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Denkwürdige Begegnung. Es gibt immer wieder Ausstellungen über den Maler, Erfinder, Entdecker und Tüftler Leonardo da Vinci. Hier ist ein von da Vinci erfundener Taucheranzug zu sehen.
© Carmen Jaspersen/picture alliance / dpa

Weiterbildung: Vom Universalgenie lernen

Die Kreativität und Innovationskraft von Leonardo da Vinci liegt an bestimmten Erfolgsprinzipien, an denen er hart gearbeitet hat, sagt unser Autor. Er zeigt, wie wir sie heute anwenden können.

Wenn wir uns nach Vorbildern strecken, wachsen wir. Denn Vorbilder liefern uns alternative Ideen und Vorlagen für den Umgang mit unserer komplexen Welt. Sie erweitern unsere Handlungsmöglichkeiten und ermutigen uns, bestimmte Fähigkeiten gezielt weiterzuentwickeln. Dabei geht es nicht darum, einen außergewöhnlichen Menschen einfach zu kopieren, sondern darum, die Hintergründe des Außergewöhnlichen zu verstehen und daraus zu lernen.

Dass ich an die positive Wirkung von Vorbildern auf unser Leben glaube, liegt vor allem an einer ganz bestimmten, äußerst faszinierenden Persönlichkeit: Leonardo da Vinci. Der Name Leonardo da Vinci ist jedem von uns ein Begriff. Wenn Sie Leonardo da Vincis Werken oder Ideen begegnen möchten, müssen Sie heute nicht extra nach Florenz oder Paris reisen. Besuchen Sie einfach den nächsten gut sortierten Souvenirshop, und die Chancen dürften nicht allzu schlecht stehen, dass Ihnen dort auf einem T-Shirt oder einer Kaffeetasse da Vincis Mona Lisa ihr weltberühmtes Lächeln schenkt. Oder Sie werfen einen Blick auf Ihre Krankenkassenkarte, auf der nicht selten ein kleiner „Hampelmann“ im Quadrat und Kreis – Leonardos Vitruvianischer Mensch – zu sehen ist. Die Liste ließe sich problemlos um weitere Begegnungsmöglichkeiten mit Leonardo da Vinci erweitern. Die Strahlkraft, die von Leonardo ausgeht, ist auch fast 500 Jahre nach seinem Tod ungebrochen. Einen eindrucksvollen Beweis hierfür liefert die Suchmaschine Google. Denn gibt man „Leonardo da Vinci“ bei Google ein, erhält man in weniger als einer Sekunde über 68 Millionen Treffer. Doch was wissen wir bei aller Bewunderung und Google-Präsenz wirklich über Leonardo?

Mein eigenes Wissen über Leonardo da Vinci fiel bis vor einigen Jahren eher spärlich aus: Das sollte sich allerdings ändern, als ich die Ausstellung „Da Vinci – Das Genie“ besuchte. Die große Ausstellung mit zahlreichen Bildern, Zeichnungen und Exponaten von da Vinci zog mich sofort in den Bann. Gleich nach der Ausstellung wollte ich alles über diesen unglaublich vielseitigen und geheimnisvollen Mann erfahren. Also kaufte ich mir meine allererste Leonardo-Biografie und begann zu lesen. Was ich las, faszinierte mich so sehr, dass ich in den darauffolgenden Wochen und Monaten viele weitere Biografien verschlang, Leonardos Notizbücher studierte und mich in Italien auf Spurensuche machte.

Wie konnte ein einzelner Mensch auf so vielen Gebieten revolutionäre Arbeit leisten?

Je mehr ich von da Vinci erfuhr, desto mehr faszinierte er mich. Wie konnte ein einzelner Mensch, der vor über 500 Jahren in der Übergangszeit zwischen Mittelalter und Neuzeit lebte, auf so vielen unterschiedlichen Gebieten wie der Malerei, der Anatomie, der Architektur, der Hydraulik, der Geologie und des Ingenieurwesens so revolutionäre und herausragende Arbeit leisten? Ich wollte Antworten auf diese und andere Fragen finden und nicht nur über ihn, sondern auch von ihm lernen. So wurde Leonardo da Vinci zu meinem Vorbild.

„Leonardo da Vinci als Vorbild? Ein bisschen mehr Bescheidenheit würde nicht schaden“, werden Sie vielleicht denken. Und Sie sind damit bestimmt nicht allein. Die meisten Leute halten es wahrscheinlich für vermessen zu glauben, man könne als Normalsterblicher einem der größten Genies aller Zeiten nacheifern. Und das kann ich gut verstehen.

