Brasilien: Spielraum für Wachstum
Nach dem Boom meiden internationale Investoren Brasilien. Dem Land fehlen Strukturreformen - aber die brauchen Zeit.
Die Fußball-Welt lenkt ihre Aufmerksamkeit auf Brasilien. Investoren machen hingegen einen immer weiteren Bogen um das südamerikanische Land. Das ist an den jüngsten Wirtschaftsdaten ablesbar: 2013 stieg das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zwar, aber nur noch um 2,3 Prozent – verglichen mit 7,5 Prozent im Jahr 2010. Fachleute sehen eine Ursache im nachfrageorientierten Wachstumsmodell, das von der Regierung gefördert wird, aber an seine Grenzen stößt. Ökonomen anerkennen allerdings, dass die Schwäche Brasiliens auch auf die neue Stärke der USA zurückzuführen ist. Weil die US-Wirtschaft sich erholt, fließt weniger Kapital in die BRIC-Staaten. Experten sagen deshalb für 2014 nur ein ein BIP- Wachstum zwischen 1,5 und zwei Prozent voraus. Sie warnen: Um auf einen Pfad beständigen Wachstums zu gelangen, brauche Brasilien strukturelle Reformen und private Investitionen.
„Die Frage ist nicht, warum die Wirtschaft Brasiliens in den vergangenen drei Jahren so schwach gewachsen ist, sondern warum sie sich zwischen 2004 und 2008 so stark entwickelt hat“, sagt José Francisco de Lima Gonçalves, Ökonom an der Universität São Paulo. In diesen starken fünf Jahren habe die weltweit boomende Nachfrage nach Rohstoffen den brasilianischen Export wie nie zuvor begünstigt, sagt er. Außerdem hätten Zinssenkungen in den entwickelten Ländern, mit denen die Wirtschaftskrise bekämpft wurde, dazu beigetragen, Kapital in die Schwellenmärkte umzuleiten. Kapital, das auf einen kaum entwickelten brasilianischen Kreditmarkt und eine hohe Arbeitslosigkeit traf.
Kredite für Haus- und Wohnungskäufe wurden subventioniert
„Es gab Raum für Wachstum“, sagt José Faria, Chefvolkswirt der Deutschen Bank in Brasilien. Zum Beispiel auf dem Immobilienmarkt: Im Rahmen der Initiative „Minha Casa, Minha Vida“ („Mein Leben, mein Haus“) wurden zum Beispiel Kredite für Haus- und Wohnungskäufer subventioniert. Die brasilianische Entwicklungsbank (BNDES) reichte außerdem von 2004 bis 2008 knapp 300 Milliarden Reais (92 Milliarden Euro) an Unternehmenskrediten aus, mehr als doppelt so viel wie in den fünf Jahren zuvor. Beide Maßnahmen zählen – ebenso wie die staatlichen Investition in Fußballstadien und andere WM-Bauten (25 Milliarden Reais) – zum „Programm für beschleunigtes Wachstum“.
Parallel zu den Ausgabenprogrammen stimulierten Steuerermäßigungen den privaten Verbrauch, etwa die Anschaffung von Fahrzeugen und Haushaltgeräten. Das Programm „Bolsa Família“ hat 36 Millionen Brasilianer innerhalb von zehn Jahre aus der extremen Armut geholt und die Mittelklasse wachsen lassen. Mittlerweile ist auch die Arbeitslosenquote auf 5,4 Prozent gesunken. Der monatliche Mindestlohn stieg von 70 Dollar auf bis zu 335 Dollar im Monat.
Doch das brasilianische Wachstumsmodell sei an seine Grenzen gestoßen, weil strukturelle Reformen versäumt worden seien, hebt Constantin Jancso von der Großbank HSBC in Brasilien hervor. Der regulierte Arbeitsmarkt, die ausufernde Bürokratie, die marode Infrastruktur, die enormen Zusatzkosten („Custo Brasil“) machen Investoren das Leben nach wie vor schwer.
Staat und Verbraucher sind verschuldet
Viele Brasilianer haben derweil Schulden angehäuft: Im Dezember 2013 lag die Verschuldungsquote der privaten Haushalte nach Schätzungen der Zentralbank bei gut 45 Prozent des Jahreseinkommens; 2005 hatte sie noch bei gut 18 Prozent gelegen. Verschuldet sind aber nicht nur die Verbraucher, die expansive Fiskalpolitik hat auch die Staatsschulden nach oben getrieben. Ende März stufte die Ratingagentur Standard & Poor’s Brasiliens Note für die Kreditwürdigkeit von „BBB“ auf „BBB-“ herab – damit liegt das Land knapp über dem Ramschniveau.
Brasilien stehe gleichwohl noch lange nicht vor der Pleite, sagt Constantin Jancso von HSBC. „Die Schulden sind überwiegend nicht in Dollar notiert und die Defizitquote von etwa 60 Prozent ist noch kontrollierbar“, betont er. 2015, so erwarten Experten, wird die neue Regierung aufräumen. Die Fiskalpolitik soll gestrafft, der Basiszinssatz erhöht werden, um die Inflation zu bekämpfen. HSBC schätzt, das das BIP deshalb nur um 1,2 Prozent steigt. Um langfristiges Wachstum zu ermöglichen, müsste die historisch niedrige Arbeitsproduktivität steigen, damit das Interesse der Investoren wieder geweckt wird. Beim Bau von Flughäfen, Autobahnen, Eisenbahnen und Häfen hat Präsidentin Dilma Rousseff Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität schon 2012 angeordnet. Die Wirkungen dürften jedoch nicht vor 2015 zu spüren sein.
Camilla Veras Mota