Das Aldi-Geheimnis: Von der Bäckerei zum Discounter-Imperium
Aldi konzentriert sich auf das Wesentliche und ist damit enorm erfolgreich. Jetzt wird das Familienunternehmen 100 Jahre alt. Wie schafften es die Aldi-Brüder aus einem kleinen Betrieb eine Weltfirma zu machen?
Hinter der Scheibe in der Feinkostetage des KaDeWe liegen 27 verschiedene Würstchensorten, der weiße Kohlpinkel, die helle Rostbratwurst, der dunkle Debrecziner. Meterlang erstrecken sich die Fleischtheken, gruppiert nach Ländern, dazwischen brutzeln Zwiebeln und Steaks in Töpfen und Pfannen. Allein 1200 Sorten Wurst hat das Kaufhaus am Tauentzien im Angebot. Ein paar Kilometer weiter fährt ein Mitarbeiter mit einem Hubwagen durch die grau gefliesten Gänge des Aldi in der Kantstraße und schiebt Paletten in die Regale. Auf einer Fläche, die im KaDeWe die Wursttheke beansprucht, steht hier das gesamte Sortiment, insgesamt 1000 Produkte. Vorne links am Eingang ist der Kaffee gestapelt. Es gibt nur eine Marke, in fünf Varianten, von Bio bis entkoffeiniert. Im Hintergrund piepst ständig der Kassenscanner. Aldi, heute vor 100 Jahren im Essener Stadtteil Schonnebeck als Backwarenhandlung gegründet, ist der umsatzstärkste Lebensmittel-Discounter der Welt. Wie war das möglich? Nie war die Vielfalt der Produkte größer als heute, die riesige Auswahl zwingt die Konsumenten zum ständigen Vergleich – von Preisen, Marken, Qualitäten; immer häufiger mit dem Smartphone in der Kassenschlange. Aldi ist anders. Hier hat hat sich die Zahl der Produkte im Sortiment seit den 60er Jahren gerade einmal verdoppelt. Und so ist genau das, was den Discounter seltsam aus der Zeit gefallen erscheinen lässt, sein Erfolgsrezept: Einfachheit.
Seit einigen Jahren fällt bei Händlern und Branchenverbänden immer häufiger der Begriff des Einkaufserlebnisses: Die Kunden sollen bespaßt werden und Produkte fühlen, schmecken, riechen. Der Showroom ist die Krönung der Inszenierung, hier werden Artikel wie im Museum aufgestellt und ausgeleuchtet. Die Antwort der Lebensmittelhersteller auf die Frage nach dem Besonderen sind neue Geschmackskreationen und Werbeversprechen: aus der Region, ohne Zusatzstoffe, verdauungsfördernd, cholesterinsenkend, mit Litschi-Extrakt aus Taiwan.
Aldi dagegen zeichnet sich aus durch die „Konzentration auf Weniges und Wesentliches“, wie Dieter Brandes sagt. Zehn Jahre war er Manager bei Aldi und galt als ein enger Vertrauter des 2010 verstorbenen Aldi-Nord-Gründers Theo Albrecht. Die rund 10 000 Läden der beiden Discounter weltweit sind ähnlich aufgebaut und kommen ohne Inszenierung aus. Die Angebote hängen vorne im Schaukasten wie früher das Aufgebot am Standesamt. Alles sei „an logistisch vernünftigen Kriterien orientiert“, sagt Brandes. Aldi versuche nicht, „den Kunden zu den ,richtigen’ Artikeln zu lenken oder locken.“ Das hat sich seit einem Vortrag Theo Albrechts im Jahr 1953 nicht geändert: „Dekorationen im Laden werden nicht ausgeführt“, sagte er damals.
Über die Sparsamkeit der Aldi-Brüder gibt es viele Geschichten - so schafften sie es an die Spitze der der Liste der reichsten Deutschen
Über die Sparsamkeit der Aldi-Brüder gibt es viele Geschichten. Karl und Theo, 1920 und 1922 geboren, wuchsen in einem Arbeiterviertel in Essen auf, erlebten Krieg und Hunger. Der 2010 verstorbene Theo, der als der Visionär der beiden Brüder beschrieben wird, soll die Bleistifte von beiden Seiten angespitzt und trotz des Milliardenvermögens selbst geschmierte Butterbrote mit zur Arbeit gebracht haben. Das „Manager Magazin“ schätzt das Vermögen der Nachkommen von Theo Albrecht auf 16 Milliarden Euro – Platz zwei auf der Liste der reichsten Deutschen. Darüber kommt nur noch die Familie Karl Albrecht mit 17,2 Milliarden Euro.
