Abgasskandal bei Volkswagen: VW-Chef Müller unter Druck
Nachdem die Konzerntochter Audi in den USA den Einsatz einer illegalen Software bei Sechszylinder-Diesel-Motoren zugegeben hat, nehmen Zweifel an der Eignung des neuen VW-Chefs Matthias Müller als Retter in der schwersten Krise des Wolfsburger Konzerns zu.
"Jetzt rächt sich, dass man nicht jemanden von außen an die Konzernspitze geholt hat, der unbelastet ist", kritisiert Helmut Becker vom Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation in München. Volkswagen hatte die Vorwürfe der US-Umweltbehörde Epa Anfang November zurückgewiesen und erklärt, die bei größeren Motoren eingebaute Software habe nicht den Zweck, Abgaswerte zu manipulieren. Nun musste Audi eingestehen, dass es sich dabei nach US-Recht doch um eine illegale Abschalteinrichtung handelt.
Audi-Chef Stadler stand der Epa vergangene Woche Rede und Antwort
Angesichts der Brisanz war Audi-Chef Rupert Stadler vergangene Woche in die USA geflogen, um die Software der US-Umweltbehörde Epa zu erläutern. Anschließend teilte die Behörde mit, dass die Trickserei bis auf 2009 zurückreiche und einschließlich aktueller Modelljahre insgesamt 85.000 Fahrzeuge davon betroffen seien. Anfang November war noch die Rede von 10.000 Fahrzeugen. Der von Audi entwickelte V6 TDI Dieselmotor mit drei Litern Hubraum wird in den VW Touareg, den Porsche Cayenne sowie mehrere Luxuslimousinen von Audi wie den A8 und in die Geländewagen Q5 und Q7 eingebaut. Kritiker argumentieren, Müller hätte angesichts der Dimension von den Unregelmäßigkeiten Kenntnis haben müssen. Als Porsche-Chef gehörte er seit Februar auch der obersten Führungsebene an, bevor er im Zuge des Abgasskandals an die Konzernspitze rückte. Volkswagen gibt zu diesem Vorwurf keine Stellungnahme ab.
Einige Analysten sehen den Konzernchef geschwächt
Einige Analysten sehen den Konzernchef durch die neuen Eingeständnisse geschwächt. "Je mehr bekannt wird, desto dünner wird die Luft für Herrn Müller", sagt Ingo Speich, Fondsmanager von Union Investment. Er fordert schon seit längerem, dass VW unbelastete Manager ans Steuer lässt. "Bei der Tragweite, die der Skandal annimmt, hätten zumindest vorübergehend externe Kandidaten an die Spitze geholt werden müssen." Speich bezieht Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, der zuvor Finanzvorstand von Volkswagen war, ausdrücklich in die Kritik ein. Mit der gegenwärtigen Führung sei es für Volkswagen kaum möglich, das Vertrauen des Kapitalmarkts zurückzugewinnen. An einer Front kann Müller inzwischen zumindest erste Erfolge verbuchen: Der Aufwand für die Nachrüstung der in Europa manipulierten Fahrzeuge sei technisch, handwerklich und finanziell überschaubar, teilte der Konzern mit. An der Börse kam dies gut an. Die VW-Aktie, die im Zuge der Abgaskrise knapp 30 Prozent ihres Werts verloren hat, legte am Dienstag zeitweise mehr als fünf Prozent zu.
Der Neue steht seit September an der Konzernspitze
Müller war im September angetreten, um in der Abgaskrise verlorenes Vertrauen für Volkswagen zurückzugewinnen. Zu dem Zeitpunkt war noch nicht absehbar, dass über den von der EPA aufgedeckten Betrug beim Stickoxidausstoß von Vierzylinder-Motoren mit zwei Litern Hubraum hinaus weitere Risiken in dem Wolfsburger Mehrmarkenkonzern schlummern. Anfang November musste Volkswagen einräumen, dass bei der Typ-Zulassung von als besonders umweltfreundlich geltenden Modellen zu niedrige Kohlendioxid-Werte und damit auch falsche Verbrauchsangaben gemacht wurden. Der Skandal, der bis dahin auf Diesel-Autos begrenzt war, erreichte damit erstmals auch Benziner.
Manche vermuten einen Machtkampf bei VW
Kommunikationsexperte Becker, der früher Chefvolkswirt von BMW war, vermutet hinter dem Eingeständnis der Manipulation von Audi einen internen Machtkampf in dem Wolfsburger Konzern: "Eigentlich ist es eine Auseinandersetzung zwischen Müller und Stadler." Der langjährige Audi-Chef Stadler habe als aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge von Martin Winterkorn gegolten, als der bei Bekanntwerden der Abgasaffäre zurücktrat. "Stadler ist zu kurz gekommen, und jetzt wird er herausgekegelt", glaubt Becker. Audi wollte sich dazu nicht äußern.
Andere werten das Eingeständnis von Audi als Befreiungsschlag für Müller
Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer sieht das Eingeständnis von Audi vor allem als Befreiungsschlag für Müller. "Das ist eher eine Entkrampfung der Situation", sagt Dudenhöffer, der das CAR-Center an der Uni Duisburg-Essen leitet. Audi habe offenbar versäumt, die Software bei den US-Behörden vorschriftsmäßig anzumelden. "Man hat nicht bewusst manipuliert, um Dinge vorzutäuschen." Er gehe zwar davon aus, dass die EPA eine Strafe verhängen werde. Nach seinen Berechnungen wären dies vermutlich rund 200 Millionen Dollar. "Das ist für Audi kein Problem", sagt Dudenhöffer. Am Ende könne Volkswagen womöglich mit einem blauen Auge davonkommen.
Die Strafen für VW sind noch nicht absehbar
Allerdings ist noch überhaupt nicht absehbar, wie hoch die Strafen für die von VW zugegebene Manipulation bei den kleineren Motoren in den USA ausfallen. Auch dürfte Volkswagen mit hohen Schadensersatzforderungen konfrontiert werden. Analysten gehen von einem möglichen Gesamtschaden durch den Abgasskandal von bis zu 40 Milliarden Euro aus, einige halten auch mehr für möglich. Ausgestanden ist der Abgasskandal also längst nicht, und damit steht und fällt auch Müllers Zukunft als Chef von Volkswagen. (rtr)