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Profitable Nachbarschaft in der Lausitz. Direkt neben dem Braunkohle-Tagebau Jänschwalde liegt das Kraftwerk. Effizienter kann man Kohle nicht in Strom verwandeln – und dabei hohe Renditen erwirtschaften. Foto: Andreas Franke
© picture alliance / Andreas Frank

Energiekonzern: Vattenfall - bald Tschüss und weg?

Der Energiekonzern Vattenfall hadert mit der deutschen Energiepolitik und und sucht ein neues Geschäftsmodell. Wie genau ist die Lage beim Strom-Riesen aus Schweden? Eine Analyse.

Die Schweden sind sonderbar, meinen die Deutschen. Und umgekehrt gilt das auch. Viele Schweden finden Atomkraft gut und haben kein Problem mit Atommüll. Kohle dagegen, vor allem Braunkohle, ist für die Schweden Teufelszeug. Bei den Deutschen ist das anders. Hier treibt die Kernenergie die Leute auf die Bäume. Und gut ein Viertel des Stroms wird hierzulande mit der Verfeuerung von Braunkohle erzeugt. Braunkohle ist schmutzig, kein anderer Brennstoff bläst so viel CO2 in die Luft. Deshalb wollen die Schweden weg von der Braunkohle. Aber das ist nicht so einfach, denn in Deutschland haben sie in den vergangenen zehn Jahren viele Milliarden Euro mit dieser Kohle verdient.

DIE STRATEGIE

Der schwedische Staatskonzern hat sich in Ostdeutschland eine komplette Wertschöpfungskette zusammengekauft. In den Tagebauen der Lausitz wird die Braunkohle abgebaut und direkt nebenan in den eigenen Kraftwerken verstromt. Hochspannungsleitungen transportieren den Strom zu den Verbrauchszentren, vor allem Berlin und Hamburg, wo Verteilnetze dann die Versorgung der Endkunden übernehmen. Alles in allem ein tolles Geschäft mit hohen Renditen, trotz großer Regulierungsdichte in einem „politischen“ Markt. Daran hat auch der Verkauf des Übertragungsnetzes vor knapp drei Jahren nicht viel geändert. Dieses Netz verkaufte Vattenfall auf Druck der EU, die die Trennung von Netz und Vertrieb (Unbundling) verfügte.

Die Strategie des Konzerns wird in der Stockholmer Zentrale entworfen – und hängt doch maßgeblich ab vom Willen des Eigentümers, der schwedische Staat respektive die Regierung. Die freut sich über Milliardengewinne aus Deutschland und ärgert sich gleichzeitig über den hohen Anteil der Braunkohle: Der ganz überwiegende Teil des Vattenfall-Stroms stammt aus der Lausitzer Kohle.

DIE KOHLE

Vattenfall möchte gerne sauber sein, spätestens 2050. Dann will der Konzern nur noch Ökostrom produzieren und überhaupt kein CO2 mehr emittieren. Das ist nicht möglich mit der Kohle – es sei denn mit CCS. Kaum ein anderer Konzern hat in Europa so auf die Technik des Carbon Capture and Storage (CCS) gesetzt, der Abscheidung des CO2 beim Prozess der Kohleverstromung und der anschließenden unterirdischen Speicherung. Vor viereinhalb Jahren nahm Vattenfall am Kraftwerk Schwarze Pumpe eine erste Versuchsanlage in Betrieb, bis 2018/ 2020 sollte in Jänschwalde ein großes CCS-Kraftwerk folgen, EU-Fördermittel in dreistelliger Millionenhöhe standen bereit. Dann aber gab die Politik den Widerständen gegen eine Speicherung des CO2 nach und Vattenfall musste die Pläne in die Schublade packen. Heute redet keiner mehr von CCS. Bitter für Vattenfall.

Doch zumindest in den kommenden fünf bis zehn Jahren verschlechtert das keineswegs die Bedingungen für die Braunkohle. Die muss vielmehr die Atomkraft ersetzen und bis auf Weiteres auch immer mehr Gaskraftwerke, denn die sind nicht mehr rentabel zu bewirtschaften: Erdgas ist teurer als Kohle und der Betrieb der Gaskraftwerke ist wegen großer Nachfrageschwankungen kaum zu kalkulieren. Das spricht alles für die Braunkohle, die noch über einige Jahre Renditen zwischen sieben und zehn Prozent verspricht.

DIE KRAFTWERKE

Auf den ersten Blick ist es deshalb Quatsch, dass Vattenfall sein Braunkohlekraftwerk in Lippendorf in der Nähe von Leipzig zum Verkauf stellt. Im Jahr 2000 hatte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder die Anlage eingeweiht, damals eine der größten Investitionen im Osten. Ein Block gehört Vattenfall, der andere der Stuttgarter EnBW; die Kohle kommt aus einem Tagebau der Mibrag. Vattenfall macht mit seinem Block jedes Jahr rund 100 Millionen Euro Gewinn – und will trotzdem verkaufen. Die offiziellen Gründe: Mit Lippendorf wird man auch ein paar Millionen Tonnen CO2 los, was die schwedische Politik/Öffentlichkeit gut findet. Und mit dem Verkaufserlös lässt sich der Ausbau der Erneuerbaren fördern. Bis zu einer Milliarde erhoffen sich die Vattenfall-Manager, für die Lippendorf obendrein einen kleinen Malus hat, da die Kohle des Kraftwerks nicht aus den eigenen Tagebauen stammt, sondern von der Mibrag. Die wiederum hat Interesse an der Übernahme des Kraftwerks und findet überhaupt die Verstromung von Kohle in Deutschland attraktiv: Mit Eon verhandelt die Mibrag, die einem tschechischen Investor gehört, derzeit über den Kauf des Braunkohlekraftwerks Buschhaus in der Nähe von Helmstedt.

