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Proteste der Black-Lives-Matter-Bewegung in Washington D.C.
© dpa

Veränderte Logos, neue Produkte: So reagieren Unternehmen auf die Rassismus-Debatte in den USA

Die „Black Lives Matter“-Bewegung zwingt auch den Handel zum Umdenken. Verbraucher erwarten von Firmen eine klare Haltung.

Von Laurin Meyer

Dass manche Produkte in Glasvitrinen eingeschlossen sind, dürften die meisten Supermarktkunden kennen. Das war bis zuletzt auch in manchen Filialen der US-Handelskette Walmart so. Nur musste dort vor allem eine Gruppe nach einem Mitarbeiter rufen, um an die Ware zu kommen: Afroamerikaner. Die Händler schlossen überwiegend solche Produkte ein, die bei Schwarzen beliebt sind, etwa spezielle Haarpflege- und Schönheitsprodukte. Einige waren sogar noch mit einem zusätzlichen Diebstahlschutz ausgestattet.

Die Botschaft, die Walmart für viele nach außen sendete: Schwarze stehen unter Generalverdacht. Die Supermarktkette sah sich deshalb immer wieder mit Rassismusvorwürfen konfrontiert. Nun hat Walmart jedoch eingelenkt. So kündigte das Unternehmen in der vorvergangenen Woche an, diese Praxis zu beenden. „Wir haben die Entscheidung getroffen, keine multikulturellen Haarpflege- und Schönheitsprodukte mehr in verschlossenen Behältern zu platzieren“, hieß es.

Einen Schönheitsfehler hat die Ankündigung jedoch: So brauchte es offenbar erst eine Bewegung, um die eigene Hauspolitik zu überdenken. Seit der Tötung des schwarzen US-Amerikaners George Floyd durch einen weißen Polizisten zieht es in den USA regelmäßig Zehntausende auf die Straßen. Unter dem Motto „Black Lives Matter“ (Schwarze Leben zählen) demonstrieren sie gegen Rassismus und Polizeigewalt.

Und wie Walmart reagieren gerade zahlreiche Unternehmen auf die Bewegung. Sie sehen sich teils zu großen Veränderungen gezwungen. Denn auch der Handel bleibt von den Protesten nicht verschont. Der US-Verbandhersteller Band-Aid kündigte an, seine Pflaster demnächst in unterschiedlichen Hauttönen herauszubringen. So sollen Kunden künftig die Auswahl haben zwischen hell, medium sowie verschiedenen Braun- und Schwarztönen, erklärte die Tochterfirma des Pharmakonzerns Johnson & Johnson.

Beliebte Marke könnte aus den Regalen verschwinden

Die Kosmetikkette Sephora will künftig 15 Prozent ihrer Regale für die Produkte von schwarzen Unternehmern freihalten. Und auch Lebensmittelhersteller Mars hat reagiert. Das Unternehmen will verpflichtende Anti-Vorurteils-Trainings für Mitarbeiter ausweiten.

Außerdem soll es eine Marke des Unternehmens in Zukunft so nicht mehr geben: Reis von „Uncle Ben’s“. So hat Mars angekündigt, die Marke weiterentwickeln zu wollen, ohne Details zu nennen. Seit mehr als 70 Jahren ziert ein weißhaariger Afroamerikaner das Emblem auf der Packung. Kritiker sehen darin die Stereotype US-amerikanischer Sklaven bestätigt, die im 19. Jahrhundert auf Reisfeldern in den Südstaaten ihre Zwangsarbeit verrichten mussten. Die Anrede „Uncle“ haben Sklavenhalter für ältere Afroamerikaner verwendet, statt sie als Herren anzusehen.

Lebensmittelhersteller Mars will seine Reismarke "Uncle Ben's" überarbeiten.
Lebensmittelhersteller Mars will seine Reismarke "Uncle Ben's" überarbeiten.
© dpa

„Die Änderung war ein überfälliger Schritt“, meint auch Roland Albrecht, Geschäftsführer der Heidelberger Agentur Goya, die Unternehmen wie BMW oder Samsung bei der Markenstrategie berät. „Wenig Sensibilität bei der Erinnerungskultur ist im Marketing nie zielführend.“ Man müsse eine Wertehaltung zeigen, auch wenn es kurzfristig mal wehtut. „Menschen erwarten immer mehr, dass Unternehmen auch einen sozialen oder ökologischen Sinn stiften“, sagt Albrecht. Das sei anders als noch im 20. Jahrhundert, als Produktwerbung offen der Absatzförderung diente.

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Heute zahle es sich aus, Werte zu transportieren. Wer das macht, trage langfristig zur Kundenbindung bei. „Das lohnt sich auch ökonomisch“, sagt Albrecht. „Denn Stammkunden sind die besten Kunden.“ Dienen Werte also einzig dem wirtschaftlichen Erfolg? „Wer Werte nur vortäuscht, dem fliegt das früher oder später um die Ohren“, meint Albrecht.

