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Die Last der Entlastung. Die Verfassungsrichter prüfen, ob Steuervorteile für Firmenerben dem Gemeinwohl dienen.
© imago/Stockhoff

Erbschaftsteuer vor dem Verfassungsgericht: Streit um das Firmen-Erbe

Das Verfassungsgericht könnte Steuerprivilegien für Unternehmenserben streichen – die Regierung und Verbände warnen davor.

Das Bundesverfassungsgericht hat offenbar Zweifel daran, dass die steuerliche Bevorzugung von Unternehmenserben mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das wurde am Dienstag bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe deutlich. Nur 15 Prozent des Vermögenswertes eines Unternehmens werden für die Erbschaftsteuer angesetzt, sofern das Unternehmen fünf Jahre lang von den Erben gehalten wird. Bei siebenjähriger Weiterführung werden sogar 100 Prozent des Wertes von der Steuer verschont. Das könnte eine verfassungswidrige Überprivilegierung sein, weil die Erben von Immobilien oder Aktien deutlich mehr Steuern bezahlen müssen.

10,8 Milliarden Euro Erbschaftsteuer sind dem Staat allein im Jahr 2012 entgangen, weil bei Unternehmen der Übergang auf die nächste Generation weitgehend steuerfrei verläuft. Diese Zahl nannte Bundesverfassungsrichter Michael Eichberger, der Berichterstatter in dem Großverfahren ist, zu Beginn der Verhandlung. Insgesamt nimmt der Staat nur 4,5 Milliarden im Jahr aus der Erbschaftsteuer ein. Der Verzicht macht also das Zweieinhalbfache der Einnahmen aus.

Die Bundesregierung und die Unternehmensverbände verteidigen das umstrittene Gesetz dennoch. Staatssekretär Michael Meister aus dem Bundesfinanzministerium appellierte am Dienstag eindringlich an die acht Richterinnen und Richter des Ersten Senats, die Situation der Familienunternehmen zu bedenken, die in Deutschland 60 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze stellten. Man dürfe nicht nur fragen, was die steuerliche Schonung koste. „Ich stelle die Gegenfrage: Was bringt der Erhalt von Arbeitsplätzen?“

Genau um diese Frage ging es in den folgenden drei Stunden. Wären Arbeitsplätze überhaupt gefährdet, wenn Betriebe beim Generationenübergang behandelt würden wie andere Erbschaften auch? Professoren und 15 Unternehmensverbände, Stiftungen und Vereine kamen am Dienstag zu Wort. Und sie gelangten zu sehr unterschiedlichen Einschätzungen der aktuellen Situation. Aber eine wirkliche Klärung gelang mangels belastbarer Zahlen letztlich nicht.

In 94 Prozent aller Fälle muss keine Steuer gezahlt werden

Dabei ist das Argument, die Erbschaftsteuer müsse für Unternehmen wegen des Arbeitsplatzerhalts niedrig sein, rechtlich zentral. Denn nach dem Grundgesetz und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss das Steuersystem den Gleichbehandlungsgrundsatz erfüllen. Wer gleich viel erbt, muss mit der gleichen Steuer belastet werden. Ausnahmen sind nur zulässig, wenn sie für das Gemeinwohl erforderlich sind. 2006 urteilte deshalb das Bundesverfassungsgericht, dass die Sicherung von Arbeitsplätzen ausnahmsweise geringere Erbschaftsteuern rechtfertigen kann. Gleiches gilt übrigens auch für Unternehmensschenkungen; denn Beschenkte werden rechtlich wie Erben behandelt.

Dieses Urteil nahm die damalige große Koalition zum Anlass, Erben von Betrieben ab 2009 pauschal zu begünstigen. „Die Ziele, Arbeitsplätze zu sichern und soziale Gerechtigkeit zu schaffen, sind für uns das Maß aller Dinge“, bekräftigte am Dienstag Thorsten Schäfer-Gümbel, stellvertretender SPD-Vorsitzender. Die Arbeitsplatzsicherung müssen Unternehmen mit bis zu 20 Beschäftigten jedoch nicht nachweisen. Das sind in Deutschland 94 Prozent der Betriebe.

Die achtköpfige Richterbank stellte am Dienstag die Grundsatzfrage, wie viele Unternehmen bei Wegfall der Schonung überhaupt in finanzielle Schwierigkeiten geraten würden. Die Bundesregierung konnte keine Zahlen nennen. Da in 94 Prozent aller Erbfälle keinerlei Steuer anfällt, gibt es kein statistisches Material.

Ralf Maithert von der Berliner Humboldt-Universität rechnete aber vor, dass man bei Verzicht auf die Steuerprivilegien für Betriebe die Einkommensteuer auf maximal 13 Prozent senken könnte – bisher liegt der Höchstsatz bei maximal 45 Prozent. Der HU-Ökonom bezweifelt, dass Betriebe verkauft werden müssten, wenn die Erbschaftsteuer angehoben werde. Erbschaftsteuern könnten in der Regel aus dem Grundvermögen – Bargeld oder Immobilien – bestritten werden, ohne dass das Betriebsvermögen belastet werde. Ganz anders beurteilt das der Verein der Familienunternehmer. Zwei Drittel der von ihm befragten Betriebe müsse die Substanz angreifen, wenn die Verschonung von der Erbschaftsteuer aufgehoben würde. Geld, das an anderer Stelle für Investitionen fehle.

Der Erste Senat wird die Sommerpause nutzen, um die Erbschaftsteuer für Betriebsvermögen zu beraten. Das Urteil wird in etwa drei Monaten verkündet.

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