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Wirtschaft: Tanz als Beruf

Zum Festival „Tanz im August“ stehen in Berlin wieder Künstler aus aller Welt auf der Bühne. Was ihren Job ausmacht, wie ihr Alltag aussieht – und warum sie nicht nur tanzen, sondern auch kellnern können sollten.

Am Dienstag ist ihr Tag. Da wird Lee Meir im Podewil auf der Bühne stehen. Sie wird gespannt darauf sein, was der Abend bringt. Die 15 Minuten, in denen sie Worte und Gesten zusammenführt, in einer Weise, in der sie nicht zusammengehören. In denen ihr Körper ausdrückt, was nicht zu den Sätzen passen will, die ihr Mund formt. Zehn Monate hat sie an dem Solo „Translation Included“ gearbeitet, erzählt die Tänzerin im Garten des Kulturpalais und zieht an ihrer Zigarette.

Bei der Tanzbiennale in Israel hat die zierliche Frau mit der schwarzen Locke vor den Augen das Stück uraufgeführt, wurde mit dem ersten Preis für junge Choreographen ausgezeichnet – und zum internationalen Festival für zeitgenössischen Tanz und Performance in Berlin, „Tanz im August“, eingeladen.

Lee Meir ist 27, Israelin und hat in ihrer Heimat fast vier Jahre als freie Tänzerin gelebt. Die Kuratoren aus Berlin hätten aber nicht nach Israel reisen müssen, um auf ihr Stück zu stoßen. Vor zwei Jahren zog sie an die Spree und schrieb sich am Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz (HZT) – der 2006 in einem Pilotprojekt an den Start gegangenen Ausbildungsstätte für Tanz und Choreographie – für ein Bachelorstudium ein. Inzwischen wird das HZT in der Trägerschaft der Universität der Künste und der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch geführt. Lee Meir gehört zum ersten regulären Jahrgang. Ihr Solo hat sie in den Uferstudios des HZT entwickelt.

Es ist Lee Meirs erstes Studium. Das Tanzen hat sie in unzähligen Kursen an kleineren Schulen gelernt. Seit der Kindheit besuchte sie Ballettkurse und Workshops für freien, zeitgenössischen oder modernen Tanz. „In Israel ist das der typische Weg in die Professionalität“, sagt sie.

In Deutschland ist das anders. Tänzer werden hier meist in mehrjährigen Kursen an einer staatlichen oder privaten Hochschule oder Fachschule ausgebildet – im Ballett wie im zeitgenössischen Tanz.

Tänzer, die hoch hinaus und irgendwann in einem namhaften Ensemble oder einer bekannten Kompanie arbeiten wollen, kommen um den Besuch einer staatlichen Hochschule kaum herum. „Wer es über einen Quereinstieg, über den Abschluss an einer Fachschule oder privaten Einrichtung in ein hochkarätiges Ensemble schafft, muss eine künstlerische Ausnahmeerscheinung sein“, sagt Michael Freundt vom Dachverband Tanz Deutschland. Im Ballett hat man noch weit weniger Möglichkeiten, ungewöhnliche Wege zu gehen, als im zeitgenössischen Tanz. Die hohen körperlichen Anforderungen machen es erforderlich, dass man als Kind mit dem Tanzen beginnt, der Körper sich langsam anpasst, Bindegewebe und Muskulatur sich aufbauen. „Man kann ja nicht einfach so auf Spitze tanzen.“

In Berlin ist die Staatliche Ballettschule die erste Adresse für Kinder und Jugendliche, die klassischen Tanz lernen wollen (siehe Kasten). Zur fünften Klasse kann man einsteigen. Außerdem bietet die Schule für 16- bis 20-Jährige den Studiengang Bühnentanz an. Entsprechende Vorkenntnisse werden vorausgesetzt.

Auch im zeitgenössischen Tanz, in dem es weniger um virtuelle Technik geht als um persönlichen Ausdruck und Reflexion von Bewegung, ist ein Quereinstieg mit Mitte 20 eher die Ausnahme. „Die körperliche Ausbildung ist auch hier ein entscheidendes Moment, tägliches Training die Regel“, sagt Michael Freundt. Auch am Zentrum für Tanz steht fast jeden Tag ein Training auf dem Stundenplan, sagt Lee Meir.

