„Too big to fail“: Megabanken mächtiger denn je: „Too big to fail“: Megabanken mächtiger denn je
Als die Regierungen in Europa und den USA nach der Pleite der US-Bank Lehman Brothers die Gläubiger aller übrigen überschuldeten Banken mit dreistelligen Milliardensummen freikaufen mussten, brachte dies eine verblüffende Wahrheit ans Licht: Ausgerechnet auf den Kommandohöhen der Weltwirtschaft, bei den global vernetzten Finanzkonzernen, gelten die von Wirtschaftsführern so gern angeführten Regeln des Marktes offenkundig nicht. Anders als bei normalen Unternehmen mussten die Kreditgeber für ihre Fehlinvestitionen nicht haften.
Als die Regierungen in Europa und den USA nach der Pleite der US-Bank Lehman Brothers die Gläubiger aller übrigen überschuldeten Banken mit dreistelligen Milliardensummen freikaufen mussten, brachte dies eine verblüffende Wahrheit ans Licht: Ausgerechnet auf den Kommandohöhen der Weltwirtschaft, bei den global vernetzten Finanzkonzernen, gelten die von Wirtschaftsführern so gern angeführten Regeln des Marktes offenkundig nicht. Anders als bei normalen Unternehmen mussten die Kreditgeber für ihre Fehlinvestitionen nicht haften. Stattdessen traten die Steuerzahler ein, die Gläubiger verloren keinen Cent.
Die Begründung der verantwortlichen Politiker für diesen Sündenfall wider die Marktwirtschaft gipfelte stets in derselben Formel: „too big to fail“. Die freigekauften Geldhäuser waren zu groß, um sie in Konkurs gehen zu lassen, weil der Ausfall ihrer Schulden weitere Banken und Versicherungen in die Pleite getrieben hätte. Sie waren „systemrelevant“, wie die Aufseher sagen. Damit war plötzlich klar, dass alle großen Finanzkonzerne de facto eine implizite Staatsgarantie genießen und die Regierungen allein durch deren Existenz im Ernstfall erpressbar sind.
Dieses Privileg ist aber selbst eine der zentralen Ursachen für die Krisenanfälligkeit des Systems. Denn die Folge ist, dass Banken und Versicherungen sich umso billiger Kredite und Kapital verschaffen können, je größer sie sind, weil die Anleger wissen, dass sie ihr Geld nicht verlieren können. Das erzeugt einen permanenten Fehlanreiz: Das Kapital fließt nicht den best geführten Häusern zu, sondern den größten, die damit nachweislich auch umso höhere Risiken eingehen. Eine Untersuchung der Bank of England ergab, dass dieser Finanzierungsvorteil allein den 28 größten Banken der Welt einen Kostenvorteil von jährlich 250 Milliarden Dollar einbringt. Eine Forschungsgruppe der University of California fand zudem heraus, dass die meisten Bankenfusionen im vergangenen Jahrzehnt allein dazu dienten, die nötige Schwelle für diesen Vorteil zu überschreiten, die sie bei einer Bilanzsumme von etwa 100 Milliarden Dollar ansetzen. Zum Vergleich: Die Deutsche Bank weist sogar Anlagen im Wert von drei Billionen Dollar aus, dem 30-fachen dieser Summe.
Die so erzielte Staatsgarantie „erhöht die Risikobereitschaft und verzerrt den Wettbewerb“, befand auch Beatrice Weder di Mauro, eine der fünf Wirtschaftsweisen der Bundesregierung. Und so forderten zahlreiche Politiker und Zentralbanker auf beiden Seiten des Atlantiks zunächst radikale Gegenmaßnahmen. „Too big to fail is too big“, proklamierte etwa der britische Notenbankchef Mervyn King und setzte genauso wie der Ex-Chef der US-Notenbank und Berater von Präsident Obama, Paul Volcker, auf die Verkleinerung der Megabanken. Und selbst Kanzlerin Merkel forderte, nie wieder solle eine Bank „so groß sein, dass sie den Staat erpressen darf“, dies sei „der wichtigste Punkt“.
Doch so klar die Forderungen waren, so schwach blieben die Taten. Die Branchenriesen konnten die Krise sogar nutzen, um noch größer zu werden. Die Deutsche Bank etwa übernahm die Postbank sowie die Bank Oppenheim, der US-Geldgigant JP Morgan schluckte neben Amerikas größter Sparkasse Washington Mutual gleich auch noch die Investmentbank Bear Stearns, während die Bank of America die drittgrößte Wall Street-Bank Merrill Lynch vereinnahmte. Das ging einher mit einer weiteren Vergrößerung des Einflusses der Finanzgiganten auf die Politik. In der Folge scheiterten alle politischen Initiativen für deren Teilung oder Schrumpfung auf ein marktverträgliches Maß.
