Krise in der Solarwirtschaft: Sonnenfreunde treffen sich zur Massentherapie
Nach der Pleitewelle unter den Solarmodulherstellern steckt die Branche in der Depression. Auf einer großen Fachkonferenz in Berlin konnte man nun hören, welche Ideen es für den Wiederaufstieg gibt. Viele haben mit Psychologie zu tun. Mit Verkaufspsychologie.
Gastgeber Karl-Heinz Remmers hat es nicht leicht, den richtigen Ton zu treffen an diesem Vormittag. Der langhaarige Diplom-Ingenieur, Gründer der Beratungsfirma Solarpraxis, steht am vergangenen Donnerstag am Pult vor fast 700 Zuhörern im Saal des Hilton-Hotels am Berliner Gendarmenmarkt: Auftakt zum „Forum Solarpraxis“, der angeblich größten nichttechnischen Solarkonferenz in Europa. Man könnte auch sagen, es ist der Beginn einer Massentherapiesitzung.
Es war traumatisch: Erst die Insolvenzen der Modulhersteller in Berlin und Thalheim, Werksschließungen in Frankfurt an der Oder, der Rückzug des Weltkonzerns Bosch aus Arnstadt im thüringischen „Solar Valley“, im Sommer folgten die turbulenten Gläubigerversammlungen in Bonn, wo Solarworld-Chef Frank Asbeck Aktionäre zum Verzicht nötigte. Dann eskalierte der Zollstreit zwischen Brüssel und Peking. Im Publikum sitzen aber auch Vertreter kleinerer Firmen, die neue Nischen gefunden haben in diesem turbulenten Geschäft.
So muss Remmers viele Rollen spielen: den Hassprediger, den Beichtvater, den Seelsorger, den Motivationsguru. Zunächst würdigt er das gemeinsam Erreichte: 36 Gigawatt installierte Gleichstromleistung, bald fünf Prozent Anteil an der Stromversorgung Deutschlands. „Ey, Leute! Das ist etwas, da kann man sagen: Boa, ey, ’ne verdammt starke Leistung!“ Dann ruft er allen Kollegen, die hier noch produzieren, zu: „Haltet durch!“ An Union und SPD geht die Botschaft: „Leute, hört endlich auf damit, über 0,5 Prozent Preisreduktion zu reden. Das ist nur eines von vielen Themen. Wir müssen dickere Bretter bohren.“
Zum Schluss fordert er eine Neuauflage des im Jahr 2000 erstmals verabschiedeten Erneuerbare-Energien-Gesetzes, dem fast alle im Saal ihre wirtschaftliche Existenz verdanken. „Wir brauchen ein EEG 2.0“, fordert Remmers. Dann überlässt er den Gästen das Podium, auch den Solar-Lobbyisten, den Kämpfern für neue Fördermilliarden.
So brüstet sich etwa Carsten Körnig, der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes BSW-Solar, damit, dass die Bundesregierung „zwei bis drei Jahre“ gebraucht hat, um gegen den Widerstand der Branche eine Zielmenge von 2500 bis 3500 Megawatt Leistung für jährlich neu installierte Module festzulegen. „Der Korridor ist zu eng“, urteilt Körnig auf der Bühne – obwohl sich sein Verband mehrfach öffentlich zu diesem Kompromiss bekannt hatte. Carsten Pfeiffer vom BEE, dem Dachverband der Erneuerbaren, wehrt sich in einer Diskussionsrunde gegen die Auffassung, die Zeit sei reif, die Fotovoltaik-Technologie langsam in den freien Strommarkt zu entlassen. „Jetzt den Kapazitätsmarkt zu fordern, ist falsch“, sagt er. In fünf oder zehn Jahren könne man das „ausprobieren“.