Wenn wir uns mit der Literatur zu Leonardos Leben und Werk befassen, laufen wir schnell Gefahr, uns klein und unbedeutend zu fühlen. Kaum ein Mensch hat unsere Vorstellung vom modernen Genie so stark geprägt wie Leonardo da Vinci. Bei der intensiven Auseinandersetzung mit Leonardo da Vincis Leben, seinen Notizbüchern und den in ihnen enthaltenen Aufzeichnungen wird schnell deutlich: Seine von uns so bewunderte Genialität beruhte viel weniger auf göttlicher Eingebung, als wir gemeinhin denken. Leonardo da Vinci wurde nicht als vom Schicksal begünstigtes Genie geboren, dem alles zufiel. Im Gegenteil: Vor allem seine frühen Notizbücher offenbaren uns einen ganz anderen Leonardo. Sie präsentieren uns einen jungen Mann, der hartnäckig daran arbeitet, sich selbst das Basiswissen der mittelalterlichen Gelehrsamkeit beizubringen. Wie er selbst berichtet, hat er als Kind nur wenig Schulunterricht erhalten und dabei kaum mehr als die elementaren Kenntnisse in Lesen, Schreiben und Rechnen erworben.

Zentrale Erfolgsprinzipien entschlüsselt

Da Vincis geniale Fähigkeiten waren also nicht schon immer da. Wie wir noch sehen werden, waren sie vielmehr das Ergebnis ganz bestimmter Werte, Einstellungen und Prinzipien, die in ihrer Gesamtheit die Grundlage für Leonardos herausragende Leistungen bildeten. Wir können dann am besten von Leonardo lernen, wenn wir uns mit diesen Prinzipien und Werten beschäftigen. Nach intensivem Studium unzähliger Biografien, Notizbücher und Aufzeichnungen habe ich zentrale Erfolgsprinzipien entschlüsselt, die Leonardo sein gesamtes Leben lang mit Beharrlichkeit verfolgt und weiterentwickelt hat. In ihnen liegt der Schlüssel zu Leonardo da Vincis schier endloser Kreativität und Innovationskraft.

„Lasse dir vom Abakus-Meister zeigen, wie ein Dreieck zu quadrieren ist. Lasse dir von Messer Fazio die Proportionen zeigen. Bringe den Mönch aus Brera dazu, dir „De ponderibus“ einen Text zur Mechanik] zu zeigen. Frage Giannino, den Geschützfabrikanten danach, wie man den Turm von Ferrara fugenlos aufgemauert hat.“ Diese Passage stammt aus einem Notizbucheintrag und entstand etwa um das Jahr 1489, als Leonardo am Mailänder Hof lebte und arbeitete.

Im Original ist der Text sogar noch dreimal länger – eine lange Liste mit unterschiedlichsten Namen von Experten, Büchern und Dingen, die Leonardo unbedingt treffen beziehungsweise studieren wollte. Sie ist ein eindrucksvolles Beispiel für Leonardos unersättliche Neugier und seinen Wunsch nach persönlichem Austausch, denn er war sein Leben lang an den Ideen und Werken anderer Künstler und Wissenschaftler interessiert. Er wollte von ihnen lernen und sich von ihnen inspirieren lassen – am liebsten aus erster Hand.

Er wollte auch von Rivalen lernen

Als kritischer und kreativer Leser kopierte er jedoch nicht nur gedankenlos, sondern kommentierte, was er notierte, und ergänzte seine Notizen mit eigens angefertigten Zeichnungen. Dabei setzte sich Leonardo nicht nur mit Künstlern auseinander, die ihn begeisterten. Er studierte auch die Arbeiten von Menschen, gegen die er eine Abneigung verspürte. Das prominenteste Beispiel hierfür dürfte wohl sein Künstlerkollege Michelangelo sein, zu dem Leonardo Zeit seines Lebens eine gut dokumentierte Feindschaft pflegte. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, sich mit seinem Rivalen zu beschäftigen und von ihm zu lernen und er schien damals schon instinktiv gewusst zu haben, was später durch die moderne Wissenschaft bestätigt wurde: wie wichtig das richtige soziale Netzwerk für die persönliche Entwicklung ist. Oder, anders gesagt: Du bist, mit wem du dich umgibst – offline wie online.

Sein ganzes Leben lang suchte Leonardo ganz gezielt den Kontakt zu den wichtigsten Persönlichkeiten, Künstlern, Wissenschaftlern und Literaten seiner Zeit. Auf diese Weise konnte er direkt und indirekt von den außergewöhnlichen Ideen, dem umfassenden Wissen und den fortschrittlichen Einstellungen seiner Kontakte profitieren. Er schuf sich ein Umfeld, das es ihm ermöglichte, seine bereits vorhandenen Fähigkeiten optimal zur Entfaltung zu bringen. Oder, anders formuliert: Leonardos Netzwerke halfen ihm dabei, noch weiter über sich hinauszuwachsen.

