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Recep Tayyip Erdogan rechtfertigt am Montag (13. August 2018) in Ankara auf einer Konferenz für Botschafter in der Türkei Polizeiaktionen gegen Kritiker der Wirtschaftspolitik in Sozialen medien. Sie seien "Verräter". Zudem wetterte er gegen die USA, die der Türkei "in den Rücken und die Füße geschossen" hätten.
© imago/Xinhua

Erdogan über die Finanzkrise: USA haben Türkei "in den Rücken und die Füße geschossen“

Die türkische Lira verliert auch zum Wochenstart weiter. Die Notenbank bietet Hilfe an. Recep Tayyip Erdogan greift seinen US-Kollegen Donald Trump immer heftiger an

Die Finanz- und Wirtschaftskrise in der Türkei hat sich zum Wochenstart weiter verschärft – ebenso wie die Rhetorik von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan: In einer Rede vor Diplomaten in Ankara bezeichnete er die USA als „Kraftmeier des globalen Finanzsystems“. Zugleich geht seine Regierung laut Nachrichtenagentur Anadolu seit dem Wochenende gegen fast 350 Einzelpersonen und Institutionen vor, denen man vorwirft, in sozialen Medien „falsche Berichte oder Spekulationen über den Zustand öffentlicher Unternehmen oder Banken“ verbreitet zu haben. Erdogan bezeichnete sie als „Wirtschaftsterroristen“, die „Verrat“ begangen hätten. Er ging noch weiter: Staaten, die Frieden wollten, müssten bereit für einen Krieg sein. „Wir sind bereit, mit allem, was wir haben“.

Erdogan warf seinem amerikanischen Amtskollegen Donald Trump vor, der Türkei als Nato-Partner „in den Rücken und die Füße geschossen“ zu haben. Anlass für diese Aussage war ein Tweet des US-Präsidenten am Freitag. (Lesen Sie hier einen Kommentar dazu). Trump hatte die Verdopplung der Importzölle für türkischen Stahl und Aluminium ankündigt. Daraufhin hatte die Landeswährung den größten Tagesverlust seit 17 Jahren verbucht, am Montag verlor die Lira zusätzlich rund sieben Prozent an Außenwert. Erstmals kostete ein Dollar mehr als sieben Lira, ein Euro mehr als acht.

Der große Run auf die Banken blieb am Montag aus

Der ganz große Andrang auf die Banken des Landes blieb am Montag offenbar aus – wohl auch weil die Zentralbank signalisiert hatte, dass sie die Banken mit Devisen versorgen könne. Gleichwohl versucht eine wachsende Zahl Bürger offenbar, ihre Vermögen in ausländischen Währungen von den Konten abzuheben, berichtete das „Handelsblatt“. Die Regierung kündigte an, sie werde falls nötig Kapitalverkehrskontrollen einführen, also Höchstsummen fürs Abheben von Bargeld zum Beispiel. Zu dieser Notmaßnahme hatten auch die Griechen auf dem Höhepunkt ihrer Finanzkrise greifen müssen.

In Kreisen von in Deutschland lebenden Türken hörte man am Montag, dass wohl nur sehr treue Erdogan-Anhänger der Aufforderung des Präsidenten nachkommen dürften, Euro und Dollar in Lira zu tauschen, um deren Kurs zu stützen. Vielmehr suchen Türken, die über Devisen verfügen, derzeit verstärkt Anlageobjekte in der Türkei. So sind Immobilen derzeit offenbar sehr gefragt.

Als ein Grundproblem der türkischen Wirtschaft gilt die relativ hohe Verschuldung der Privathaushalte. Vor dem Hintergrund hat Erdogan – gegen den Rat fast aller Ökonomen – stets auf niedrige Zinsen gepocht und im jüngsten Wahlkampf gedroht, der Notenbank den letzten Rest an Eigenständigkeit zu nehmen. Dabei wären nach einschlägiger Lehrmeinung höhere Zinsen nötig, um die Inflation einzudämmen. Höhere Zinsen könnten aber viele Verbraucher – und Wähler der Erdogan-Partei AKP – in Not bringen. Ein Dilemma. Laut „Handelsblatt“ spekulieren türkische Banken nun auf eine straffere Geldpolitik. Dafür könnte die Zentralbank statt einer Anhebung der Leitzinsen zumindest einen Zinskorridor nutzen.

Montag, 13.08.2018, in Istanbul: Ein Jugendlicher läuft an einer Anzeigetafel mit den Wechselkursen ausländischer Währungen vorbei. Viele Türken haben Devisenkonten, um Einbußen wegen der hohen Inflation der Lira zu vermeiden.
Montag, 13.08.2018, in Istanbul: Ein Jugendlicher läuft an einer Anzeigetafel mit den Wechselkursen ausländischer Währungen vorbei. Viele Türken haben Devisenkonten, um Einbußen wegen der hohen Inflation der Lira zu vermeiden.
© Mucahid Yapici/AP/dpa

Der türkische Finanzminister Berat Albayrak, der 40 Jahre junge Schwiegersohn Erdogans, versuchte, mit einer Serie von Tweets und Interviews Vertrauen zu schaffen. Er versprach einen „Aktionsplan“. Zudem sagte er laut Agentur Anadolu, dass Einlagen nicht beschlagnahmt und Devisen auf Bankkonten nicht in Lira zwangsumgewandelt würden. Analysten wie Türkei-Spezialist Timothy Ash kritisierten, dass das hätte früher passieren müssen, bevor die asiatischen Börsen öffneten. „Sie sind immer hinterher, müssen immer aufholen, sind immer zu spät dran, und dann ist der Schaden angerichtet“, twitterte er.

Merkel sagt: Es müssen "Beiträge geleistet werden"

Die Krise ist kein regionales Problem mehr. Nachdem bereits am Freitag der Kurs des Euro zum Dollar und die großen Indizes in Europa verloren hatten, standen am Montag vor allem Tourismus-Aktien auf den Verkaufslisten der Anleger. Und der deutsche Maschinenbauverband VDMA teilte mit, dass die Exporte in die Türkei bereits im ersten Halbjahr um 4,7 Prozent zurückgegangen sind. „Die negative Entwicklung dürfte sich in den nächsten Monaten fortsetzen“, hieß es in einer Mitteilung dazu. Denn Türken müssten diese Maschinen in der Regel in Euro bezahlen, was mit dem Wertverlust der Lira zunehmend teuer wird. Im vergangenen Jahr hatten deutsche Unternehmen Maschinen und Anlagen im Wert von 3,7 Milliarden Euro in die Türkei geliefert.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warnte vor einer Destabilisierung der Türkei. „Deutschland möchte eine wirtschaftlich prosperierende Türkei. Das ist auch in unserem Interesse.“ Zugleich müsse alles getan werden, damit die Notenbank unabhängig arbeiten könne, sagte sie in Berlin. Die EU profitiere, wenn sie von stabilen Ländern umgeben sei. „Dazu müssen entsprechende Beiträge geleistet werden.“ Welcher Art diese Beiträge sein könnten, ließ die Kanzlerin offen. mit dpa/rtr/HB

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