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Unsichere Verhältnisse. Viele Supermarktketten lagern zentrale Tätigkeiten aus, um Lohnkosten zu sparen.
© picture alliance / dpa

Arbeitsbedingungen im Handel: Wachsender Abstand

Über Werkverträge drücken viele Unternehmen die Löhne. Die Kontrolle ist schwierig.

In einer Berliner Netto-Filiale räumte Andreas Döhler Regale ein, stellte Weinflaschen, Putzmittel und Süßigkeiten an den richtigen Platz. Eigentlich hätte er dafür 9,80 pro Stunde bekommen müssen, denn Netto-Marken-Discount zahlt seinen Mitarbeitern Tarif. Döhler aber war kein Mitarbeiter von Netto. Er arbeitete für den Leipziger Dienstleister Combera Handels Service, mit dem Netto einen Werkvertrag geschlossen hatte. Die Waren stellte er für sechs Euro plus 40 Cent Zuschlag die Stunde ins Regal – ein Bruchteil des Tariflohns.

Nicht nur Netto, auch die meisten anderen Supermarktketten und Drogerien lagern mittlerweile Tätigkeiten, die früher eigene Mitarbeiter ausgeführt haben, an Dienstleister aus. Die Firmen sind größtenteils unbekannt, heißen Combera, Warehouse Packing Reinforcement oder Teamwork. Organisiert haben sie sich im Arbeitgeberverband Instore und Logistic Services (ILS), der mit der Gewerkschaft DHV einen äußerst günstigen Tarifvertrag ausgehandelt hat: Sechs Euro pro Stunde im Osten, 6,50 Euro im Westen.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi sieht einen Trend. „In den vergangenen zwei bis drei Jahren haben die Werkverträge extrem zugenommen“, sagt Tarifexperte Rüdiger Wolff. Früher wären die Firmen zur Umgehung der Tariflöhne auf die Leiharbeit ausgewichen. Doch seit 2011 gilt hier ein Mindestlohn – im Westen 7,89 Euro, im Osten 7,01 Euro. Zudem sei die Mitbestimmung noch geringer als bei Zeitarbeit. „Bei Werkverträgen haben die Betriebsräte kein Mitspracherecht“, sagt Wolff. Verdi schätzt, dass im Handel mittlerweile bis zu 100 000 Beschäftigte per Werkvertrag angestellt sind. Genaue Zahlen gibt es aber nicht, weil es keine Berichtspflicht gibt. Der Arbeitgeberverband ILS vertritt nach eigenen Angaben 17 Unternehmen mit insgesamt 50 000 Mitarbeitern.

Die Handelsunternehmen nutzen die Werkverträge nicht nur, um die Löhne zu drücken, sie bestehen nach Ansicht der Gewerkschaften in vielen Fällen nur zum Schein. Denn eigentlich dürfen die Mitarbeiter der Dienstleister nicht mit den Festangestellten Tätigkeiten gemeinsam ausführen. Und auch den Arbeitsablauf muss der Dienstleister selbst organisieren. „Die Supermärkte dürfen den Mitarbeitern der Werkvertragsfirmen keine Anweisungen erteilen“, sagt Rainer Kuschewski von Verdi. In der Realität sei das aber häufig der Fall. Der Deutsche Gewerkschaftsbund geht davon aus, dass „viele Werkverträge als Leiharbeit, und zwar mangels Erlaubnis als illegale Leiharbeit“ zu qualifizieren wären. Das bestätigt auch Peter Schüren, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Münster. „Gerade beim Regaleinräumen ist es in der Praxis schwierig, die Bedingungen für Werkverträge einzuhalten“, sagt er.

Der Arbeitgeberverband sieht kein Problem: „Die ILS-Mitglieder halten sich an die rechtlichen Vorgaben“, teilte ILS auf Anfrage mit. Werkverträge seien elementare Grundlage der arbeitsteiligen Wirtschaft, es gebe keinen Grund zur Skandalisierung. „Der ILS distanziert sich vehement von der Praxis sogenannter Scheinwerkverträge zur Umgehung gesetzlicher Bestimmungen.“

Eigentlich gehen die Firmen ein großes Risiko ein: Fliegt ein Scheinwerkvertrag auf, drohen Geldstrafen von bis zu 25 000 Euro. Auch muss das Handelsunternehmen die Beschäftigten des Dienstleisters fest anstellen – zum Tarif. Sozialversicherungsbeiträge müssen die Firmen ebenfalls nachzahlen. Für die Kontrolle ist der Zoll zuständig. Der durchsuchte erst kürzlich Logistikstandorte von Netto-Marken-Discount und Kaufland wegen des Verdachts auf Scheinwerkverträge und Lohndumping. Allerdings kann der Zoll nicht einfach so prüfen, er braucht konkrete Hinweise. „Die Kontrolle ist schwierig, weil die Behörden beweisen müssen, dass ein Scheinwerkvertrag vorliegt“, sagt Verdi-Mann Kuschewski. Daher fordert die Gewerkschaft eine Umkehr der Beweislast. „Die Unternehmen sollten nachweisen müssen, dass sie sich korrekt verhalten“, sagt Kuschewski.

Das Bundesarbeitsministerium sieht jedoch keinen Anlass zu Gesetzesänderungen. „Hinweise über eine weit verbreitete, systematisierte missbräuchliche Nutzung von Werkverträgen zur Umgehung von tariflichen oder arbeitsrechtlichen Standards liegen nicht vor“, teilte das Ministerium mit. Man prüfe aber, wie man die Kontrollen noch verbessern könne. Auch Arbeitsmarktforscher Ulrich Walwei sieht eine weitere Regulierung der Werkverträge kritisch, weil sie auch von vielen Selbständigen genutzt werden. „Die Gefahr besteht, dass man damit Menschen den Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert“, sagt er. Den Arbeitnehmern selbst bleibt immer noch die Möglichkeit, zu klagen. Doch viele scheuen das Risiko und die Kosten.

Netto-Marken-Discount hat die Zusammenarbeit mit Combera nun vorerst beendet. Auf Anfrage teilte der Discounter mit, der Vertrag für den Berliner Markt, in dem auch Andreas Döhler gearbeitet hatte, sei bereits ausgelaufen. „Die Zusammenarbeit für die weiteren acht Filialen in Halle und Leipzig läuft Ende März 2012 aus“, sagte Netto dem Tagesspiegel.

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