Leere Regale im Supermarkt: Von der Psychologie des Hamsterns – und wie die Unternehmen reagieren
Warum hamstern wir Toilettenpapier? Und können Hersteller so schnell, so viel Papier nachliefern? Wir haben nachgefragt bei Produzenten und Psychologen.
Ein Kind sitzt gelangweilt am Esstisch und fragt die Mutter, wann die Coronakrise vorbei sei. Die Mutter antwortet, es solle still sein und das Toilettenpapier essen. In der Müsli-Schüssel vor dem Kind sind nicht etwa Cornflakes, sondern eine Rolle Toilettenpapier. Memes wie dieses werden angesichts der Coronakrise zunehmend im Netz verbreitet.
Während sich die Pandemie immer weiter ausbreitet und die von Bund und Länder beschlossenen Maßnahmen immer drastischer werden, versuchen die Menschen sich ihren Humor zu erhalten. Denn ein besonders beliebtes Produkt bei den derzeitigen Hamsterkäufen ist Toilettenpapier. Dabei hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer ersten außerordentlichen Fernsehansprache versichert, dass es keinen Grund für übermäßige Vorratshaltung gebe. Wieso horten dennoch so viele Menschen Toilettenpapier und wie produzieren Unternehmen so schnell nach? Eine Suche nach Antworten bei Herstellern und Psychologen.
Der Markt für Toilettenpapier ist bei gut 82 Millionen Deutschen groß: Einer Studie des Industrieverbands für Körperpflege und Waschmittel zufolge verbraucht jeder Deutsche pro Jahr 46 Rollen Toilettenpapier, in seinem Leben kommt man auf 3651 Rollen Toilettenpapier. Das entspricht 15 Kilogramm pro Jahr.
Wer die Hersteller sind
Diesen Markt beliefert unter anderem der Papierhersteller Wepa aus dem Sauerland. Die 1948 gegründete Westfälische Papierfabrik, ursprünglich ein Handelsunternehmen für Papierwaren, ist heute die Nummer drei auf dem europäischen Markt für Hygienepapier.
Martin Krengel, jüngster Sohn des Firmengründers, ist seit 2001 Vorsitzender des Familienunternehmens. Er hat im Aufsichtsrat prominente Unterstützung: CDU-Politiker Friedrich Merz ist seit 2009 Vorsitzender des Gremiums. Der Kandidat für den CDU-Parteivorsitz, der nach dem Aufsichtsratssitz bei Blackrock im April nun auch sein Amt als Verwaltungsrat der Stadler Rail aufgibt, wird sein Mandat beim Papierhersteller Wepa hingegen weiter behalten. 2018 berichtete die „Bild am Sonntag“ unter Berufung auf Geschäftsberichte, dass Merz bei der Wepa Industrieholding 80.000 Euro pro Jahr verdiene.
Aktuell spürt auch Wepa die Folgen der Coronapandemie, wie eine Sprecherin mitteilt: „Aufgrund der gestiegenen Abverkäufe im Handel verzeichnen wir seit Anfang März einen deutlich höheren Auftragseingang.“ Produziert werden für den Lebensmitteleinzelhandel und Fachhandel unter anderem Toilettenpapier, Taschentücher, Küchentücher, Handtuchpapier und Kosmetiktücher.
Von den jährlich etwa 780.000 produzierten Tonnen Hygienepapier macht Toilettenpapier den größten Anteil aus. 2018 setzte Wepa europaweit 1,2 Milliarden Euro mit rund 3800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an zwölf Standorten um. Die erhöhte Nachfrage bemerkt das Unternehmen, das außer in Deutschland auch in Italien, Frankreich, Polen, Großbritannien und den Niederlanden produziert, überall gleichermaßen. Wie sehr sich der Umsatz im Vergleich zum ersten Quartal des Vorjahres erhöht hat, lässt der Konzern unkommentiert.
Toilettenpapier wird weiter massenhaft produziert
Wie lange die Coronakrise noch andauern wird, weiß derzeit niemand. Fest steht: „Dank unserer flexiblen Produktionskapazitäten und einem robusten Lieferkettenmanagement konnten wir alle bisherigen Lieferanfragen zeitnah bedienen und sehen uns auch für die Zukunft gut aufgestellt.“ Die Gewährleistung der Versorgungsicherheit habe nach der Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeiter höchste Priorität. So betont Wepa: „Eine Hygienepapierknappheit ist nicht zu erwarten.“
Doch wenn diese Gefahr angeblich nicht besteht, warum hamstern trotzdem so viele Menschen massenweise Toilettenpapier? Der Psychologe und Hirnforscher Hans-Georg Häusel sagt: „Der Mensch ist ein Herdentier. Wenn wir sehen, wie im Supermarkt massenhaft Toilettenpapier gekauft wird, machen wir das auch.“
Häusel forscht seit 40 Jahren zum Konsumverhalten und führt die Hamsterkäufe von Toilettenpapier auf das Dominanzsystem im Gehirn zurück. Dieses ist auf Wettbewerb und Durchsetzung ausgerichtet. Fürsorge- und Dominanzsystem würden sich normalerweise ausgleichen, bei der Coronakrise habe letzteres bei einigen Menschen jedoch die Oberhand. Häusel sagt: „Der Mensch hat zwei große Bedürfnisse, Essen und Verdauen. Hamsterkäufer wollen die Kontrolle über das Leben behalten.“
Konsumenten beruhigen sich am Ende wieder
Doch Häusel gibt auch Entwarnung: Die Hamsterkäufe um Toilettenpapier seien symptomatisch für den Beginn der Krise. Sobald das „Systemvertrauen in den Lebensmittelhandel“ wiederhergestellt sei, würden Verbraucherinnen und Verbraucher von Hamsterkäufen absehen: „Die Politik muss beweisen, dass sie die Lage im Griff hat. Erst dann werden sich die Konsumentinnen und Konsumenten halbwegs beruhigen.“
Bis dahin versichert der Handelsverband Deutschland (HDE), dass die Versorgung der Verbraucherinnen und Verbraucher gewährleistet ist. Hauptgeschäftsführer Stephan Genth sagt: „Es gibt genügend Produkte auf dem Markt. Bei dem einen oder anderen Produkt werden sich dennoch Engpässe vorübergehend nicht vermeiden lassen.“ Unabhängig davon sollten dem HDE zufolge die Verbraucherinnen und Verbraucher weiterhin bedarfsgerecht einkaufen – sonst könnte dies die bestehenden Lieferstrukturen schnell überfordern.
Katharina Horban
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