zum Hauptinhalt
Glyphosat ist mengenmäßig das wichtigste Unkrautvernichtungsmittel in Deutschland. Im Jahr werden hierzulande rund 5000 Tonnen eingesetzt, in Mittel- und Südamerika sind die Mengen jedoch deutlich höher. Das Herbizid killt alles, was grün ist – also Unkraut, aber auch Kräuter und Blumen, die Insekten und Vögel brauchen.
© Foto: Steffen Schellhorn/epd

Streit um Unkrautvernichtungsmittel: SPD will Glyphosat in Deutschland verbieten

Nach dem Alleingang des Agrarministers in Brüssel wird jetzt über ein Verbot in Deutschland diskutiert. Umweltbundesamt: Keine Gifte in Gärten.

Wenn Angela Merkel, Martin Schulz und Horst Seehofer an diesem Donnerstag beim Bundespräsidenten auflaufen, um über eine mögliche Große Koalition zu sprechen, werden sie skurrile Dinge zu sehen bekommen. Vor dem Bundespräsidialamt wartet ein Riesen-Maiskolben auf die Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD sowie eine überdimensionierte Flasche mit dem Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat. Damit will die Nichtregierungsorganisation Campact Druck machen, damit Deutschland doch noch Nein sagt zum weiteren Einsatz des umstrittenen Herbizids.

Martin Schulz: "Skandalöser Alleingang"

Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) hatte am Montag auf EU-Ebene völlig überraschend einer weiteren Verlängerung des Unkrautvernichtungsmittels um fünf Jahre zugestimmt und damit Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) brüskiert. Trotz zahlreicher Rücktrittsforderungen der Grünen und von diversen Umweltverbänden will Merkel an Schmidt festhalten, außer einer Rüge der Regierungschefin muss der CSU-Politiker und Seehofer-Vertraute bis auf weiteres nichts befürchten. Auch wenn SPD-Parteichef Martin Schulz am Mittwoch tobte. Schulz sprach von einem „skandalösen“ Alleingang, der zu einem „massiven Vertrauensverlust“ geführt habe. Die SPD setze nun alles daran, die Anwendung von Glyphosat in Deutschland weitestgehend einzuschränken, „wenn möglich zu verbieten“. Der SPD-Parteilinke Matthias Miersch brachte einen Untersuchungsausschuss zur Glyphosat-Affäre ins Gespräch.

Der eigentliche Skandal liegt im Luxus unserer Zeit. Glyphosat ist der Zeit geschuldet, in der der angestoßene Apfel, die schiefe Gurke oder die unrunde Tomate Makel sind! Da wendet man sich scheinbar mit Grausen und sucht die Perfektion.

schreibt NutzerIn fortschritt63

Glyphosat ist eines der wichtigsten Herbizide

Glyphosat, einst vom US-Konzern Monsanto erfunden, ist „der Menge nach eines der wichtigsten Herbizide in der Landwirtschaft“, sagte der Generalsekretär des Deutschen Baunverbands, Bernhard Krüsken, dem Tagesspiegel. Nach einer Erhebung der Universität Göttingen werden in Deutschland rund 5000 Tonnen des Stoffs eingesetzt, das sind rund 30 bis 40 Prozent aller Unkrautvernichtungsmittel. Glyphosat wirkt nicht an der Wurzel, sondern an den Blättern. Rund eine Woche nach der Behandlung welken sie und die Pflanze stirbt ab. Um Unkraut zu bekämpfen, ist Glyphosat ein sehr wirksames Mittel. Allerdings tötet die Substanz auch alles Grün ab, das Vögel oder Insekten als Nahrung brauchen. „Das führt zu einem dramatischen Artenrückgang, nicht nur bei Pflanzen, sondern auch bei Insekten wie Schmetterlingen und Bienen oder bei Feldvogelarten, die in diesen Feldfluren Nahrung suchen“, kritisiert Hendricks.