In der Nachkriegszeit konnten die Aldi-Brüder, die das elterliche Geschäft in Essen 1946 übernommen hatten, nur wenige Waren anbieten.
„Der Laden ist klein, die Kundschaft arm“, schreibt der Journalist Josef Nyary in seinem Buch „Aldi Jahre wieder“. Doch auch als die „Fresswelle“ Deutschland in den 50er Jahren erfasst und die Brüder mit Selbstbedienungsläden in andere Städte expandieren, bleiben sie bei dem kleinen Sortiment. Das hilft beim Sparen.
Denn nur Einfachheit, das zeigt auch der Fall Schlecker, reicht nicht, es braucht niedrige Preise. Und so führen die Albrecht-Brüder zu Beginn der 60er Jahre, als sie das Unternehmen in Nord (Theo) und Süd (Karl) teilen, das Discount-Konzept in Deutschland ein. Statt einzelne Rabatte gewähren sie von vorneherein einen Abschlag auf ihr Sortiment. „Albrecht-Discount“, kurz Aldi, ist geboren. Viele Markenhersteller machen bei den niedrigen Preisen nicht mit. Und so beginnt Aldi, seine eigenen Produkte anzubieten, den Kaffee selbst zu rösten, und sogar eine eigenen Spedition aufzuziehen.
Und die Kunden? In den 60er Jahren ist Aldi in erster Linie Anlaufstelle der Ärmeren und der Sparsamen. „Schon in den siebziger Jahren kamen sie doch alle“, erzählt Ex-Manager Brandes. „Helmut Schmidt war als Finanzminister um 1974 ständiger Kunde in Nortorf.“ Und spätestens in den 80er Jahren, als sich die Qualität der Aldi-Produkte herumspricht, die nicht selten auch von Markenartiklern hergestellt werden, parken vor den Geschäften auch Porsche und Mercedes.
Aldi steigert seine Effizienz, wo immer es geht. Als der Discounter die Barcodes auf den Produkten einführt, werden sie gleich mehrfach aufgedruckt. So müssen die Kassiererinnen die Ware nicht drehen – und können noch schneller verkaufen. Auch die besonders lange Kasse erdachten die Albrecht-Brüder, auf die gleich mehrere Einkaufswagenladungen passen.
Teil des Erfolgs sind auch die Alltagswaren, die Aldi ins Sortiment aufnimmt, von Blumentöpfen über Sportbekleidung bis zum ersten Billig-Computer Mitte der 90er Jahre. Sie passen gut in die „Geiz-ist-geil-Mentalität“, die die Deutschen zum Ende des Jahrtausends in Scharen zu den großen Discountern treibt. Fleisch und Laptop sind fortan für fast alle Schichten erschwinglich.
Doch Aldi könnte bald seinen Pfad verlassen, der zu einem Jahresumsatz von mehr als 60 Milliarden Euro geführt hat. Jüngst kündigte das Unternehmen an, weitere Markenartikel ins Sortiment aufzunehmen und Läden auszubauen. Damit, so meint Brandes, nähere sich Aldi der von Lidl angeführten Konkurrenz, die einen Mix aus Marken- und No-Name-Produkten bietet. „Den Verkauf von Coca-Cola und anderer Markenartikel halte ich für einen Sündenfall.“ Auch ein größeres Sortiment schade Aldi.
Zumindest was die Sparsamkeit und Verschwiegenheit betrifft, scheint Aldi sich treu geblieben zu sein: Eine große Feier zum 100-jährigen Bestehen soll es nicht geben.
Die Geschichte
In der Essener Huestraße, wo Aldi heute noch ein Geschäft betreibt, legte die Familie Albrecht vor 100 Jahren den Grundstein für den Discounter. Der Bäcker Karl Albrecht startete am 10. April 1913 einen „Handel mit Backwaren“. Generationen später sind die eigenständigen Schwesterunternehmen Aldi Nord und Aldi Süd in 17 Ländern in Europa, Nordamerika und Australien aktiv. Die Männer hinter der Aldi-Erfolgsgeschichte sind die Söhne des Firmengründers, Karl Junior und Theo Albrecht (gestorben 2010). Nach dem Tod des Vaters übernahmen sie das elterliche Geschäft und entwickelten das Discount- Konzept. 1961 teilten sich die Brüder das Geschäft auf. Es entstanden Aldi Nord mit Theo an der Spitze und Aldi Süd, geführt von Karl Junior. Der erste „Aldi“- Markt wurde 1962 eröffnet. Der Handelsinformationsdienst Planet Retail schätzte den Umsatz von Aldi Nord und Süd für 2012 auf rund 62 Milliarden Euro und die Zahl der Märkte auf 10 000 weltweit. (dpa)
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