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Unterrricht vor Ort: Antti Hattara im lila T-Shirt erklärt Tim Höregott (vorne im Bild), Martin Pitzing und Sabine Spiegel, wie das Geschäft läuft.
© Kai-Uwe Heinrich

Spieleentwickler in Berlin: Spielend zum Erfolg

Die Berliner Wooga entwickelt Games für soziale Netzwerke. Die Firma sucht dringend Nachwuchs – eine Berliner Uni soll helfen.

Jens Begemann steht in der Firmenküche und breitet die Arme aus. „Ihr seid herzlich willkommen", sagt er und blickt in das Halbrund aus Holzstühlen, in dem zwei Dutzend junge Männer und Frauen sitzen. Die meisten haben sich lässig zurückgelehnt, einer tippt geistesabwesend auf seinem Smartphone herum. Begemann schließt die Arme wieder, sie stecken in lilafarbenen Hemdsärmeln.

Lila ist nicht nur sein Hemd, lila ist auch die Farbe von Wooga, der Spielefirma mit dem Smiley-Logo, Begemann ist ihr Chef. Vor drei Jahren hat der Mittdreißiger das Unternehmen mit einem Drei-Mann-Team gegründet, dann kamen noch eine Angestellte und ein Praktikant hinzu. In einem kleinen Büro in einer ehemaligen Backfabrik in Prenzlauer Berg entwickelten sie Social Games wie „Brain Buddies“, „Bubble Island“ und „Monster World“, einfache, kurzweilige Spiele, die man über das soziale Netzwerk Facebook mit seinen Freunden spielen kann. Heute haben die Spiele Millionen Anhänger im Internet, und Wooga ist kräftig gewachsen. Mittlerweile entwickelt es seine Spiele nicht mehr nur für Facebook, sondern auch für Smartphones und Tablets. Das Unternehmen beschäftigt 250 Mitarbeiter und sucht ständig nach neuen. „We’re hiring!“ – „wir stellen ein“, so steht es in den E-Mails, die das Unternehmen zur Zeit verschickt.

Begemann macht eine Pause. „Wir haben eine Vision“, sagt er dann zu den Studenten. Im Jahr 2020 sollen Internet- und Videospiele die Film- und Musikindustrie eingeholt haben. „Jeder Mensch soll dann Spiele spielen, jeden Tag.“

Was Begemann nicht sagt: Wenn seine Vision Wirklichkeit werden soll, braucht er Leute, wie sie vor ihm im Halbrund sitzen. Die 25 jungen Männer und Frauen sind angehende Game Designer von der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW), der einzigen staatlichen Hochschule in Deutschland, an der es diesen Studiengang im Bachelor-Zweig gibt. Bald werden die ersten von ihnen als Absolventen die Hochschule verlassen. An diesem Freitagmorgen findet für sie der erste von mehreren Workshops bei Wooga statt. In sechzehn Lektionen will das Unternehmen den Studenten vermitteln, wie ihre kleinen Spiele entstehen, von der ersten Idee über die Erschaffung der Charaktere bis hin zur Schaltung der Internetanzeigen für das fertige Spiel.

Studierte Spieleentwickler sind in Deutschland selten. Die Zahl geeigneter Absolventen an staatlichen Hochschulen liege „deutlich unter 100 im Jahr“, sagt Thomas Bremer. Der Professor betreut den Studiengang Game Design an der HTW. Weil die Branche rasant wachse, sei die Nachfrage nach guten Leuten riesig. Der Kultur- und Kreativwirtschaftsindex 2011 unterstreicht das Problem für die Region Berlin-Brandenburg: Die Beschaffung qualifizierten Personals sei für die Games-Branche ein „zentrales Problem“, heißt es in dem Bericht.

Einige Wooga-Mitarbeiter sind an diesem Freitagmorgen ebenfalls in die Firmenküche gekommen. Sie nippen an Latte-Macchiato-Gläsern, während Begemann zu den HTW-Studenten spricht, die kaum jünger sind als sie selbst. Die Mitarbeiter stammen aus 35 Ländern, aus Brasilien, Rumänien oder den USA, die Arbeitssprache in der Firma in Prenzlauer Berg ist ausschließlich Englisch. „Say hello“, sagt der Chef. Die Mitarbeiter tun es. Sie klingen wie ein Oberstufenkurs, der neue Mitschüler begrüßt.

In Reihe zwei im Halbrund sitzt Tim Höregott. Der 22-Jährige, Lederjacke, frisierte Mähne, Piercing über dem rechten Auge, wirkt eher wie ein Rocksänger als wie ein angehender Spieleentwickler. Doch er sagt: „Ich will eigene Welten entwerfen. Für mich gibt es nichts Größeres, als Game Designer zu werden.“ Seinen Traumberuf kennt der Student, seitdem er schreiben kann. Im Grundschulalter schaute er seinem älteren Bruder beim Spielen am „Commodore Amiga“ zu, einem der ersten Computer überhaupt, auf dem Spiele liefen. Weil ihm viele Level zu langweilig waren, zeichnete er alternative Welten auf Papier. Wie solche Welten heute aussehen können, sieht Höregott in der Wooga-Firmenzentrale, als er sich auf den Weg in den Seminarraum macht. Unterwegs lugen Monster mit drei Augen, Hörnern und Tentakeln zwischen fleischfressenden Pflanzen hervor, neben ihnen stehen ein paar Flipcharts und Flachbildschirme. Hier sitzen die Entwickler von „Monsterworld“, dem Spiel, das vor zweieinhalb Jahren auf Facebook freigeschaltet wurde und mittlerweile mehr als zwei Millionen „Daily Active User“ hat, Spieler also, die sich jeden Tag aufs Neue in den virtuellen Garten voller Monster begeben.

Sie sind die Währung, in der der Erfolg eines Spiels gemessen wird. „Monsterworld“ ist der Titel, mit dem Wooga der Durchbruch auf Facebook gelang, gleichzeitig war es der Schritt vom Start-up zum erfolgreichen Unternehmen. Entwickelt hat das Spiel Stephanie Kaiser. Sie war die erste Angestellte, die 2009 zu Wooga kam. Heute ist sie „Head of Studio“ und für die Entwicklung von fünf Spielen gleichzeitig verantwortlich. In die Spielebranche kam sie „als klassische Quereinsteigerin“ über einen Studentenjob beim Klingeltonanbieter Jamba. „Ich würde mein Studio gerne ausbauen“, sagt sie. Aber: „Gute Leute sind Mangelware.“

Diejenigen, aus denen bald gute Leute werden sollen, haben die Monsterwelt inzwischen verlassen. Im kargen Seminarraum summt der Beamer, sonst ist es still. An blanken Holztischen sitzen Tim Höregott und die anderen Game-Design-Studenten und lauschen Antti Hattara. Der Wooga-Mitarbeiter aus Finnland deutet auf die Leinwand. Diagramme und Zahlenreihen zeigen die rasante Entwicklung, die der Markt für die kleinen, einfachen Internet- und Smartphonespiele in den letzten Jahren genommen hat. „Wir können heute mehr als eine Milliarde User erreichen. Und der Markt wächst weiter“, erklärt Hattara. Woogas Vision, dass bald jeder Mensch jeden Tag spielt, scheint nicht mehr allzu weit von der Wirklichkeit entfernt zu sein. Die Spieleentwickler von der HTW könnten helfen, sie umzusetzen.

Benedikt Peters

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