Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst: Streit um den Sockel
Am Dienstag beginnt die Tarifrunde im öffentlichen Dienst – die Gewerkschaften wollen mehr als Lohnprozente, die Arbeitgeber warnen vor einer Begünstigung unterer Einkommensgruppen.
Jetzt geht es richtig los. Die Tarifparteien der Chemieindustrie haben vergangene Woche mit einem erstaunlich zügigen Abschluss (3,7 Prozent mehr Geld) das Tarifjahr eingeläutet. Nun ist der öffentliche Dienst dran. Am Dienstag präsentieren Verdi und Beamtenbund ihre Forderung für mehr als zwei Millionen Beschäftigte. Die Arbeitgeber rechnen mit gut sechs Prozent und tüfteln an der Abwehrstrategie.
Am Ende wäre ein Abschluss mit 2,95 Prozent „nicht so schlecht“, meint Thomas Böhle, Präsident und Verhandlungsführer der kommunalen Arbeitgeber. Diese 2,95 kommen nicht von ungefähr – es ist der Prozentsatz, um den 2014 die Einkommen der Beschäftigten der Bundesländer steigen. Dieser Wert taugt durchaus als Orientierung für den Bund und die Kommunen. Aber dem Verhandlungsführer der Gewerkschaften, Verdi-Chef Frank Bsirske, ist das nicht genug. Bsirske braucht einen Sockel.
Bereits im Dezember hat der Verdi-Vorsitzende die Richtung gewiesen, als er einen Sockelbetrag von 100 Euro und weitere drei Prozent ins Spiel brachte. Die Gewerkschaften nennen den Sockel auch gerne soziale Komponente, weil die unteren Einkommensgruppen besonders begünstigt werden. Wenn sich Bsirske durchsetzt, bekommt jeder Arbeitnehmer 100 Euro mehr im Monat und dazu noch ein Plus von weiteren drei Prozent; macht zusammen mindestens sechs Prozent.
„Wir wollen den Sockel nicht“, sagt Böhle. „Der Sockel führt dort zur Vernichtung von Arbeitsplätzen, wo die Arbeit überproportional verteuert wird.“ In der untersten Einkommensgruppe erhöhe der Sockel die Löhne um bis zu 9,68 Prozent. Das brächte dann zum Beispiel im öffentlichen Personennahverkehr oder der Entsorgungswirtschaft, wo kommunale Betriebe im Wettbewerb mit privaten Anbietern stehen, „erhebliche Kostennachteile“. Böhles Wirkungskette: Die Arbeit wird zu teuer, staatliche Betriebe verlieren Ausschreibungen gegen private Wettbewerber, die viel geringere Löhne zahlen, Arbeitsplätze gehen verloren.
Vor zwei Jahren kam Böhle mit dieser Argumentation durch. Damals forderten Verdi und die Gewerkschaften des Beamtenbundes 6,5 Prozent, mindestens aber 200 Euro. Am Ende gab es in drei Stufen und über zwei Jahre verteilt 6,3 Prozent mehr – und keinen Mindestbetrag. Für die Prozente bekam Bsirske Lob, für das Fehlen des Sockels Prügel.
Funktionäre und Basis der Gewerkschaft reklamieren seit Jahren die soziale Komponente, weil die Einkommensbereiche, in denen es überdurchschnittlich viele streikbereite Gewerkschaftsmitglieder gibt, dadurch überdurchschnittliche Gehaltssteigerungen bekommen. 2008 ging das schon einmal gut: Die Gewerkschaften forderten damals mindestens 200 Euro Zuschlag pro Kopf und Monat, am Ende gab es dann 50 Euro. Immerhin. So ungefähr könnte der Poker ums Geld in diesem Frühjahr auch ausgehen.
Mit der Forderung zwischen sechs und sieben Prozent setzen sich die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes an die Spitze der diesjährigen Tarifszene. Sowohl in der Chemie als auch bei der Telekom, in der Druckindustrie oder im Bereich Nahrung-Genuss-Gaststätten gingen die Gewerkschaften mit 5,5 Prozent ins Rennen. Die „Zurückhaltung“ ist erstaunlich, weil die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen heute besser sind als vor einem Jahr – damals aber lagen die meisten Forderungen bei 6,5 Prozent. Womöglich haben die zuletzt gestiegenen Lohnstückkosten, die das Verhältnis von Produktivität und Arbeitskosten abbilden und wichtiger Maßstab für die Wettbewerbsfähigkeit sind, die Gewerkschaften zum Maßhalten animiert. Für den öffentlichen Dienst gilt das aber nicht – auch deshalb nicht, weil hier nur alle zwei Jahre verhandelt wird.
Die lange Laufzeit bringt den Arbeitgebern Planungs- und Kalkulationssicherheit. Dafür sind sie bereit, ein paar Zehntel draufzulegen. Und die Einkommen in Stufen zu erhöhen, also vermutlich ein kleiner Sockel plus eine Prozentzahl vom 1. März an und eine weitere prozentuale Erhöhung 2015. Darauf stellt sich Böhle ein. Der Verhandlungsführer der Kommunen hat es es schwer genug, denn ähnlich wie die Arbeitgebervertreter in der Industrie, die in jeder Tarifrunde die unterschiedliche Lage der Betriebe anführen und deshalb vor Tariferhöhungen warnen, die die Schwachen überfordern, argumentiert Böhle mit klammen Kommunen. Vor allem für Gemeinden im Ruhrgebiet, in Hessen und Rheinland-Pfalz seien Gehaltserhöhungen „richtig brutal“. Mit insgesamt 133,3 Milliarden Euro seien die Kommunen „so hoch verschuldet wie noch nie“. Einen Rekord gibt es indes auch bei den Einnahmen: Von 74 Milliarden Euro (2012) über 78 Milliarden Euro (2013) steigen die Steuereinnahmen der Gemeinden in diesem Jahr voraussichtlich auf 80,9 Milliarden Euro. Im vergangenen Jahr gab es sogar einen „positiven Saldo in den Kommunalfinanzen“, wie Böhle einräumt. Doch das werde sich 2014 ändern, wenn der Tarifabschluss zu teuer wird.
Schwierige Finanzen und besondere Arbeitsbedingungen gehören zum Standardrepertoire der Arbeitgeber vor Tarifverhandlungen. Böhle betont die flexiblen Arbeitszeiten, die eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichten, den sicheren Arbeitsplatz und überhaupt die gute Versorgung. „Wir müssen uns nicht verstecken und sind in manchen Bereichen unschlagbar“, meint er auch mit Blick auf den Nachwuchs. „Wir haben viel mehr Bewerber als offene Stellen und zahlen deutlich überdurchschnittliche Ausbildungsentgelte.“ Die Einkommen insgesamt seien ordentlich gestiegen, seit 2008 um 19,5 Prozent. „Ich finde das nicht ohne“, sagt Böhle. Aber das ist Geschichte. Unter drei Prozent, das weiß der Tarifpolitiker, wird er in diesem Jahr keinen Tarifabschluss bekommen.
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