Neuer Vergleich mit US-Anwälten: So will Bayer künftige Klagen gegen Glyphosat vermeiden
Konzern zahlt weitere zwei Milliarden, der Vergleich muss aber noch vom Richter gebilligt werden. Die Aktie zieht an.
Bayer hat nach monatelangem Ringen zu einem wichtigen Teil seines milliardenschweren Glyphosat-Vergleichspakets in den USA eine Einigung erzielt. Der Konzern gab am Mittwochabend eine formelle Übereinkunft mit den Klägeranwälten bekannt, bei der es um die Handhabung und Beilegung möglicher künftiger Klagen wegen des Unkrautvernichters geht.
Teil der Vereinbarung ist eine Zusage von bis zu zwei Milliarden Dollar von Bayer, für die das Unternehmen bereits im vergangenen Jahr Rückstellungen gebildet hat. Der Rechtsstreit wegen der angeblich krebserregenden Wirkung von Glyphosat, den Bayer sich mit der 63 Milliarden Dollar schweren Übernahme von Monsanto ins Haus geholt hatte, wird damit wie erwartet teurer als zunächst gedacht. Die Aktie legte am Morgen um fast fünf Prozent auf rund 54 Euro zu, die Hoffnung auf ein Ende der Rechtsstreitigkeiten beflügelte die Anleger.
Der Leverkusener Pharma- und Agrarchemiekonzern hatte sich im vergangenen Juni mit einem Großteil der Glyphosat-Kläger geeinigt und war damals davon ausgegangen, dass für den Vergleich und mögliche künftige Fälle bis zu 10,9 Milliarden Dollar fällig werden. Der Vorschlag zum Umgang mit möglichen künftigen Klagen stand allerdings auf der Kippe, nachdem der zuständige US-Bezirksrichter Vince Chhabria daran Zweifel geäußert hatte.
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Diese Vereinbarung sah unter anderem die Einrichtung eines unabhängigen Wissenschaftsgremiums vor. Dieses sollte entscheiden, ob und zu welchen Mengen der glyphosathaltige Unkrautvernichter Roundup - der seit der Übernahme von Monsanto zur Bayer-Produktpalette gehört - Krebs verursacht. Bayer zog dann im Juli seinen Antrag auf vorläufige Genehmigung dieser Vereinbarung zurück. Im November räumte der Konzern bereits ein, dass dieser Teil des Vergleichspakets etwa zwei Milliarden Dollar kosten wird und damit mehr als die ursprünglich veranschlagten 1,25 Milliarden.
Fonds für Kompensationszahlungen
Bayer hat nun einen Antrag auf vorläufige Genehmigung der neuen Vereinbarung bei Richter Chhabria eingereicht. Die Einigung sieht jetzt einen Fonds vor, aus dem mögliche künftige Kläger zunächst in den kommenden vier Jahren Kompensationszahlungen erhalten sollen. Personen, die Roundup verwendet haben und bei denen Lymphdrüsenkrebs diagnostiziert wurde, haben laut der Einigung Anspruch auf eine Entschädigung von bis zu 200.000 Dollar.
Geplant ist auch ein wissenschaftliches Beratungsgremium, dessen Erkenntnisse zwar nicht rechtlich bindend sein sollen, die aber in künftige Verfahren als Beweismittel einfließen könnten. Bayer will darüber hinaus eine Genehmigung der US-Umweltbehörde EPA für einen Hinweis auf den Etiketten der Glyphosat-Produkte einholen. Über diesen Hinweis sollen Kunden Zugang zu öffentlichen Studien und Informationen über den Unkrautvernichter bekommen. Warnhinweise vor möglichen Krebsgefahren hatte die EPA selbst verboten, da dies nach ihrer Einschätzung eine falsche Behauptung ist.
Ist Glyphosat krebserregend oder nicht?
Behörden weltweit, darunter die EPA und die Europäische Chemikalienagentur, haben das Herbizid als nicht krebserregend eingestuft. Allein die Krebsforschungsagentur IARC bewertete den Wirkstoff 2015 als "wahrscheinlich krebserregend". Darauf hatten sich die Kläger berufen.
Obwohl die Zulassungsbehörden Bayers Position unterstützen, sind in den USA bisher alle Klagen zugunsten der Kläger entschieden worden. Im ersten Prozess im August 2018 hatte der krebskranke Hausmeister Dewayne Johnson Schadensersatz in dreistelliger Millionenhöhe zugesprochen bekommen, die Summe wurde aber später von gerichtlicher Seite auf 78 Millionen Dollar gesenkt. Die Berufung Bayers führte zwar im vergangenen Juli zu einer weiteren Senkung des Schadensersatzanspruchs auf 20,5 Millionen Dollar, an dem grundsätzlichen Schuldspruch hielt das Berufungsgericht aber fest.
Mit der Übernahme von Monsanto - dem teuersten Kauf, den ein deutsches Unternehmen je getätigt hatte - wollte sich Bayer-Chef Werner Baumann im weltweiten Saatgut- und Pestizidgeschäft positionieren. Angesichts der wachsenden Weltbevölkerung ist das ein Zukunftsmarkt.
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Mit dem Deal hatte sich Baumann jedoch auch zahlreiche Probleme eingekauft, allen voran wegen des Streits um Glyphosat. Der Unkrautvernichter ist eines der wichtigsten Mittel in der Landwirtschaft und im Gartenbereich, weil er Unkraut einfach und schnell beseitigt. Umweltschützer kritisieren jedoch, dass Glyphosat der Biodiversität schadet, weil es alles Grün tötet, also auch Pflanzen, die für Insekten wichtig sind.
In der Bundesregierung wird über eine Reduzierung des Glyphosateinsatzes in der Landwirtschaft und ein Verbot der privaten Anwendung diskutiert, um Insekten zu schützen. Auf EU-Ebene ist das Mittel bis Dezember 2022 zugelassen. In Brasilien wird Glyphosat in großen Mengen eingesetzt, um Soja anzubauen. Dort wird gentechnisch verändertes Saatgut eingesetzt, das die Pflanzen resilient gegen Glyphosat macht.
Der Streit um Glyphosat hat die Bayer-Aktie über Jahre in Mitleidenschaft gezogen. Als die Übernahmepläne 2016 bekannt wurden, notierte das Papier bei rund 90 Euro. Wegen der Kursverluste klagen Investoren auf Schadensersatz. (mit Reuters)