Interview mit dem Vorsitzenden des Beamtenbundes: „Unter einem schwachen Staat leiden alle“
Peter Heesen, Vorsitzender des Beamtenbundes, über Nachwuchsprobleme, schlechte Bezahlung und Gefahren der Schuldenbremse.
Herr Heesen, wie kommt der Truck an?
Gut, die Kampagne läuft prima. Wir wollen Aufmerksamkeit erregen für die Bedeutung des öffentlichen Dienstes. Und das klappt gut mit unserem Lkw, der im Bundesgebiet unterwegs ist mit der Botschaft „Starkes Land, faire Löhne“.
Was ist fair?
Wir dürfen den öffentlichen Dienst beim Einkommen nicht abkoppeln. Allein aus Altersgründen verlieren wir in den kommenden zehn Jahren 700 000 Arbeitskräfte. Um diese Lücke zu füllen, müssen wir attraktiver werden. Indem wir faire Löhne zahlen, die mit denen in der Privatwirtschaft mithalten können. Es gibt jetzt schon etliche Berufe, wo wir hoffnungslos hinten dran sind: Techniker, Ingenieure, IT-Leute.
Diese Leute locken die Dienstherren mit außertariflichen Zulagen. Und überhaupt gibt es Nachwuchsprobleme nach Angaben der Arbeitgeber nur bei Technikern.
Das stimmt nicht. Auch in der Lebensmittelkontrolle, in Baubehörden oder beim Zoll sind wir unterbesetzt. Und nach wie vor wird an allen Ecken und Enden gestrichen. Beim Bund werden Jahr für Jahr pauschal 1,9 Prozent der Stellen abgebaut. Das ist eine Katastrophe.
Katastrophal ist die Situation der öffentlichen Haushalte.
Moment. Finanzstaatssekretär Koschyk gibt zu, dass beim Zoll 3650 Stellen nicht besetzt sind, dass mehr als 1,2 Millionen Vollstreckungsfälle auf Halde liegen. Wenn man das mal vorsichtig umrechnet, haben wir 1,5 Milliarden Euro Außenstände allein im Zollbereich. Das Geld steht dem Staat zu, es wird dringend gebraucht, aber keiner treibt es ein. Das ist doch katastrophal. Ich bin ja gar nicht der Ansicht, dass der Staat alles regeln muss. Aber wo er regelt, muss er es auch ordentlich tun. Unter einem schwachen Staat leiden alle.
Wer will einen schwachen Staat?
Innerhalb der FDP gibt es nach wie vor starke Strömungen, die in diese Richtung wollen. Es gibt die aber auch in der Union. Diese Position, kombiniert mit der Schuldenbremse, führt zu einer Allianz zulasten des Staates.
In der Privatwirtschaft werden Tariferhöhungen mit Produktivitätsfortschritt aufgefangen, im öffentlichen Dienst ist das schwierig. Es bleibt der Abbau von Stellen, damit die Personalkosten nicht steigen.
Ich sehe das Problem. Das haben wir auch bei der Aufstellung unserer Tarifforderung diskutiert. Es gab ja durchaus Bereiche im öffentlichen Dienst, die deutlich mehr als 6,5 Prozent wollten, um den Abstand zu den Privaten schneller zu reduzieren. Man kann aber nicht in einer Tarifrunde die Fehlentwicklung vieler Jahre aufholen. Wir machen eine langfristige Tarifpolitik mit Augenmaß.
Unabhängig vom Schuldenstand im Bund und in den Kommunen?
Selbstverständlich berücksichtigen auch wir die gesamtwirtschaftliche Situation - und die öffentlichen Einnahmen waren 2010 und 2011 ausgezeichnet. Ich kann doch auch nicht immer vor meine Leute treten und sagen: „Seid froh, dass ihr einen sicheren Arbeitsplatz habt, mehr Geld gibt es nicht.“ Es muss ein Signal für den immer stärker belasteten öffentlichen Dienst geben: „Wir honorieren, was ihr für die Allgemeinheit leistet.“
Warum haben Sie so schlechte Tarifabschlüsse gemacht, dass die privaten Einkommen davongezogen sind?
Ganz entscheidend dafür sind die Jahre 2005 bis 2007, als es Nullrunden gab. Damals haben wir auf die heftige Kritik am Bundesangestelltentarif (BAT) reagiert und mit dem TVöD ein neues, zeitgemäßes Tarifwerk geschaffen.