Glyphosat killt alles Grüne

Dass Glyphosat alles killt, was grün ist – mit Ausnahme der von Monsanto gezüchteten, gentechnisch veränderten, glyphosatresistenten Pflanzen – ist unumstritten. Dagegen tobt ein heftiger Streit über die Frage, ob das Mittel auch Krebs beim Menschen erzeugt. Der Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR), Andreas Hensel, hatte diesen Verdacht vor wenigen Tagen im Tagesspiegel-Interview zurückgewiesen. In der Wissenschaft sei es glaskar, dass Glyphosat nicht krebserregend sei, meint der Behördenchef. Nicht nur das BfR sieht das so, auch die europäische Lebensmittelbehörde Efsa und die EU-Chemikalienagentur ECHA. Auch eine neue Untersuchung aus den USA stützt diese Sicht. Verwirrung gibt es jedoch innerhalb der Weltgesundheitsorganisation WHO: Während das Komitee für Pestizidrückstände JMPR ebenfalls keine erhöhte Krebsgefahr feststellt, hält die WHO-Krebsforschungsagentur IARC Glyphosat für „wahrscheinlich krebserregend“. Das liegt an der unterschiedlichen Herangehensweise. BfR und JMPR bewerten das Krebsrisiko anhand der Glyphosat-Mengen, die in die Umwelt gelangen und denen der Mensch tatsächlich ausgesetzt ist. Die IARC analysiert die Wirkung im Allgemeinen, bezieht also auch mögliche Risiken ein, die durch extrem hohe Dosen ausgelöst werden könnten.

Bauern hätten gern eine Verlängerung um zehn Jahre

Beim Bauernverband hat man für die Diskussion über die Gefährlichkeit von Glyphosat wenig Verständnis. In Deutschland werde weit weniger von der Substanz eingesetzt als etwa in Nord- oder Südamerika. „Bei uns geht es um einige Hundert Gramm pro Hektar, in Südamerika sind es zum Teil über zehn Kilo pro Hektar“, sagt Generalsekretär Krüsken.

Glyphosat, gibt der Bauernvertreter zu bedenken, wirke nur für kurze Zeit und lagere sich nicht in den Böden ab. Der Stoff wird hierzulande zu drei verschiedenen Zeitpunkten eingesetzt: kurz vor der Aussaat, damit die jungen Kulturpflanzen nicht gegen bereits vorhandenes Unkraut ankämpfen müssen, kurz vor der Ernte, um Verunreinigungen zu verhindern, und auf den Stoppelfeldern nach der Ernte, um unerwünschte Pflanzen zu verhindern. Transgene, glyphosatresistente Pflanzen sind in Deutschland nicht zugelassen - und das sollte auch so bleiben, meinen die deutschen Bauern. Sie verstehen nicht, warum Glyphosat jetzt nur für weitere fünf und nicht – wie üblich - für zehn Jahre zugelassen wird. „Glyphosat ist eine Projektionsfläche, bei der es längst nicht mehr um den Wirkstoff und seine Eigenschaften geht. Das ist eine politische Frage, keine wissenschaftliche“, meint Krüsken.

Wie Minister Schmidt seinen Alleingang begründet

Schmidt hatte seinen Alleingang damit begündet, dass die EU-Kommission die Zulassung sowieso verlängert hätte. Mit seiner Zustimmung habe er Verbesserungen herausverhandeln können. So werde künftig dem Schutz der Biodiversität – also der Artenvielfalt – besondere Aufmerksamkeit beigemessen. Die WHO werde aufgefordert, den Wissenschaftsstreit innerhalb ihrer Organisation aufzulösen, die EU habe zugesagt, das Genehmigungsverfahren für Pflanzenschutzmittel auf seine Transparenz hin zu überprüfen und auf nationaler Ebene will Schmidt untersuchen, ob man Glyphosat für Haus- und Kleingärten verbietet.

Umweltbundesamt: Nichts für Kleingärten

Brüssel hatte in der jüngsten Beschlussvorlage den Gedanken, Tiere besser zu schützen, wenn Pflanzenschutzmittel Kräuter und andere Nahrungsquellen vernichten, tatsächlich grundlos gestrichen. „In der am Montag beschlossenen Verlängerung der Genehmigung ist der Gedanke nun zwar wieder aufgenommen“, räumt Steffen Matezki, im Umweltbundesamt wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Pflanzenschutzmittel, „jedoch ohne die übliche Erläuterung der Hintergründe in den Begleitdokumenten.“ Es bleibe daher abzuwarten, wie das in den Mitgliedstaaten umgesetzt wird." Glyphosat, meint der Experte, sollte aber auf die Landwirtschaft beschränkt bleiben. „Wir sind der Auffassung, dass Breitband-Insektizide und -Herbizide in Kleingärten nichts verloren haben.“

Zur Startseite