Diversity-Kongress 2018: Vielfalt ohne Vorurteile?
Die Digitalisierung ist eine Chance für mehr Diversität – aber nur, wenn sie sinnvoll eingesetzt wird.
Fördert die Digitalisierung von Unternehmen Diversität? Auf jeden Fall fordert sie diese. Die Möglichkeiten der Vernetzung unterschiedlichster Menschen machen gemischte Teams erforderlich, die damit auch umgehen können. Was bringt es zum Beispiel, die ganze Welt per Internet zur Hand zu haben, wenn man Sprachbarrieren oder kulturelle Gepflogenheiten nicht überwinden kann? Zugleich zwingt der Fachkräftemangel zur Weitung des Blicks auf Mitarbeitergruppen, die Unternehmen zuvor nicht im Blick hatten. Eine vielfältige Belegschaft bietet wiederum die Möglichkeit, neue Zielgruppen und Märkte zu erschließen.
Digitalisierung bedeutet für Unternehmen die Möglichkeit, Arbeitsumgebungen und -bedingungen zu individualisieren. So können die Bedürfnisse von einzelnen Mitarbeitern und Minderheiten besser berücksichtigt werden. Der paradox klingende Begriff „Mass Customization“ (Massenindividualisierung) trifft es recht gut: An die Stelle aufwendiger Maßlösungen treten individuell anpassbare Massenlösungen, die beispielsweise die Arbeit orts- und zeitunabhängig machen und ans Privatleben anpassen, die Beeinträchtigungen des Sehens oder Hörens oder sprachliche Barrieren überwinden oder die den Zugang zu Bildung und Weiterbildung für alle ermöglichen. Durch mehr Barrierefreiheit erweitern Technologien so den Pool, aus dem Unternehmen Fachkräfte rekrutiert werden können. Insgesamt führt diese Dynamisierung eine neue Arbeitswelt herbei, die ein sensibles Veränderungsmanagement erfordert, um niemanden abzuhängen. Doch auch dieser Prozess profitiert von digitalen Möglichkeiten. Sie beginnen beim partizipativen Design, also der von Anfang an gemeinsamen Gestaltung von Arbeitsbedingungen mit den Beschäftigten, die anschließend über Feedback-Schleifen auch an der Weiterentwicklung beteiligt bleiben. Für solche Informationsschleifen bieten sich lernfähige Programme an, die sich wiederum auf Basis des Feedbacks selbst anpassen, ergo: Künstliche Intelligenz (KI) – der derzeitige Höhepunkt der technischen Entwicklung.
Der Algorithmus braucht für seine Evaluation umfassende Datensätze
Neben solchen Arbeitsplatzoptimierungen können KI und KI-ähnliche Systeme zum Beispiel Stärken und Talente von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erkennen, die dann gezielt gefördert werden. Auch bei der Auswahl von Bewerberinnen und Bewerbern werden solche Systeme bereits eingesetzt. Die Automatisierung soll – so die Annahme – dem Menschen gegenüber im Vorteil sein, da sie objektiver ist und nicht von nebensächlichen Merkmalen wie Geschlecht, Hautfarbe oder Aussehen abgelenkt wird. Allerdings liegen hier zwei mögliche Probleme auf der Hand: Ganz gleich, wie ausgefeilt ein Algorithmus sein mag – auch er kann nur erkennen, wofür er von Menschen programmiert ist. Und: Er braucht für seine Evaluationen umfassende Datensätze, muss aber stets mit jenen arbeiten, die er bekommt; hier setzen Datenschutz und Privatsphäre Grenzen.
Die Digitalisierung bleibt eine große Chance für mehr Diversität. Doch auch die Sorge vor einer repressiven Überwachungskultur mit Hilfe von Algorithmen und modernen Technologien muss ernst genommen werden. Auf eine vielfältige Belegschaft dürften solche Ängste eher demotivierend wirken. Zukunftsfähig wird die Digitalisierung daher erst, wenn durch die Besonderheiten eines jeden menschliche Anerkennung entstünde. Dazu muss aber umgedacht werden. Am Ende kann es nicht genügen, vom Algorithmus erstellte Evaluationsbögen mit Tipps zur Selbstoptimierung an die Mitarbeiter zu verteilen. Die Objektivierung des Menschen macht ihn zum Objekt. Sie macht ihn als Mensch, der Empathie und Vertrauen braucht, unsichtbar. Das heißt, dass Vorgesetzte – spätestens nachdem sie die Analysen gesichtet haben – schließlich doch wieder als Menschen in Erscheinung treten müssen, wenn sie ihre Fachkräfte halten wollen.
Mehr Diversität dient nicht primär der Anpassung an eine globalisierte Welt
Und nicht nur dies: Der Algorithmus ist ein totaler Positivist. Für ihn existiert nichts außerhalb seines Datensatzes. Das heißt, indirekte Konsequenzen seiner Outputs kann er nicht ermessen und benötigt den Menschen, der das große Ganze vor Augen hat. Hier müsste umgedacht werden, denn wird Diversity im Unternehmens-Kontext diskutiert, dann zumeist als notwendige Herausforderung oder Wettbewerbsvorteil. Das große Ganze vor Augen zu haben, bedeutet aber auch, zu sehen, dass mehr Diversität nicht primär der Anpassung an eine globalisierte Welt dient. Ihr liegt vielmehr ein aufklärerischer Gedanke zugrunde. Dabei geht es nicht um eine bloß ideologische Diskussion, sondern um die sachliche Auseinandersetzung mit einem Gut, das eine Wertegemeinschaft als erstrebens- und schützenswert erachtet, ein so genanntes meritorisches Gut.
Diversität ist ein solches meritorisches Gut, und das kann uns manchmal auch etwas kosten. Ihre Reduktion auf kommerzielle Aspekte kann schnell den Eindruck entstehen lassen, dass ihre Implementierung gar keinen Mehrwert erzeuge, wenn dieser nicht sofort bilanzierbar ist. Entsprechend inkonsequent wird sie dann umgesetzt – oder gar nicht.
Die Chancen, die die Digitalisierung für Diversity bietet, sind folglich ganz und gar vom Aufklärungsgrad, vom demokratischen Denken und Bestreben derer abhängig, die diese Möglichkeiten einzubauen vermögen. Kurzum, es braucht auch ein wenig guten Willen.
Thomas Wochnik