Doch wie ist es eigentlich um die positiven Eigenschaften Ihrer Netzwerke bestellt? Haben Sie Freunde, die Sie bei Ihren Interessen unterstützen und die Ihnen dabei helfen, sich persönlich weiterzuentwickeln? Oder haben Sie Freunde, die Ihnen eigentlich nichts zutrauen, Ihre Ideen immer kleinreden und Ihnen keine Inspiration sind? Falls Letzteres der Fall ist, sollten Sie Ihr Umfeld unbedingt auf den Prüfstand stellen. Wenn Sie das Gefühl haben, von Ihren Bekannten, Freunden oder Kollegen belächelt und in Ihrer Weiterentwicklung ausgebremst zu werden, sollten Sie sich überlegen, ob es nicht besser wäre, Ihrem aktuellen Netzwerk eine Frischzellenkur zu verpassen und neue Menschen in Ihr Umfeld zu holen: Menschen, die ähnliche oder völlig andere Interessen haben wie Sie. Menschen, die Sie in Ihren Ideen bestärken und die Sie inspirieren. Menschen, mit denen Sie gemeinsam außergewöhnliche Lösungen erarbeiten können. Welche positiven Effekte solche Netzwerke auf unser Leben haben können, zeigt uns das Beispiel von Leonardo.

Denke mit dem Stift in der Hand

„Denke mit dem Stift in der Hand. Und zeichne all das mit flüchtigen Strichen in deinem Büchlein auf, das du immer bei dir tragen musst Es gibt doch so unendlich viele Formen und Vorgänge, dass das Gedächtnis sie nicht alle zu behalten vermag.“ Leonardo ist uns heute vor allem als hervorragender Maler bekannt, der Werke wie die Mona Lisa oder Das Abendmahl geschaffen hat. Zu seinen Lebzeiten verbrachte Leonardo die meiste Zeit des Tages jedoch nicht mit dem Malen, sondern mit dem Schreiben und Zeichnen. Alles, was Leonardo beschäftigte – seien es Beobachtungen, Ideen, Studien, lateinische Vokabeln, persönliche Erfahrungen oder sogar Einkaufslisten –, hielt er regelmäßig in Skizzen- und Notizbüchern fest. Am Ende seines Lebens hinterließ er die beeindruckende Anzahl von rund 24 000 Notizbuchseiten und circa 100 000 Zeichnungen – so viel wie kein anderer Künstler vor ihm. Leider sind von Leonardos Handschriften heute nur noch rund 7000 Seiten erhalten, die sich auf zehn verschiedene Bände verteilen.

Für Leonardo hatte das Führen seiner Notizbücher einen ganz pragmatischen Hintergrund. Aufgrund seiner außergewöhnlichen Bandbreite an Interessen suchte er schon früh nach einer Methode, seine Beobachtungen einzufangen, Gedanken und Ideen festzuhalten und Bilder zu skizzieren. Außerdem suchte er nach einer Möglichkeit, sich an Dinge zu erinnern, die er gehört oder gelesen hatte, und sich bei all dem immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, was er sich vorgenommen hatte. Die Lösung, die Leonardo für sich entdeckte, waren kleine und große Notizbücher, die er spätestens Anfang der 1480er Jahre intensiv zu führen begann.

Wirklich innovativ war diese Idee allerdings nicht. Bei den Künstlern der Renaissance waren Skizzen- und Notizbücher bereits weit verbreitet. Meister gaben ihren Schülern Skizzenhefte und „Sudelbücher“ als Arbeits-, Inspirations- und Lernhilfe und empfahlen ihnen, sich selbst solche Bücher anzulegen. Vor diesem Hintergrund war Leonardos Vorliebe für Notizbücher nichts Außergewöhnliches. Was Leonardo im Vergleich zu allen anderen Künstlern und Ingenieuren seiner Zeit jedoch einzigartig macht, ist die enorme Themenvielfalt, die er in seinen Notizbüchern behandelte. So befinden sich in seinen Aufzeichnungen neben ganz alltäglichen Notizen auch Bemerkungen und Beiträge zur Malerei, Mechanik, Geometrie, Astronomie, Biologie, Anatomie und vielen weiteren Themengebieten.