„Keiner hat mehr Spaß bei der Arbeit“, heißt es in der Zentrale in Berlin-Mitte.

„Kohle ist der Renner“, heißt es in der Branche. Das gilt vor allem für die Verstromung in den relativ neuen Vattenfall-Kraftwerken. Deshalb könnten die offiziellen Verkaufspläne für Lippendorf auch ein taktisches Manöver sein: Die Vattenfall-Manager einigen sich mit der Mibrag nicht auf einen Preis, haben aber gute Absicht bewiesen und deshalb Ruhe in der schwedischen Heimat. Oder Lippendorf war nur der Anfang, und der Konzern gibt die deutsche Kohle komplett auf. Schließlich ist in keinem anderen Land die Energiepolitik so unberechenbar wie in Deutschland.

DIE ENERGIEWENDE

Die von Vattenfall betriebenen Atomkraftwerke in Schleswig-Holstein hat der Konzern nach mehreren Pannen für einen dreistelligen Millionenbetrag ertüchtigt – dann kam die Energiewende und das Aus für die Anlagen. Ob es Schadenersatz gibt, ist offen. Da die deutsche Regierung kein brauchbares CCS-Gesetz zustande brachte, hat auch die Kohle keine Zukunft. Und die Wasserkraftwerke, die der Konzern in Thüringen betreibt, eigentlich auch nicht: Die Belastung durch Netznutzungsentgelte sowie der schwache Stromverbrauch in der Gegend haben die Anlagen unrentabel gemacht. Die Wende zu erneuerbaren Energien hatten sich die Energiemanager anders vorgestellt. Und dass der Ärger der Bürger über die ständig steigenden Strompreise eine Verstaatlichungswelle auslösen würde, war so auch nicht absehbar.

DIE NETZE

In Hamburg und Berlin versorgt Vattenfall 2,7 Millionen Kunden mit Strom und Fernwärme über das konzerneigene Netz. Das muss nicht so bleiben. Die Hamburger entscheiden am 22. September, am Tag der Bundestagswahl, in einem Volksentscheid über die Rekommunalisierung des Netzes. Der Erste Bürgermeister Olaf Scholz wollte die Verstaatlicher ausbremsen, indem er für 463 Millionen Euro ein Viertel der Netzgesellschaft kaufte. Vergeblich. Es gibt einen Volksentscheid und derzeit deutet alles auf eine Mehrheit für die komplette Übernahme hin. In Berlin ist es noch nicht so weit. Hier sammelt der „Berliner Energietisch“ Unterschriften für einen Volksentscheid. Bis zum 10. Juni muss das Bündnis aus gut 50 Organisationen 200 000 Befürworter haben, um ebenfalls am 22. September abstimmen zu können.

Vattenfall wehrt sich gegen den Verkauf der 35 000 Netzkilometer in Berlin unter anderem mit den Investitionskosten. Jahr für Jahr würden rund 240 Millionen Euro für den Unterhalt des Netzes ausgegeben. „Würde das auch noch den Berliner Haushalt belasten, kämen viele andere Vorhaben zu kurz.“ Ganz zu schweigen vom Kaufpreis des Netzes, der bei gut zwei Milliarden Euro liegen dürfte. Doch womöglich verfangen hier die Argumente ebenso wenig wie in Hamburg und der Senat bekommt vom Bürger den Auftrag zur Netzübernahme. Schließlich trauen viele Verbraucher den großen Versorgern nicht mehr über den Weg.

DAS MANAGEMENT

Die großen vier (Eon, RWE, Vattenfall und EnBW) haben ein Imageproblem: Über Jahre haben sie Monopolrenditen eingefahren, die Umwelt versaut, die Verbraucher ausgebeutet. Und gute Arbeitgeber sind sie auch nicht mehr. Vattenfall will in Berlin, Hamburg und Cottbus 1500 der insgesamt 20 000 Arbeitsplätze streichen. Die Stimmung ist mies im Unternehmen. Führungskräfte sind demotiviert, weil sie innerhalb der komplexen Struktur keine Entscheidungen mehr treffen dürfen. Ständiges Umstrukturieren hat zu einer Kultur der Selbstbeschäftigung geführt, die weit weg ist vom Markt. „Keiner hat mehr Spaß bei der Arbeit“, heißt es in der Zentrale in Berlin-Mitte. Alle wichtigen Entscheidungen fallen in Stockholm. Den Konzern führt der Norweger Øystein Løseth, auf den die schwedische Finanzchefin Ingrid Bonde aufpasst. Beide hängen ab von der Politik, die „die CO2-Reduzierung wie eine Enzyklika vertritt“, wie ein Vattenfall-Manager sagt.

Vor zehn Tagen informierten Løseth und Bonde in Berlin Mitglieder des Aufsichtsrats der deutschen Vattenfall über das neueste Sparprogramm. Die Sitzung wurde überraschend abgebrochen, weil die beiden nach Schweden zurückmussten. „Unverschämt“, schimpfte ein Aufsichtsrat, der den Vorfall symptomatisch findet für das gestörte Verhältnis. Der Verdruss von Aufsichtsräten und Belegschaft nehme zu, weil den Skandinaviern das Gespür fehle für das deutsche System der Unternehmensführung und Mitbestimmung. Und weil sie vielleicht die Freude am deutschen Markt verlieren. „Irgendwann sagen die Tschüss und weg“, meint ein Vattenfall-Manager über seine Bosse aus Stockholm.

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