Arbeitnehmer: Trotz Krankheit zur Arbeit
Die Fehlzeiten deutscher Arbeitnehmer sind weiterhin extrem niedrig.
Berlin - Von ihren Fehlzeiten im Job besehen strotzen deutsche Arbeitnehmer vor Gesundheit. Zwar ist der Krankenstand nach dem Niedrigrekord im Jahr 2006 zum dritten Mal in Folge leicht gestiegen, wie der aktuelle Gesundheitsreport der Krankenkasse DAK belegt. Doch lag er im vergangenen Jahr immer noch bei vergleichsweise niedrigen 3,4 Prozent – was, auch die Langzeitkranken eingerechnet, im Schnitt 12,4 Fehltagen entspricht. Das Dumme an den schönen Zahlen ist nur: Sie haben wenig Aussagekraft.
Längst nämlich, und besonders in Zeiten der Wirtschaftskrise, beobachten Experten ein Phänomen, das sie mit dem Begriff „Präsentismus“ beschreiben. Aus Angst um ihren Job schleppen sich auch immer mehr kranke Beschäftigte an den Arbeitsplatz – wo sie dann Kollegen anstecken, mehr Fehler und Unfälle verursachen und längerfristig ihren Arbeitgeber und ihre eigene Gesundheit weit stärker schädigen als durch krankheitsbedingte Absenz.
Wie stark der Druck gestiegen ist, belegt der permanent steigende Anteil psychischer Krankheiten. Seit 1998 nahm er um mehr als 60 Prozent zu, im Jahr 2009 waren sie bereits Grund für mehr als jede zehnte Krankschreibung. Häufiger für Fehlzeiten verantwortlich sind nur noch Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems (21 Prozent), der Atmung (19 Prozent) sowie Verletzungen (13,6 Prozent).
Als „ Alarmsignal“ für Überlastung am Arbeitsplatz sehen Experten die zunehmende Klage über Schlaflosigkeit. Man könne hier „schon fast von einer Volkskrankheit sprechen“, so DAK-Chef Herbert Rebscher. Jeder zweite Berufstätige fühlt sich von Schlafproblemen geplagt, jeder zehnte ist schwer betroffen. Die Wirtschaftskrise, so ist sich der Berliner Schlafmediziner Ingo Fietze sicher, hat die Zahl der Schlaflosen weiter erhöht. Den einen nehme der Druck zu Mehrarbeit die Ruhe, den andern die Arbeitslosigkeit. Ursächlich ist laut Rebscher aber auch die Zunahme wechselnder Arbeitszeiten. Ein Drittel der schwer Schlafgestörten sind Schichtarbeiter. Viele Polizisten und Berufskraftfahrer, aber auch Lehrer litten darunter, berichtete Fietze. Und bei Älteren verschärfe sich das Problem. Die Folge: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depression, psychische Leiden. „Wer chronisch weniger als sechs Stunden schläft, hat eine deutlich kürzere Lebenserwartung.“
Und die Arbeitgeber haben schwer gehandikapte Beschäftigte . Bei der Behandlung jedoch sieht Fietze Defizite. Viele Haus- und Fachärzte seien nicht geschult, Schlafstörungen zu erkennen oder ernstzunehmen. Betroffene wiederum scheuten den Gang zum Arzt. Und wer sich mit Schlafmitteln behilft, nimmt sie laut Studie in jedem dritten Fall über einen viel zu langen Zeitraum. Rainer Woratschka
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