E-Zigaretten: Unter Dampf
Ausgequalmt – immer mehr Raucher entscheiden sich für die Elektrozigarette. Herstellern und Händlern bringt das Wachstum. Aber jetzt gibt es neue EU-Regeln, und sie fürchten um ihre Existenz.
Großflächige Warnhinweise, Schockbilder und ein Verbot von Zusatzstoffen – am kommenden Dienstag entscheiden die Abgeordneten im Europaparlament in Brüssel über die neue Tabakrichtlinie. Mit dem Gesetz will die EU auch dem elektronischen Pendant zum Glimmstengel, der E-Zigarette, strengere Regeln auferlegen. Denn für viele Raucher ist sie inzwischen Zigarettenersatz, auch deshalb, weil man in manchen Nichtraucherbereichen und Restaurants „dampfen“ darf. Jeder hundertste Raucher in Deutschland benutzt die E-Zigarette inzwischen täglich, jeder fünfzehnte hat sie im vergangenen Jahr probiert, ergab eine Umfrage der EU.
Doch der Markt für das Produkt, das es seit 2001 in Europa und seit 2007 in Deutschland gibt, ist nicht einheitlich reguliert. In etwa der Hälfte der EU-Mitgliedstaaten gilt Nikotin als Arzneimittel, dort dürften E-Zigaretten eigentlich ohne Zulassung gar nicht verkauft werden. In Dänemark sind sie sogar ganz verboten, in Deutschland unterliegen sie nur dem Lebensmittelrecht.
Das Chaos will die Kommission nun beenden und elektronische Zigaretten mit einem Nikotingehalt von mehr als vier Milligram pro Milliliter – und das trifft auf die meisten E-Zigaretten zu – künftig überall in der EU als Arzneimittel einstufen. Somit dürften der Großteil der Produkte, die heute frei verkäuflich sind, nur noch in der Apotheke abgegeben werden. Zudem müssten sie einen kostspieligen Zulassungsprozess durchlaufen. Der Umweltausschuss des Europaparlaments hingegen macht sich für eine weniger aufwendige Prüfung der Produkte stark, die die Hersteller weniger belastet.
Sollte der Kommissionsvorschlag sich durchsetzen, träfe das die Hersteller empfindlich. „Die Branche wäre nicht mehr existent“, warnt Dac Sprengel, Vorsitzender des deutschen Verbands des E-Zigaretten-Handels. Man rechne mit einem Umsatzeinbruch von bis zu 90 Prozent in den zehn wichtigsten Handelsländern der Euro-Zone. Das kostspielige Zulassungsverfahren für Arzneimittel könnten sich die meisten Anbieter nicht leisten. Zudem schränke das den Markt unnötig ein. „Ein Verkauf der E-Zigarette in der Apotheke würde nur aufhörwillige Raucher ansprechen“, sagt Sprengel. „Dabei soll sie als Alternative zur herkömmlichen Zigarette etabliert werden und alle Raucher erreichen.“ Für die Branche steht also viel auf dem Spiel: Der Verband geht von elf Prozent als dauerhaften E-Zigaretten-Rauchern aus und von 32 Prozent, die sie bereits getestet haben. Weitere 25 Prozent planten, die Zigarette zu probieren. Damit würden knapp zwei Drittel der zwanzig Millionen Raucher in Deutschland durch das Produkt angesprochen. Betrug 2010 der Umsatz gerade einmal sechs Millionen Euro hierzulande, setzt die Branche inzwischen jährlich 100 Millionen Euro um. Europaweit liegt der Umsatz bei etwa einer Milliarde Euro.
Wie schädlich die elektronische Zigarette auf lange Sicht ist, ist noch nicht erforscht. Zu haben ist sie trotzdem an jeder Ecke: Etwa 2000 Händler vertreiben in Deutschland die elektrischen Kippen. Neben einigen wenigen großen Anbietern wie der Firma Red Kiwi aus Seevetal in Niedersachsen oder dem Onlinehändler Steamo bieten vor allem kleine Händler in Kiosken oder über Onlinevertrieb die E-Zigarette und die Flüssigkeiten zum Befüllen – sogenannte Liquids – an. Während die Geräte nach wie vor aus China kommen, wo sie erfunden wurden, gehen immer mehr Hersteller dazu über, die Liquids in Deutschland und in Europa herzustellen. Der europaweit größte Liquidproduzent, Flavourart, sitzt in Italien.
Dass die geplanten Regelungen die E-Zigaretten-Hersteller empfindlich treffen würden, weiß auch Matthias Groote. Der Europaabgeordnete ist Vorsitzender des Ausschusses für Umwelt, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit im Europaparlament (ENVI). Er befürwortet zwar auch die Einstufung des Produktes als Arzneimittel. Doch favorisiere der Ausschuss eine leichtere Prüfung der Produkte, ähnlich wie bei der Zulassung von Nikotinpflastern, sagt Groote. Das würde Herstellern teure klinische Studien und Tests ersparen.
Die konservative und die liberale Fraktion des EU-Parlaments, die ebenfalls einen Entwurf einbringen wollen, sind gegen eine Einstufung als Arzneimittel und wollen die E-Zigaretten mit Warnhinweisen wie auch normale Zigaretten ab 18 Jahren frei zugänglich und verkäuflich machen.
Für Krebsforscher und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ist dagegen die Apotheke der richtige Platz für die E-Zigarette. Denn auch wenn es bei dem Produkt nicht die 700 Zusatzstoffe gebe, die die normale Zigarette enthält, sei es noch nicht richtig bewiesen, dass das elektronische Dampfen ungefährlich sei. „Wir wollen keinen neuen Suchtmarkt in Deutschland“, sagt Martina Pötschke-Langer vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Sie sieht aber Potenzial in dem Produkt als Mittel zur Raucherentwöhnung, ähnlich dem Nikotinpflaster. Studien zeigen, dass das Inhalieren der E-Zigarette die Entzugssymptome lindert – selbst dann, wenn sie kein Nikotin enthält. Für die Sorgen der Produzenten hat die Wissenschaftlerin wenig übrig. Die Hersteller hätten mit einer Regulierung rechnen müssen. „In das Geschäft mit den E-Zigaretten sind sie sehenden Auges hineingegangen“, sagt Pötschke-Langer.
Während E-Zigaretten in Deutschland vor allem von Kleinhändlern vertrieben werden, halten sich die großen Tabakhersteller bislang zurück. In den USA entdecken dagegen auch die Großen den Markt für elektronische Nikotinprodukte. So brachte vor wenigen Monaten British American Tobacco eine E-Zigarette auf den Markt. Und der US-Tabakproduzent Lorillard kaufte die E-Zigaretten-Marke Blucigs auf. Anders als für die kleinen E-Zigaretten-Hersteller wäre für die Großen der Tabakbranche zumindest die Zulassung kein unüberwindbares Problem.
Julia Rotenberger