Kurzarbeit, Bürgschaften, Steuern stunden: So will Wirtschaftsminister Altmaier Folgen des Coronavirus mildern
Ein Drei-Stufen-Plan soll Firmen in Zeiten von Covid-19 helfen. Berlins Wirtschaftssenatorin Pop kritisiert: Die Länder wurden übergangen.
Im Bundeswirtschaftsministerium klingelt in diesen Tagen immer wieder das Telefon. Messebauer wollen wissen, mit welchen Hilfen sie rechnen können, um die Absage großer Veranstaltungen zu verkraften. Mittelständler fragen, wer einspringt, wenn ihre Produktion aufgrund wegen des Coronavirus zum Stillstand kommen sollte.
Rund 50 solcher Anrufe zählt das Ministerium derzeit pro Tag. Seit einer Woche hat es dafür eine eigene Hotline geschaltet. Die Mitarbeiter von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) wollen nicht nur Unternehmern helfen – sondern so auch ein Gefühl für die Lage im Land bekommen. Denn die kann sich schnell ändern.
[Die aktuellsten Zahlen, Entscheidungen über Veranstaltungen und weitere Nachrichten zum Coronavirus erhalten Sie hier in unserem Newsblog.]
Schon jetzt trifft das Virus etliche Unternehmen, die auf Teile aus China angewiesen sind. Airlines bieten Mitarbeitern unbezahlten Urlaub an, um Flugausfälle zu verkraften. Bei Konzernen wie Adidas und Beiersdorf bricht der Umsatz in China ein.
Dazu kommt die offene Frage, wie es nun weitergeht. „Die Unsicherheit für die Wirtschaft, die mit der Ausbreitung des Coronavirus einhergeht, ist enorm“, sagt Achim Wambach, Präsident des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).
Um auf alle Szenarien vorbereitet zu sein, hat das Bundeswirtschaftsministerium einen Drei-Stufen-Plan aufgestellt. Für den Anfang sollen Unternehmen verstärkt Bürgschaften und KfW-Kredite in Anspruch nehmen können. Auch können sie schon jetzt Kurzarbeit beantragen. Sollte sich die Lage zuspitzen, würden auf der zweiten Stufe Bürgschaften und KfW-Kredite aufgestockt, auch könnte der Staat Steuern stunden.
[Die wichtigsten Entwicklungen rund um Covid-19 sowie die wichtigsten Nachrichten des Tages lesen Sie in unserem kostenfreien, werktäglichen Newsletter am Abend „Fragen des Tages“. Hier können Sie sich anmelden.]
Erst in einem dritten Schritt wären Konjunkturmaßnahmen denkbar, wie sie nach der Finanzkrise 2008 oder im Rahmen der Fluthilfe 2013 zum Einsatz gekommen sind.
Bundesländer wollen miteinbezogen werden
Doch nicht in allen Bundesländern kommt das Vorgehen von Wirtschaftsminister Altmaier gut an. Berlin etwa fühlt sich in den Planungen übergangen. Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) fordert, die Länderminister miteinzubeziehen. "Ich rege dringend an, kurzfristig eine Sonderwirtschaftsministerkonferenz unter Hinzuziehung der Spitzenverbände der Deutschen Wirtschaft anzuberaumen", schreibt sie in einem Brief an Altmaier, der dem Tagesspiegel vorliegt.
"Ziel einer solchen Zusammenkunft muss es sein, eine Bestandsaufnahme der aktuellen Situation in Deutschland und den einzelnen Bundesländern vorzunehmen und daraus möglicherweise zu entwickelnde Maßnahmen des Bundes und der Länder abzustimmen", schreibt Pop. Derzeit rechneten 46 Prozent der Berliner Unternehmen damit, dass die Coronakrise sich auf ihr Geschäft auswirkt.
ZEW-Präsident Wambach hält das schrittweise Vorgehen von Altmaier hingegen für richtig. „Es ist gut, dass der Wirtschaftsminister nicht direkt Konjunkturpakete verabschiedet, sondern in einem ersten Schritt Maßnahmen vorlegt, die den Unternehmen helfen, die Zeit der Unsicherheit zu überbrücken.“
Die geplanten Kredite und Bürgschaften etwa könnten „bei Liquiditätsengpässen und einem Rückgang der Aufträge hilfreich sein, die Unternehmen zu stabilisieren“.
