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Aufpoliert: VW will den Dieselskandal hinter sich lassen.
© dpa

Wer zu spät kommt: Über 9000 Dieselklagen gegen VW dürften verjährt sein

In einer Musterverhandlung stellt sich der Bundesgerichtshof auf die Seite von VW: Schadensersatzansprüche verjähren 2018. Anwälte sehen aber einen Ausweg.

Für Volkswagen zeichnet sich in der Abgasaffäre ein weiterer Sieg vor den Gerichten ab. Der Bundesgerichtshof (BGH) ließ am Montag in der Verhandlung eines Musterfalls durchblicken, dass Diesel-Besitzer, denen schon 2015 klar war, dass ihr Auto vom VW-Abgasskandal betroffen ist, ab dem Jahr 2019 nicht mehr klagen konnten. 

In diesen Fällen sei Ende 2018 die Verjährung der Ansprüche eingetreten, meinen die höchsten deutschen Zivilrichter. Ein Urteil fiel am Montag nicht, es soll aber „kurzfristig“ verkündet werden (Az. VI ZR 739/20).

Im konkreten Fall ging es um einen VW Touran mit dem Dieselmotor EA 189. Diese Motorenreihe enthält eine Abschaltautomatik, die den Abgasausstoß manipuliert. Die Fahrzeuge stoßen auf dem Prüfstand deutlich weniger Schadstoffe aus als auf der Straße.

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Der BGH hatte im Mai dieses Jahres entschieden, dass VW mit Einbau dieser Software seine Kunden vorsätzlich und sittenwidrig getäuscht hat und Schadensersatz zahlen muss. Die geschädigten Kunden können grundsätzlich verlangen, dass VW ihnen den Kaufpreis erstattet.

Bis wann muss man klagen?

Noch ungeklärt war aber bislang, wann diese Ansprüche verjähren. Der Touran-Käufer hatte erst 2019 geklagt, nach Meinung von VW war das zu spät. Die gesetzliche Verjährungsfrist läuft drei Jahre ab Jahresende. Da der Dieselskandal 2015 ans Licht gekommen war, müssen Betroffene bis Ende 2018 Klage eingereicht haben, sagen die VW-Juristen.

Jahr der Entscheidung: Der sechste Senat des BGH unter Leitung von Stephan Seiters hat in Grundsatzurteilen festgelegt, wann VW Schadensersatz zahlen muss.
Jahr der Entscheidung: Der sechste Senat des BGH unter Leitung von Stephan Seiters hat in Grundsatzurteilen festgelegt, wann VW Schadensersatz zahlen muss.
© AFP

Der BGH scheint das nun ebenso zu sehen. Der Anwalt des Klägers hatte dagegen auf die unsichere Rechtslage verwiesen. Weil viele Kunden nicht wussten, welche Rechte sie hätten, sei ihnen nicht zumutbar gewesen, das Klagerisiko einzugehen. 

Das Landgericht Stuttgart hatte sich dieser Sicht angeschlossen und der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht Stuttgart hatte den Anspruch für verjährt gehalten.

9000 Verfahren sind noch offen

Nach Angaben von VW sind noch rund 9000 Verfahren offen, in denen erst 2019 oder 2020 geklagt wurde. Nicht in allen diesen Fällen ist aber – wie hier – unstreitig, dass die Kläger 2015 schon wussten, dass ihr Auto betroffen ist. 

Der Vorsitzende BGH-Richter Stephan Seiters kündigte deshalb am Montag ein weiteres Verfahren an, das dann für die anderen Konstellationen maßgeblich sein soll.

Was der BGH bislang entschieden hat

Der sechste Senat hat in diesem Jahr zahlreiche Grundsatzurteile zum Dieselstreit gefällt. Nach der verbraucherfreundlichen Entscheidung im Mai setzte jedoch nach späteren BGH-Urteilen Ernüchterung ein. Denn in vielen Fällen gehen die Kunden finanziell leer aus. 

Das betrifft etwa Vielfahrer. Der BGH hat VW nämlich eine Nutzungsentschädigung zugesprochen. Je mehr Kilometer ein Kläger mit dem Auto zurückgelegt hat, desto höher ist diese. Weil die Nutzungsentschädigung vom Schadensersatzanspruch abgezogen wird, bleibt Vielfahrern daher am Ende oft nichts übrig.

Zu viele Abgase: Beim Dieselmotor EA189 hat Volkswagen eine unzulässige Software eingesetzt.
Zu viele Abgase: Beim Dieselmotor EA189 hat Volkswagen eine unzulässige Software eingesetzt.
© dpa

Auch wer seinen Diesel erst nach Bekanntwerden des Skandals gekauft hat, kann in der Regel keine Ansprüche mehr geltend machen, hat der BGH entschieden. Und auch Hoffnungen von VW-Besitzern, dass der Konzern mit Deliktzinsen für die Manipulationen bestraft wird, haben sich nicht erfüllt.

VW vergleicht sich mit Klägern

Unterdessen macht der Autokonzern Fortschritte bei seinem Versuch, das Dieselthema aus dem Weg zu räumen. Bereits Anfang des Jahres hatte VW mit dem Bundesverband der Verbraucherzentralen einen Vergleich geschlossen und damit das Musterfeststellungsverfahren gegen sich beendet. 244.000 Verbraucher hatten zwischen 1350 und 6257 Euro als Schadensersatz bekommen. Darüber hinaus hat VW weitere 25.000 Vergleiche mit Einzelklägern geschlossen, „für weitere 6000 Verfahren liegen bereits Vergleichsangebote vor“, sagte ein VW-Sprecher dem Tagesspiegel.

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Im Februar verhandelt der BGH über das Softwareupdate

Der Dieselstreit geht jedoch schon bald in die nächste Runde. Am 23. Februar 2021 verhandelt der BGH über die Softwareupdates (Az: VI ZR 505/19). VW hält diese für rechtmäßig, Klägeranwälte sehen in den Updates aber erneut eine unzulässige Abschaltautomatik. 

Sollte der BGH das Software-Update als illegal bewerten, müsste VW 2,5 Millionen Pkw zurückrufen, meint der Potsdamer Anwalt Claus Goldenstein. Die Besitzer dieser Autos hätten dann wieder die Möglichkeit, Schadensersatz zu verlangen, Und auch die Verjährungsfrage würde dann wieder neu aufgerollt.

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