Starbucks hat Solidaritätsbekundungen zunächst verboten

Das zeige sich am Beispiel von Clemens Tönnies, der mit glücklichen Tieren neben dem Schriftzug seines Schlachtbetriebs wirbt. „Jetzt offenbarte sich, dass dort wohl weder Tier noch Mensch glücklich sind“, sagt Albrecht mit Verweis auf die jüngsten Corona-Infektionen in dem Schlachtbetrieb. Und auch nicht zu kommunizieren, sei Kommunikation, sagt Albrecht. „Wer sich neutral verhält, schaut bei Unrecht letztlich weg.“

Das bekam jüngst die US-Kaffeehauskette Starbucks zu spüren. So hat das Unternehmen seinen Mitarbeitern zunächst untersagt, während der Dienstzeit mit T-Shirts oder Ansteckern ihre Sympathie mit der Black-Lives-Matter-Bewegung zu zeigen. Das US-Portal „Buzzfeed“ hatte zuerst darüber berichtet.

Verbraucher verlangen soziale und ökologische Werte

Davon ist die Kaffeehauskette mittlerweile wieder abgerückt – wohl auch wegen massiver Kritik in den sozialen Medien und Boykottaufrufen. Nun dürfen Mitarbeiter die Symbole der Bewegung wieder offen tragen. Mehr noch: Der Konzern hat gar eigene T-Shirts für seine 250.000 Barista entworfen, auf denen eine geballte Faust und Protestschilder abgedruckt sind. Einen Imageschaden dürfte sich Starbucks dennoch verbucht haben.

Dabei hätte die Kaffeehauskette wohl nur auf Marktumfragen schauen müssen. So erwarten nämlich drei von vier Konsumenten, dass sich Marken aktiv an Lösungen für soziale und ökologische Probleme beteiligen – zumindest hierzulande. Das zeigt der jüngste Report der Medienagentur Havas. „Besonders die Millenials stellen deutlich höhere Erwartungen an Marken als die vorherigen Generationen und treffen ihre Kaufentscheidungen nicht nur auf Basis des reinen Produktnutzens“, erklärt Havas-Direktor Thomas Sudholt. Etwas mehr als jeder Zweite meint sogar, dass Unternehmen eine wichtigere Rolle im Aufbau einer besseren Zukunft spielen als die Politik.

Beschwerden beim Werberat nehmen zu

Diese Erwartungshaltung spüren auch andere: die Prüfer beim deutschen Werberat. An die Organisation können sich Verbraucher wenden, wenn Werbung zwar rechtlich nicht zu beanstanden ist, aber dennoch als unangemessen empfunden wird. Gut 3600 Beschwerden gingen im vergangenen Jahr ein – mehr als im Jahr zuvor.

Protestierende vor einer Starbucks-Filiale in den USA.
Protestierende vor einer Starbucks-Filiale in den USA.
© AFP

Fast 800 Werbemaßnahmen hat der Werberat daraufhin überprüft. Mit Erfolg: Neun von zehn Unternehmen stoppten oder änderten ihre Werbung, wenn der Werberat sie beanstandet hatte. Ganz oben auf der Beschwerdeliste: sexistische Werbung. Daneben sahen Konsumenten vor allem moralische Werte verletzt und beklagten diskriminierende Werbung. Beschwerden wegen Diskriminierung haben sich in 2019 im Vergleich zum Vorjahr sogar mehr als verdoppelt.

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Immer wieder leisten sich Unternehmen Fehlgriffe bei Kampagnen. Vor wenigen Wochen musste sich Volkswagen für einen Werbeclip auf Instagram entschuldigen. In dem zehnsekündigen Video war zu sehen, wie eine überdimensionale weiße Hand einen schwarzen Mann herumschubst und wegschnippst. Gegen Ende des Clips erschien zudem kurz eine Buchstabenfolge, die das Wort „Neger“ andeutete. VW-Vertriebsvorstand Jürgen Stackmann sprach von einem „rassistischen Werbevideo“, das jeden anständigen Menschen beleidige. Rassistische Absichten hätte bei ihm im Team aber niemand im Sinn gehabt.

Walmart hatte übrigens schon früher die Gelegenheit, die Praxis der eingeschlossenen Produkte zu überdenken. Im Jahr 2018 verklagte eine Frau aus Kalifornien das Unternehmen wegen Diskriminierung. Der Fall kam sogar bis vor das Bundesgericht, doch die Klägerin ließ ihre Vorwürfe fallen. Ob es eine außergerichtliche Einigung gab, dazu schweigen beide Seiten.

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