Seine Notizbücher waren wie ein zweites Gehirn

Für Leonardo waren seine Notizbücher wie ein zweites Gehirn, in dem er all die Dinge „speicherte“, die ihn begeisterten. Dabei praktizierte er etwas, das sich am besten als „Denken mit dem Stift“ beschreiben lässt. Als leidenschaftlicher Ideenjäger wusste Leonardo, dass der nächste zündende Einfall überall auf ihn warten konnte – sei es in der Natur, auf den Straßen Mailands oder in einem anregenden Gespräch. Deshalb trug er immer ein kleines Notizbuch bei sich. So stellte er sicher, dass er all seine spontanen Beobachtungen und Gedanken zu jedem Zeitpunkt festhalten, weiterentwickeln und bei Bedarf auf sie zurückkommen konnte.

Wenn wir über einen längeren Zeitraum hinweg unsere Ideen und Probleme zu Papier bringen, hat das auch noch einen anderen positiven Nebeneffekt: Wir initiieren damit ein Phänomen, das wir „Geistesblitz“ nennen. Durch unser schriftliches Festhalten verankern wir Informationen in Form von Texten, Bildern und Konzepten fest in unserem Unterbewusstsein und aktivieren die entsprechenden neuronalen Netze in unserem Gehirn. Auf diese Weise sorgen wir dafür, dass die Informationen von unserem unglaublich leistungsstarken und kreativen Unterbewusstsein (Hirnforscher gehen davon aus, dass unser Unterbewusstsein über zehn Millionen Mal größer ist als unser bewusstes Denken) zu Lösungen verarbeitet werden können.

Und es kommt noch besser: Da unser Unterbewusstsein niemals schläft, arbeitet es auch dann weiter, wenn wir aufhören, aktiv über eine Fragestellung oder ein Thema, das uns beschäftigt, nachzudenken. Unsere Gedanken wandern weiterhin kreuz und quer durch unser Unterbewusstsein, stoßen zusammen und gehen millionenfach neue Verbindungen ein. Und wenn wir die Frage eigentlich schon wieder vergessen zu haben scheinen, schießt uns die Antwort plötzlich in unser Bewusstsein: Wir haben einen Geistesblitz und die Lösung erscheint uns auf einmal sonnenklar. All unsere Notizen und Zeichnungen haben uns dabei geholfen, unseren Geistesblitz aufzuladen.

Jeder, der etwas unterschreiben kann, kann auch zeichnen

Kaufen Sie sich ein schönes, hochwertiges Notizbuch – schließlich sind Ihre Ideen ja auch wertvoll –, das Sie überall hin gut mitnehmen können. Sammeln Sie darin mit dem Stift in der Hand all Ihre täglichen Wahrnehmungen, Ideen und Informationen zu Themengebieten, die Sie interessieren. Besonders wichtig ist hierbei, Geduld zu haben und am Ball zu bleiben. Mit einem Notizbuch ist es wie mit einem Sparbuch: Am Anfang wird sich erst einmal sehr wenig tun, aber nach einer gewissen Zeit werden Sie erstaunt sein, wie schnell sich Ihre Aufzeichnungen zu einer unerschöpflichen Quelle Ihrer Kreativität und Innovationskraft entwickeln.

Ergänzen Sie Ihre handschriftlichen Gedanken, Beobachtungen und Ideen in Ihrem neu angelegten Notizbuch regelmäßig mit selbst gezeichneten Bildern und Skizzen. „Aber ich kann doch gar nicht zeichnen!“, werden Sie sich jetzt vielleicht denken. „Können Sie wohl!“. Das sagt übrigens auch die amerikanische Kunstprofessorin Betty Edwards, die durch ihre Bücher und Zeichenkurse weltbekannt wurde. Sie vertritt die Meinung, dass jeder, der seine Unterschrift schreiben kann, auch zeichnen kann.

Leider nehmen wir viel zu oft an, nur zeichnen zu dürfen, wenn dabei ein perfektes Ergebnis à la Leonardo herauskommt. Diese falsche Annahme müssen Sie jedoch über Bord werfen, wenn Sie die Kraft der Bilder für sich nutzen wollen. Denn beim Visualisieren geht es nicht darum, die Wirklichkeit so exakt wie möglich abzubilden, sondern bestimmte Zusammenhänge zu sehen und diese für sich sichtbar zu machen. Dafür reichen meist schon simple Skizzen oder Strichmännchen, die wirklich jeder von uns zeichnen kann. Sie müssen sich einfach nur trauen!

Das Cover.
Das Cover.
© promo

Der Text ist ein Auszug aus dem Buch „Die Da-Vinci-Formel. Die sieben Erfolgsgesetze für innovatives Denken“ von Jens Möller, Redline Verlag, 17,99 Euro

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