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Was wird aus VW? Der Streit hört nicht auf.
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Keine Entschädigung nach US-Vorbild: VW-Chef Matthias Müller: Entschädigung für alle überfordert Volkswagen

Deutsche Kunden haben das Nachsehen. Justizminister Heiko Maas fordert bessere Informationen für Verbraucher. Großkunde Deutsche See klagt gegen VW.

VW-Chef Matthias Müller hat vor drastischen Konsequenzen gewarnt, falls der Autobauer im Abgas-Skandal die Kunden in Europa nach US-Vorbild entschädigen müsste. Volkswagen habe bislang zur Lösung der Krise 16,2 Milliarden Euro zurückgestellt und sei weiterhin finanziell solide aufgestellt. „Aber man muss kein Mathematiker sein um zu erkennen, dass eine Entschädigungszahlung in beliebiger Höhe auch Volkswagen überfordern würde", sagte Müller der „Welt am Sonntag“.

Mindestens 5100 Dollar für US-Kunden

In den USA hatte VW in der vergangenen Woche nach monatelangen Verhandlungen eine Einigung mit US-Behörden und Klägern erreicht. Demnach wird Volkswagen die Abgas-Affäre in den USA voraussichtlich bis zu 15 Milliarden Dollar kosten. Ein entsprechendes Paket sieht Rückkäufe, Entschädigungen und Strafen vor. So will VW US-Kunden mit manipulierten Autos jeweils mindestens 5100 Dollar (4600 Euro) Entschädigung zahlen. Die Besitzer könnten sich aussuchen, ob VW ihre Wagen zurückkaufen oder umrüsten soll. Die Regelung ist noch nicht rechtskräftig, ein Richter muss noch zustimmen.

In den USA sind von den Abgasmanipulationen bei Dieselfahrzeugen rund 500 000 Autos betroffen - weltweit aber elf Millionen Fahrzeuge, davon 2,4 Millionen in Deutschland. Der Abgas-Skandal hatte VW in eine schwere Krise gestürzt. 2015 verbuchte der Autobauer den größten Verlust der Konzerngeschichte.

Der Milliarden-Mann: Richter Charles R. Breyer entscheidet über den Schadensersatz in den USA.
Der Milliarden-Mann: Richter Charles R. Breyer entscheidet über den Schadensersatz in den USA.
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Sind die Deutschen Kunden zweiter Klasse?

Müller lehnte erneut eine etwa von Verbraucherschützern geforderte Entschädigungsregelung wie in den USA für die übrigen betroffenen Kunden ab. Er verwies auf eine andere Sachlage. „In den USA sind die Grenzwerte deutlich strenger, damit wird auch die Nachrüstung komplizierter.“ Außerdem sei die Teilnahme an einer Rückrufaktion in den USA freiwillig - anders als etwa in Deutschland. Die Behörden in den USA erwarteten zudem, dass möglichst viele Fahrzeugbesitzer ihre Autos umrüsten, sagte Müller der Zeitung. „Mit der Prämie in den USA sollen wir unseren Kunden einen Anreiz zur Teilnahme an der Umrüstung geben.“ Dies 1:1 etwa mit der Lage in Deutschland zu vergleichen, sei nicht möglich. „Und was es nicht zuletzt wirtschaftlich für unser Unternehmen bedeuten würde, wenn wir das doch tun würden, muss ich wohl nicht weiter ausführen.“

Verbraucherschützer beklagen dagegen schon seit längerem, dass die Kunden auf dem Heimatmarkt weit weniger Rechte haben als die VW-Käufer in den USA. Der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, Klaus Müller, sprach im Tagesspiegel von "Kunden zweiter Klasse". Auch in Deutschland sind zahlreiche Klagen von Käufern gegen Volkswagen oder VW-Händler anhängig. Die Kunden streiten entweder um Schadensersatz oder um die Rückgängigmachung des Kaufvertrags. Sammelklagen wie in den USA gibt es in Deutschland nicht, Prozessdienstleister und Inkassounternehmen bieten Kunden aber an, sich die Ansprüche abtreten zu lassen und gegen eine Erfolgsbeteiligung die Durchsetzung zu übernehmen.

Verbraucherminister Maas will mehr Informationen für die Kunden

Bundesverbraucherminister Heiko Maas arbeitet derzeit an Musterklagen für Verbraucher, die den Musterprozessen bei Kapitalanlageverfahren nachgebildet sein sollen. Mit schnellen Ergebnissen ist aber nicht zu rechnen. Maas forderte am Wochenende angesichts des Abgas-Skandals vor allem bessere Informationen für Autokäufer über die Schadstofftechnik von Fahrzeugen. „Volle Transparenz für die Kunden ist beim Thema Abgasreinigung sicherlich nicht ausreichend der Fall gewesen - nicht nur bei VW. Das wird sich ändern müssen“, sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. „Auch die Verbraucher werden mit dafür sorgen, dass an dieser Stelle künftig keine Fragen mehr offen bleiben.“ Bei Untersuchungen des Kraftfahrt-Bundesamts im Zuge der Affäre um Abgas-Manipulationen bei VW waren auch bei anderen Marken auffällige Werte ins Auge gefallen. Dabei wurde offenkundig, dass sich die Abgasreinigung teils bei bestimmten Temperaturen abschaltet. Dies dürfte nicht allen Autobesitzern beim Kauf klar gewesen sein. Maas sagte: „Der Verbraucher hat das Recht, umfassend informiert zu werden. Das ist das A und O, um sich entscheiden zu können, ob man ein Produkt kauft oder nicht.“ Um die Abgasreinigung nachzubessern, sollen 630 000 Wagen freiwillig in die Werkstätten gerufen werden.

Großkunde Deutsche See plant ebenfalls Klage

Volkswagen bekommt aber nicht nur Ärger mit seinen Privatkunden. Das Fischunternehmen Deutsche See plant eine millionenschwere Klage wegen arglistiger Täuschung gegen Volkswagen. Der Mittelständler wirft dem Autobauer vor, Absprachen für gemeinsame Nachhaltigkeitsprojekte nicht eingehalten zu haben. Die Deutsche See ist VW-Großkunde und hatte vor rund sechs Jahren seinen 450 Wagen starken Fuhrpark komplett auf VW-Konzernfahrzeuge umgestellt. Ein VW-Konzernsprecher sagte am Sonntag auf Anfrage: „Da uns eine solche Klage nicht vorliegt, können wir uns dazu auch nicht äußern.“ Es geht um VW- und MAN-Nutzfahrzeuge sowie VW-Pkw und Audi. Die Vereinbarung habe auch beeinhaltet, zusammen Praxisbeispiele für umweltschonende Logistik auszuarbeiten. Der geschäftsführende Gesellschafter der Deutschen See, Egbert Miebach, sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Wir sind tief enttäuscht über VW und fühlen uns hingehalten und betrogen, da die gemeinsam angedachte Partnerschaft im Bereich der Nachhaltigkeit nur von unserer Seite eingehalten wurde. Entsprechende Gespräche, dieses zu verändern, wurden von Seiten VW abgeblockt.“ mit dpa

Heike Jahberg

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