Am HZT studieren in der Regel Künstler, die seit Jahren tanzen und dann merken, dass sie Zeit zum Reflektieren ihrer Arbeit brauchen, erklärt Nik Haffner. Er gehört zum Direktorium und arbeitet als Dozent am HZT. „Voraussetzung für eine Bewerbung ist neben der künstlerischen Eignung, dass Bewerber eine Idee davon haben, was sie künstlerisch erreichen wollen“, sagt er. Ein maximales Alter, ein Normgewicht, eine bestimmte Ästhetik sind keine Kriterien für eine Aufnahme.

Nik Haffner ist 43. Er selbst hat noch eine Ausbildung im klassischen Tanz absolviert. Zu seiner Zeit habe es nur wenige Schulen mit zeitgenössischem Fokus gegeben. Tanztechnik und Choreographie seien streng getrennt gewesen. Doch das hat sich geändert. „Heute arbeiten Tänzer oft auch kreativ an einem Stück mit, auch wenn es einen Choreographen gibt.“

Der neue Anspruch spiegelt sich in den HZT-Lehrplänen wider. Die Studenten vertiefen nicht nur verschiedenste Tanztechniken, sondern lernen auch, sie in Beziehung zu setzen, konzeptionell und interdisziplinär zu arbeiten und Tanz in einen philosophischen oder politischen Kontext zu setzen.

Die wenigsten Studenten am HZT sind darauf aus, in einem Ensemble oder einer Kompanie zu arbeiten. Nach einer Absolventenbefragung von 2009/2010 planen nur zwei bis drei Prozent in einem angestellten Verhältnis tätig zu werden. Die meisten wollen als freie Tänzer leben.

Der Einstieg in die Profiliga ist aber nicht leicht. „Man braucht etwa drei bis vier Jahre, bis man Kontakte in der Szene hat, über die man dann immer wieder an neue Projekte kommt“, sagt Nik Haffner. Viele Tänzer nehmen Nebenjobs an, kellnern oder beginnen sich in der Tanzpädagogik weiterzubilden und Unterricht zu geben, bis sie genügend Projekte im Jahr finden, um sich über Wasser zu halten.

Auch Lee Meir kellnert neben dem Studium. Außerdem verdient sie sich etwas bei einem Projekt in München dazu. Wie die meisten ihrer Kommilitonen will sie nach dem Studium Eigenes auf die Beine stellen, in Bühnenbilder umsetzen und tanzen, was ihr durch den Kopf geht. „Ein regelmäßiges Gehalt wiegt die künstlerische Freiheit nicht auf“, sagt sie.

Im Vergleich mit den Freien verdienen Angestellte einiges mehr. Ein Gruppentänzer bekommt laut Deutschem Bühnenverein im Schnitt 2800 Euro im Monat. Solotänzer erhalten mindestens 1600 Euro. Je nach Größe des Hauses und Bekanntheit des Tänzers können jedoch bis zu 3800 Euro oder mehr drin sein.

2000 Euro im Monat plus 250 Euro pro Vorstellung gibt es dagegen im Schnitt bei freien Projekten, schätzt Michael Freundt.Doch die Gagen müssen auch für die projektfreien Zeiten, für Versicherungen und Sozialabgaben reichen.

Lee Meir kann sich nicht vorstellen, dass sie irgendwann einmal künstlerisch nichts mehr zu sagen haben wird. Seit sie Kind ist, hat sie mit Skizzen und Bildern in einem großen Notizbuch auf ihre Umwelt reagiert, hat sie getanzt und geschauspielert. Schon jetzt brennt sie darauf, sich nach dem Studium auszuprobieren. Für ein Masterstudium hat sie dann jedenfalls erst einmal ein paar Jahre keine Zeit.

Das Festival „Tanz im August“ läuft bis zum 25. August. Das Programm steht im Internet unter: www.tanzimaugust.de

Marion Koch

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