Das zeigte sich etwa bei den Beschlüssen des „Basler Ausschusses für Bankenaufsicht“, in dem die Aufsichtsbehörden der G-20-Staaten die Mindeststandards für das Geldgewerbe festlegen. Die Aufseher hatten sich zunächst für die Einführung einer absoluten Obergrenze für die Menge an Fremdkapital ausgesprochen, mit der Banken operieren dürfen. Je größer dieser „Kredithebel“ ist, im Banker-Englisch „leverage ratio“ genannt, desto höhere Renditen auf ihr Eigenkapital können Banken erzielen. Aber umso höher ist auch das Risiko, weil nur wenig eigenes Geld zur Verfügung steht, um Verluste auszugleichen. Die logische Konsequenz der Krise wäre gewesen, eine solche Schuldenbremse für Banken umso härter zu gestalten, je größer ihr Anlagevolumen ist. Auf diesem Weg, so bestätigt die Bankenexpertin Dorothea Schäfer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), könnten der Wert der impliziten Staatsgarantie ausgeglichen und die Marktregeln auch für Großbanken wieder eingeführt werden. Denn mit der Größe würde die Rentabilität abnehmen und damit der Zugang zum Kapital der Anleger erschwert.
Aber während der Verhandlungen schrumpfte die geforderte Begrenzung des Kredithebels zu einer bloßen Kann-Bestimmung, die noch dazu das 33-fache des Eigenkapitals an Schulden zulässt – entsprechend dem Niveau des Lehman- Konzerns vor der Pleite. Die Abschaffung der Staatsgarantien durch die Begrenzung der Konzerngröße ist bei der Gesetzgebung und deren praktischer Umsetzung in Brüssel und Washington denn auch nicht vorgesehen. Stattdessen setzten US-Regierung und ihre EU-Partner nur auf die allgemeine Erhöhung des Eigenkapital-Polsters der Banken. Zudem soll es künftig möglich sein, Finanzinstitute, die in Schieflage geraten, zwangsweise in Staatshand zu übernehmen und – unter Beteiligung der Gläubiger – abzuwickeln.
So sollen alle Banken bis 2019 ihr verfügbares Eigenkapital im Verhältnis zu ihren „risikogewichteten“ Anlagen von bisher zwei auf dann sieben Prozent erhöhen. Die meisten Großbanken reklamieren, dass sie diesen Standard sogar schon jetzt erfüllen. Doch der Wert solcher Versicherungen ist fraglich. Denn die „Gewichtung“ ihrer Anlagen in Risikoklassen obliegt den Banken selbst. Staatsanleihen etwa werden mit „null“ gewichtet, müssen also gar nicht mit eigenem Kapital abgesichert werden. Auch das Ausfallrisiko anderer Wertpapiere wird oft nur mit 30 Prozent oder weniger angesetzt, wie es sich aus bankeigenen Modellrechnungen ergibt. So werden dann etwa bei der Deutschen Bank aus Anlagen von drei Billionen Dollar „risikogewichtet“ lediglich 337 Milliarden und prompt liegt das „Kernkapital“ der Bank bei über zehn Prozent – ein Wert, der nur scheinbare Sicherheit vermittelt. Denn im Krisenfall, so konstatierte die Wirtschaftsweise Weder di Mauro trocken, „sind die Risikomodelle wertlos“.
Erst recht unglaubwürdig ist das angekündigte Abwicklungsregime für angeschlagene systemrelevante Institute zulasten der Gläubiger, wie es die US-Finanzreform vorsieht und die EU demnächst einführen will. Denn auch eine solche vorsorgliche Krisenintervention der Aufsicht würde aller Erfahrung nach genau die Panik bei Anlegern auslösen, die verhindert werden soll. Sie würden massenhaft ihr Geld aus vergleichbaren Banken abziehen und die staatliche Feuerwehr würde zum Brandstifter. Der Systemexperte und frühere Chefökonom des IWF, Simon Johnson, hält das ganze Vorhaben daher für einen „Mythos“. Die geordnete Abwicklung werde erst glaubwürdig, wenn die Banken kleiner und einfacher würden. Angela Merkels „wichtigster Punkt“ bleibt auf der Agenda.
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