Vor der Ratssitzung der Notenbanker: Sollte die EZB ihr Inflationsziel anpassen?
Die Zielmarke für die Inflation ist für Zentralbanken extrem wichtig. Die Amerikaner haben ihre nun überarbeitet. Ob die EZB das auch tun sollte, ist umstritten
Die US-Notenbank Fed hat es vorgemacht. Sie hat ihr Inflationsziel gelockert: Künftig darf die Preissteigerung für einen längeren Zeitraum auch über zwei Prozent liegen, wenn sie vorher länger darunter lag. Was technisch klingt, verschafft den Notenbankern in Washington Spielraum. Sie können ihre Geldpolitik für geraume Zeit lockern und die Zinsen niedrig lassen. Ist das auch ein Modell für die Europäische Zentralbank? Diskutiert werden könnte darüber bereits an diesem Donnerstag, wenn der EZB-Rat zusammenkommt.
Ähnlich wie ihre Kollegen in den USA stellen sich auch die Notenbanker in Frankfurt derzeit grundsätzliche Fragen. Ursprünglich wollte die EZB ihre Strategie bereits im Frühjahr überprüfen. Aufgrund von Corona hat sich das verschoben. Nun soll es in den kommenden Wochen offiziell losgehen. Neben der Frage, ob die EZB den Klimawandel bei ihrer Geldpolitik berücksichtigen sollte, geht es um das Inflationsziel.
Die EZB strebt derzeit eine Preissteigerung von „nahe an, aber unter zwei Prozent“ an. Damit trägt sie der Tatsache Rechnung, dass eine zu hohe Inflation ebenso schädlich ist wie eine Phase fallender Preise. Werden Güter zu schnell zu teuer, können sich Bürger kaum noch etwas leisten, der Wohlstand leidet.
Werden Waren hingegen immer billiger, ist das ebenfalls fatal – denn dann schieben Verbraucher wie Unternehmen in der Hoffnung auf weiter fallende Preise größere Anschaffungen hinaus. Auch das würgt die Wirtschaft ab. Deshalb haben Notenbanker in der Vergangenheit gerne eine gewisse Preissteigerung zugelassen und den Idealwert bei zwei Prozent festgelegt.
Notenbanken haben Schwierigkeiten das Ziel zu erreichen
Zumindest in den USA ist man inzwischen allerdings der Auffassung, dass das die Arbeit der Notenbank zu stark einschränkt. Zuletzt war die Inflation dort mit einem Prozent gemessen an dem früheren Zielwert zu niedrig. Gleichzeitig gibt es aber durchaus auch Bedenken, dass die Preise schnell steigen könnten, wenn erst einmal eine Impfung gegen Corona auf dem Markt ist und die Wirtschaft wieder anspringt.
Denn dann könnte die Nachfrage der Konsumenten rasant steigen, während das Angebot so schnell nicht hinterherkommt – das würde viele Güter zumindest kurzfristig teurer machen.
Mit der neuen Zielsetzung müsste die Fed darauf nicht sofort reagieren, sondern könnte für einen gewissen Zeitraum auch eine Inflation von über zwei Prozent zulassen. Sie müsste die Zinsen also nicht sofort nach oben anpassen, was Unternehmen schnell wieder belasten und Jobs kosten könnte. So gesehen ist die Überarbeitung des Inflationsziels auch eine Reaktion darauf, dass die US-Notenbank stets beides im Blick hat: den Arbeitsmarkt und die Preisstabilität.
Bei der EZB dürfte man genau hinschauen, wie die Kollegen in den USA mit der neuen Zielsetzung umgehen. Beobachter können sich durchaus vorstellen, dass auch die Europäer ihr Inflationsziel anpassen. Die Analysten der KfW-Bank zum Beispiel sprechen sich für ein flexibleres Ziel aus. Etwa für eine Bandbreite, wie es sie in Kanada gibt.
Die dortige Zentralbank verfolgt zwar auch ein Inflationsziel von zwei Prozent – allerdings von plus/minus einem Prozentpunkt. Es ist also auch in Ordnung, wenn die Inflation mal nur bei einem oder sogar mal bei drei Prozent liegt. Laut KfW wäre eine solche Bandbreite auch eine Option für die EZB und könnte ihre Glaubwürdigkeit stärken. „Mit solchen Schritten könnte die EZB sogar zum Vorbild für andere Notenbanken werden“, schreibt die KfW.
Zumal es die Notenbanker in Frankfurt schon seit Jahren nicht schaffen, das selbstgesteckte Inflationsziel zu erreichen. Seitdem es bei der letzten Strategieüberprüfung in 2003 definiert worden ist, lag die Inflation in der Eurozone kein einziges Mal über der Marke zwei Prozent. Zuletzt ist sie sogar leicht ins Negative gefallen.
Es geht auch um die Glaubwürdigkeit
Alexander Kriwoluzky vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin spricht sich deshalb ebenfalls für eine Anpassung des Inflationsziels durch die EZB aus. Er glaubt, dass allein diese neue Wegmarke der Preissteigerung Auftrieb geben könnte. Weil Inflation dann nämlich eher zugelassen würde, stiegen die Erwartungen, dass Güter teurer werden könnten. Unternehmen kalkulieren auf Basis dieser Erwartungen ihre Preise – mit der Folge, dass sie tatsächlich zulegen.
Aus Sicht der Analysten der LBBW ist die Fed hingegen kein Vorbild für die EZB. Schließlich verfolgen die Europäer allein das Ziel der Preisstabilität, während die amerikanische Notenbank auch bewusst den Arbeitsmarkt im Blick hat. Die LBBW geht deshalb eher davon aus, dass die EZB am Ende bei dem alten Inflationsziel bleibt. Größere Anpassungen des Inflationsziels seien „sehr unwahrscheinlich“.
Die EZB hält sich bislang alle Optionen offen. Angestoßen hat die Strategieüberprüfung Christine Lagarde, die im November die Leitung der Zentralbank übernommen hat. Ihre deutsche Vorstandskollegin Isabell Schnabel sagte über die Zielmarke von zwei Prozent kürzlich: „Ich weiß gar nicht, ob die wackelt.“ Schließlich habe man sich nicht ohne Grund auf diesen Wert festgelegt.
Gleichzeitig wünschen sich Beobachter aber seit Längerem mehr Klarheit. Einen Wert „nahe, aber unter zwei Prozent“ anzustreben suggeriert schließlich, dass die Inflation die Marke nicht überschreiten soll. Bereits Lagardes Vorgänger Mario Draghi aber hat regelmäßig von einem „symmetrischen Ziel“ gesprochen, was ebenso leichte Abweichungen wie nach unten wie nach oben zulassen würde.