Zulasten der Arbeitnehmer.
Niemand wusste um die Umstellungskosten von einem auf das andere Tarifsystem, deshalb gab es die Zurückhaltung bei den Tarifabschlüssen. Das ist vorbei. Heute drückt uns vor allem das Nachwuchsproblem. Alles in allem: Das Gut Arbeit, die Arbeitskraft wird für die Funktionsfähigkeit des Staates eine wichtigere Rolle spielen als in der Vergangenheit.
Und das sehen Politiker und öffentliche Arbeitgeber auch so?
Ja, die Bundeskanzlerin etwa hat auf unserem Kongress zu Jahresbeginn über das Demografiethema gesprochen. Kurz darauf hat der Bundesinnenminister die Vorsitzenden von DGB, Verdi und Beamtenbund zu dem Thema eingeladen. Eine Kommission wurde eingerichtet, Anfang März setzen wir uns wieder zusammen. Das Thema ist also begriffen worden - jedenfalls auf der Bundesebene. Danach müssen wir sehen, wie wir in den Bundesländern und Kommunen weiterkommen.
Für die Länder gibt es Tarifgespräche erst 2013, jetzt sind die Kommunen dran. Wenn die am 1. März kein Angebot vorlegen, wollen Sie „dagegen vorgehen“. Wie denn?
Seit langer Zeit geht mir das Verhalten der Arbeitgeber gegen den Strich. Wir sagen einige Wochen vor den Verhandlungen, was wir wollen, die Arbeitgeber sind dazu nicht mal bei den ersten Verhandlungen imstande. Deshalb wollen wir mehr Druck auf den Kessel, damit wir schon in der ersten Runde weiterkommen.
Wie sieht der Druck aus?
Wir werden uns zeigen, und das nicht allein mit unserem Truck.
Gibt es denn ein Angebot am 1. März?
Ich hoffe das. Es wäre eine Premiere, aber vielleicht schaffen die das mal.
Dann könnten die Verhandlungen bis Ende März beendet werden?
Ja.
Und das Ergebnis ist besser als in der Vergangenheit?
Nach jahrelangem Personalabbau haben wir so einen schlanken Staat bekommen, dass man fast von Bulimie sprechen kann. Nun haben wir aber gerade in der Finanzkrise, als andere Berufsgruppen versagt haben, gestanden: Der öffentliche Dienst macht seine Arbeit, er steht für Verlässlichkeit und Zuverlässigkeit.
Das kann man auch erwarten.
Aber auch honorieren.
Seit bald zehn Jahren stehen Sie an der Spitze des Beamtenbundes: Wie hat sich das Image der Beamten verändert?
Wir haben früher den Fehler gemacht, Veränderungsideen abzulehnen. Das ist anders geworden. Beim Thema Dienstrecht, bei der Organisation von schlanker Verwaltung und Bürokratieabbau sind wir mit Vorschlägen und Initiativen dabei. Wir geben Gutachten in Auftrag und veranstalten demnächst einen Kongress zum Schuldenabbau. Denn bevor die Schuldenbremse greift, muss natürlich der Schuldenabbau beginnen. Sonst drohen Gefahren für unsere Demokratie.
Wieso denn das?
Wir steuern auf eine Situation zu, in der die Parlamente handlungsunfähig werden: Die Schuldenbremse kommt, aber die Altschulden sind noch da. Dann hat die Politik überhaupt keine Spielräume mehr, wird machtlos. Warum sollen die Leute dann noch wählen? Umgekehrt muss es sein: Ein starker Staat mit Gestaltungskraft ist eine Voraussetzung für eine starke Demokratie.
Das Gespräch führte Alfons Frese
KARRIERE
Peter Heesen (64) ist seit 2003 Bundesvorsitzender des Beamtenbundes. Der gebürtige Krefelder ist Studiendirektor und seit 1993 wegen diverser gewerkschaftlicher Tätigkeiten vom Dienst freigestellt. Derzeit überlegt Heesen, ob er für eine weitere Amtszeit (fünf Jahre) kandidieren will.
TARIFRUNDE
Am Donnerstag beginnen in Potsdam die Verhandlungen für mehr als zwei Millionen Beschäftigte der Kommunen und des Bundes. Verdi, Beamtenbund und die Gewerkschaften der Polizisten und Lehrer fordern eine Einkommenserhöhung um 6,5 Prozent.
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