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Schwer vermittelbar. Viele Jugendliche in Berlin finden keinen Job.
© Thilo Rückeis

Jahresbericht der Unternehmerverbände Berlin-Brandenburg: Starke Wirtschaft, schwache Regierung

Die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg ziehen eine gemischte Jahresbilanz. Die Wirtschaft bekommt gute Noten, die Landesregierung nicht.

Christian Amsinck ist ein vorsichtiger Mann. Der Wirtschaftsfunktionär wägt die Worte und scheut Krawall. Am Donnerstag war das ein bisschen anders. Amsinck, seit neun Jahren Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg (UVB), äußerte sich sehr enttäuscht über die schlechte Performance der neuen Landesregierung, die der Wirtschaft mit „Verkehrserziehung“ die Straßen zu blockieren gedenke, sich in Einzelaktionen verzettele und überhaupt „keine abgestimmte Strategie“ habe. Und dann auch noch der BER. Der unglückselige Flughafen sei inzwischen „eine richtige Hypothek für die Region“, klagte Amsinck. Für den Rausschmiss von Flughafenchef Karsten Mühlenfeld zeigte er indes Verständnis: „Geschäftsführung und Aufsichtsrat müssen vertrauensvoll zusammenarbeiten.“ Der Aufsichtsratsvorsitzende Michael Müller (SPD) hatte die Trennung von Mühlenfeld durchgesetzt.

Die Wirtschaft traut dem Senat nicht über den Weg

Über den Regierenden Bürgermeister gibt es kein schlechtes Wort von Amsinck, das wäre auch viel zu riskant. Aber Müller führt eben einen rot-rot-grünen Senat, dem die Wirtschaft nach den ersten 100 Tagen noch weniger über den Weg traut als zu Beginn der Legislatur. „Der Senat muss mehr Wirtschaft wagen“, sagte Amsinck und meint damit: Die Politik soll sich besser raushalten. Aber nicht überall. Mit Hilfe öffentlicher Gelder will die Wirtschaft bis zu 2000 „benachteiligte Jugendliche“ und und Geflüchtete per Einstiegsqualifizierung auf eine Ausbildung vorbereiten. Einen entsprechenden Vorschlag habe man bereits vor einem Jahr unterbreitet, demnächst werde man mit Arbeitssenatorin Elke Breitenbach (Linke) das Thema besprechen. Derzeit gibt es in Berlin rund 6000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte aus den acht größten Asylbewerber-Herkunftsländern; in Brandenburg sind es Amsinck zufolge 1400.

15000 Jugendliche in Berlin und Brandenburg gelten als schwer vermittelbar

Anlässlich der Vorlage des Jahresberichts der Unternehmensverbände äußerte sich der Verbandschef ausführlich über die Situation auf dem Arbeits- und Ausbildungsmarkt. Die Schulen stünden zurecht auf der Prioritätenliste des Senats ganz oben, doch bei den Jugendberufsagenturen, die sich in den Bezirken vor allem um Jugendliche ohne Schulabschluss kümmern sollen, „warten wir bislang noch auf zählbare Ergebnisse“. Derzeit sind in Berlin und Brandenburg mehr als 15000 Jugendliche auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbar, weil sie keine Ausbildung und oftmals auch keinen Schulabschluss haben. In Berlin haben 10700 junge Leute unter 25 Jahren keine Berufsausbildung. Für diese Zielgruppe, aber auch für Flüchtlinge, gibt es die so genannte Einstiegsqualifizierung, mit der die Menschen fit gemacht werden für eine Berufsausbildung. Amsinck zufolge nehmen derzeit 50 Jugendliche an Einstiegsqualifikationen teil. Das reicht indes bei weitem nicht: Derzeit sind in Berlin und Brandenburg rund 7000 Lehrstellen unbesetzt, weil die Unternehmen nicht die passenden Bewerber finden.

Der Verband rechnet mit einem Wachstum von zwei Prozent

Den meisten Unternehmen und Branchen geht es sehr gut, sodass insgesamt die wirtschaftliche Entwicklung und das Beschäftigungswachstum auch 2017 positiv verlaufen werden. Amsinck rechnet in diesem Jahr mit einem Wachstum von zwei Prozent und 56000 zusätzlichen Arbeitsplätzen allein in Berlin; 2016 betrug das Plus 60000. „Seit 2011 sind insgesamt mehr als 200000 neue, sozialversicherungspflichtige Jobs in der Hauptstadtregion entstanden“, freute sich der Verbandsgeschäftsführer. Der Aufschwung trage sich inzwischen selbst, weil „die Stadt eine ungeheure Anziehungskraft ausübt“. Berlin habe den Arbeitsplatzverlust der Jahre 1992 bis 2005 inzwischen wettgemacht, „in Brandenburg sind wir noch nicht ganz so weit“.

Amsinck hält nichts vom Arbeitslosengeld Q

Von den jüngsten Plänen zur Einführung eines Arbeitslosengeldes Q, mit dem erwerbslosen Beschäftigten nach den Vorstellungen der SPD eine Weiterbildung finanziert werden soll, hält Amsinck nichts. Bei älteren Arbeitslosen könnte sich dadurch die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auf bis zu 48 Monate verlängern. Amsinck zufolge wäre das nach der Rente mit 63 „ein erneuter Anreiz für ältere Menschen, sich vom Arbeitsmarkt zurückzuziehen“. Mit ihren Vorstellungen, für die auch Kanzlerkandidat Martin Schulz steht, drehe die SPD „die Uhr in der Arbeitsmarktpolitik um zehn oder 20 Jahre zurück“. Ohne Migranten, darauf wies Amsinck schließlich auch noch hin, hätten die berlin-brandenburgischen Unternehmen noch größere Personalprobleme: 2016 stellten sie erstmals mehr Ausländer ein als Deutsche.

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