Die scheidende Bundesregierung hatte dafür gesorgt, dass die jeweils 20 Jahre lang garantierten Fördersätze für neu angeschlossene Anlagen so stark gesunken sind, dass sich das Solardach heute nicht mehr als Renditeobjekt lohnt. Deshalb wollen Union und SPD laut ihrem Koalitionsvertragsentwurf die Solarindustrie auch von weiteren Einschnitten bei der Förderung verschonen.
Auf etwa zwei der insgesamt rund 17 Millionen Ein- und Zweifamilienhäusern hierzulande ist heute eine Solaranlage installiert. Die Frage lautet nun, wie man möglichst viele der verbleibenden 15 Millionen Hausbesitzer überzeugen kann, ebenfalls zu Sonnenstromproduzenten zu werden? Manche auf dem Kongress hoffen, dass die neue Regierung das Marktanreizprogramm für Stromspeicher ausbaut, und Solarstromproduzenten, die ihren Strom selbst verbrauchen, von EEG-Umlage und Netzentgelten befreit. Kritiker halten das für unsolidarisch, da die Gemeinschaft der Energiewendefinanzierer so noch kleiner würde.
Udo Möhrstedt sitzt derweil ein Stockwerk tiefer in der Hotellobby. Der 73-Jährige kennt alle Argumente dieser zähen Debatte um ein möglichst sonnenstromfreundliches Strommarktdesign. Er führt mit seiner 1982 gegründeten Firma IBC Solar aus dem fränkischen Bad Staffelstein einen der wichtigsten Großhändler und Projektentwickler der Branche. 2012 erlöste er mit 400 Mitarbeitern 576 Millionen Euro Umsatz. Es war schon mal fast eine Milliarde – im Jahr 2010.
Möhrstedt schimpft über das „Duo Infernale“, die Minister Peter Altmaier und Philipp Rösler. Und für EU-Handelskommissar Karel De Gucht hat er schon gar kein gutes Wort übrig, da dieser das Strafzollverfahren gegen Chinas Modulhersteller vorangetrieben hat. 80 Prozent der Module, die Möhrstedts IBC Solar verkauft, stammen aus China. Ja, die Stimmung sei schlecht, aber der Heimatmarkt noch lange nicht satt. Um den zu füttern, brauche es aber nicht immer neue Förderkredite des Staates. „Die Leute wissen ja gerade eh nicht, wo sie ihr Geld anlegen sollen“, sagt Möhrstedt. Warum nicht in eine Sonnenstromanlage?
Eigenheimbesitzer müssten einfach nur verstehen, dass sich diese Anlagen heute nicht mehr wegen der staatlich garantierten Vergütung rechnen, sondern durch das Einsparen bei den Stromkosten. Mit einer Solaranlage inklusive Speichersystem im Keller werde man weitgehend unabhängig vom Versorger und den steigenden Strompreisen. 1000 solcher Komplettsysteme werde IBC Solar wohl in diesem Jahr verkaufen, 2014 deutlich mehr. Im Schnitt spare man damit rund 8000 Euro über 20 Jahre – wenn man annimmt, dass der Strompreis jährlich um zwei bis drei Prozent steigt. Sobald die China-Zölle aufgehoben und die Solarmodule wieder günstiger werden, gehe diese Rechnung noch besser auf, behauptet Möhrstedt.
Auf dem Kongress geht es viel um Glauben und Psychologie. Es verbreitet sich die Hoffnung, dass die Deutschen künftig weniger die Wirtschaftlichkeit oder die Renditeerwartung zur Grundlage ihrer Kaufentscheidung machen. Eine Solaranlage müsse zum Lifestyle-Produkt werden, hört man immer wieder. Auch die Politik müsse aufhören, die Energiewende streng nach Kosten und Nutzen bewerten zu wollen, lautet eine These. „Wenn wir immer alles volkswirtschaftlich optimieren würden, würde niemand mehr mit dem eigenen Pkw fahren, und schon gar nicht mit einem Porsche“, ruft Tobias Schütt vom Solar-Start-up DZ-4 vom Podium herab – und erntet Applaus.
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