Bedarf an Überbrückungskrediten noch gering
Noch scheint der Bedarf an Überbrückungskrediten gering zu sein. „Wir haben bislang vereinzelte Anfragen“, erklärt ein Sprecher des Verbands Deutscher Bürgschaftsbanken (VDB) auf Anfrage des Tagesspiegels. „Von einem Ansturm würde ich aber nicht sprechen.“ Es könnte aber auch die Ruhe vor dem Sturm sein. Denn die eigentliche Kreditvergabe übernimmt die Hausbank.
Ob die Summe zusätzlich besichert werden muss und kann, prüfen die Bürgschaftsbanken erst anschließend. Deshalb kämen Anfragen bei den Bürgen meist zeitlich versetzt an. „Wie groß der Bedarf an Hilfen ist, wird sich erst in den kommenden Wochen zeigen“, heißt es vom VDB.
Geld könnte bereits nach drei Banktagen fließen
Sollte das Coronavirus die Firmen lahmlegen, soll es rasch gehen. In der Regel gibt es Schnellprogramme bis 250.000 Euro, die binnen von drei Banktagen bewilligt werden können, heißt es vom VDB. Die genaue Zeit zwischen Antrag und Überweisung hänge allerdings von der Höhe der Summe und dem Bundesland ab.
Die Bürgschaftsbank zu Berlin-Brandenburg (BBB) sei für den Ernstfall vorbereitet, erklärt Geschäftsführer Steffen Hartung. Hier sollen auch größere Summen innerhalb von drei Banktagen besichert werden können. Der Kontakt zum Senat sei gut, in Telefonkonferenzen könnten sich Akteure schnell abstimmen. Im Maximalfall könne die BBB für bis zu 1,5 Millionen Euro bürgen. Das sei für die meisten kleinen und mittelständischen Unternehmen völlig ausreichend, sagt Hartung.
Portal ermöglicht kostenlose Vorabanfrage
Wer wegen des Coronavirus in Schieflage geraten ist, kann auch kostenlos eine Vorabanfrage beim gemeinsamen Portal der Bürgschaftsbanken stellen. Das zuständige Institut prüft dann, ob eine Bürgschaft grundsätzlich infrage kommt. Der VDB verspricht eine Rückmeldung binnen 48 Stunden. Eine Finanzspritze unter dem Deckmantel des Coronavirus werde es aber nicht geben.
„Die Unternehmen und ihre Geschäftsmodelle müssen grundsätzlich wirtschaftlich tragfähig sein“, erklärt ein VDB-Sprecher. Eine Bürgschaft werde nicht gewährt, wenn das Unternehmen ohnehin schon auf der Kippe steht.
Wie nach der Finanzkrise soll zudem auch jetzt Kurzarbeit den Unternehmen helfen. Damals konnten auf diese Weise Massenentlassungen verhindert werden. Allein 2009 waren nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) mehr als eine Millionen Arbeitnehmer in Kurzarbeit. Wenn nun ein Betrieb auf behördliche Anordnung aufgrund von Corona schließen muss oder es zu Lieferengpässen kommt, kann der Arbeitgeber bereits jetzt bis zu zwölf Monate Kurzarbeit für seine Mitarbeiter beantragen.
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) könnte außerdem jederzeit die maximale Bezugsdauer des Kurzarbeitergelds per Rechtsverordnung auf bis zu 24 Monate verlängern.
Bezug von Kurzarbeitergeld soll leichter werden
Eine Übernahme der Sozialbeiträge für das Kurzarbeitergeld, wie sie der Arbeitgeberverband Gesamtmetall fordert, ist bisher nicht vorgesehen. Doch auch die könnte der Bundestag relativ kurzfristig beschließen. In der letzten Krise trug die Bundesagentur in den ersten sechs Monate die Hälfte der Sozialbeiträge, ab dem siebten Monat wurden die vollen Beiträge übernommen. Die Rücklagen der BA jedenfalls sind üppig, sie liegen bei rund 25 Milliarden Euro.
In der nächsten Woche soll das Kabinett außerdem einen Gesetzentwurf des Arbeitsministeriums beschließen, der den Bezug von Kurzarbeitergeld für Betriebe erleichtert, die Kurzarbeit mit Weiterbildung verknüpfen. Auch sie sollen keine Sozialbeiträge bezahlen müssen. Doch dieses Vorhaben zielt weniger auf kurzfristige wirtschaftliche Probleme durch Corona ab, sondern auf die anstehenden Umbrüche in der Wirtschaft – vor allem in der Automobilindustrie.
Cordula Eubel, Laurin Meyer, Carla Neuhaus