.“ Zudem argumentiert Verdi mit der Versorgung auf dem Land. „An 550 Standorten ist Schlecker der einzige Versorger“, sagt Scheller. Die Mitarbeiterstruktur mache eine Transfergesellschaft nötig. „Viele Frauen sind älter als 50, sie haben sich seit Jahrzehnten nicht beworben.“ Der Betreuungsschlüssel sei in der Transfergesellschaft viel höher als im Jobcenter.

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