Überfüllte Geschäfte in Corona-Zeiten: So könnten Supermärkte ihre Kunden besser schützen
Beim Einkaufen kommen sich die Menschen oft zu nah. Ist der Gang in der Supermarkt ein Risiko? Manche Händler denken über Veränderungen nach.
Eine Mitarbeiterin verstellt mit einer warenbepackten Palette den Gang, eine andere füllt ohne Handschuhe das Obstregal. Kaum jemand in der Lidl-Filiale Hermannstraße, Neukölln, achtet auf ausreichend Abstand. An der Kasse mahnen schließlich Punkte auf dem Boden daran. Ach was, denkt einer, und quetscht sich in eine Lücke hinein.
Eigentlich müssen Supermärkte, die von Schließungen verschont blieben, streng auf Sicherheit achten. Doch die Unterschiede zwischen den Filialen sind enorm. Mal funktioniert der bedenkenlose Einkauf. Mal überhaupt nicht.
Beim Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH) ist man sich der Probleme bewusst. Hier spricht man von einem „Dilemma“, die Ansteckungsrisiken so weit wie möglich zu reduzieren und gleichzeitig einen funktionierenden Betrieb aufrechtzuerhalten. Für einen besseren Schutz sei vielerorts zu wenig Schutzausrüstung vorhanden.
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„Die vorhandenen Ressourcen reichen bei Weitem nicht aus“, klagt der BVLH. Zehntausende Liter Desinfektionsmittel und Schutzmasken im zweistelligen Millionenbereich wären dem Verband zufolge täglich nötig, um deren Einsatz flächendeckend zu gewährleisten. „Dazu muss in Deutschland aber auch ausreichend Schutzausrüstung für den Handel zur Verfügung stehen – und zwar zusätzlich zum so wichtigen Medizin- und Pflegesektor.“
Ein Einkaufswagen soll automatisch schützen
Die Discounter und Drogerien selbst betonen auf Nachfrage, schon viel zum Schutz von Mitarbeitern und Kunden zu tun. Sie verweisen unisono darauf, Einlasskontrollen durchzuführen, die Märkte bei Überfüllung kurzzeitig zu sperren, Plexiglasscheiben und Markierungen an den Kassen angebracht zu haben. Die Vorgabe, nur mit einem Einkaufswagen einkaufen zu dürfen, finden ebenfalls alle Händler sinnvoll.
Ob sie ihre Läden etwas umbauen, Gänge breiter machen? Rewe sieht dazu keine Notwendigkeit. „Sollte eine zeitweise Engstelle entstehen, zum Beispiel weil ein Kunde am Regal steht, dann warten die dahinter folgenden Kunden, wie unsere Beobachtungen zeigen“, teilt das Unternehmen mit. Einen Markt temporär zu schließen, um die Flure breiter zu machen, würde die Versorgungslage unnötig verschärfen, heißt es.
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Bei dm sind zumindest kleine Umbauten geplant. „Wir testen momentan eine Erweiterung der bereits angebrachten Plexiglas-Erhöhungen an den Kassen sowie eine Festinstallation aus Plexiglas, um im Kassenbereich eine noch bessere Gangtrennung vornehmen zu können“, sagt Christoph Werner, Vorsitzender der dm-Geschäftsführung, dem Tagesspiegel.
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Die Gänge bei dm erachtet aber auch Werner als breit genug. Zudem setzt der Drogeriemarkt auf die Verzahnung von Online- und Offline-Shopping, um die Läden leer zu halten. So können Kunden in einigen Märkten Produkte im Internet bestellen und nach spätestens sechs Stunden vor Ort abholen. „Wir statten aktuell unsere Mitarbeiter in den mehr als 2000 dm-Märkten in Deutschland mit Mundschutzmasken für den eigenen Bedarf aus, um auch für den Fall einer behördlichen Verordnung gerüstet und handlungsfähig zu sein“, sagt Werner.
"Menschen sind Gewohnheitstiere"
Eva Stüber ist Mitglied der Geschäftsführung am Institut für Handelsforschung (IFH Köln) und Expertin für den Lebensmitteleinzelhandel. Sie sieht ebenfalls viel Gutes: An Eingängen der Supermärkte wird oft kontrolliert, wie viele Menschen gleichzeitig im Laden sind. Einkaufswagen sind in etlichen Märkten Pflicht, um den Abstand allein dadurch zu wahren.
„Menschen sind aber Gewohnheitstiere“, sagt sie. „Im bekannten Umfeld fallen sie unbewusst und schnell wieder in bekannte Verhaltensweisen.“ Deswegen rät sie, noch mehr Erinnerungsmarker zu setzen: Poster schon vor dem Geschäft, Abstandspunkte nicht nur an der Kasse. „Wenn bald mehr Masken getragen werden, erinnern auch die daran, dass wir gerade eine Pandemie erleben“, sagt sie. In Österreich ist ein solcher Schutz Pflicht. Wer keine hat, bekommt eine Maske am Eingang.
Was für Kniffe noch möglich sind? „Die Wegführung könnte vorgegeben werden, sodass Pfeile die Laufrichtung angeben“, sagt Eva Stüber. Ähnlich wie bei Ikea. „Gerade in schmalen Gängen kann vermieden werden, dass Kundinnen und Kunden zu eng aneinander vorbeilaufen, wenn es eine Einbahnstraße wird.“ Denkbar wäre auch, bestimmte Produkte umzuräumen – solange dies gut kommuniziert wird – oder einzelne Durchgänge mit Plexiglas zu sperren, „um zu vermeiden, dass es zu Stauungen oder Ansammlungen kommt“.
Möglichst lang im Supermarkt aufhalten
Viele dieser Veränderungen widerstreben der Psychologie von Supermärkten: Die Menschen sollen so lange wie möglich verweilen. Produkte, die Verbraucher fast täglich benötigen, wie Milch, sind oft in der hintersten Ecke zu finden. Auf dem Weg dorthin soll sich der Kunde von einem Regal zum nächsten locken lassen, so viel wie möglich in den Wagen legen. Ohne nachzudenken.
Armin Valet hat über die vielen kleinen Tricks ein Buch geschrieben. Er ist Ernährungsexperte der Verbraucherzentrale Hamburg und rät: „Märkte sollten zumindest jetzt gerade auf Aktionsplätze verzichten, um mehr Platz zu schaffen.“
Verbraucher sind auch in der Verantwortung
Außerdem sollten Produkte bestenfalls vor und nach den Öffnungszeiten einsortiert werden – oder zumindest nicht ausgerechnet dann, wenn es sehr voll ist. Die Ware sollte nicht unnötig im Gang herumstehen. „Sonst entsteht natürlich ein Risiko, wenn Kunden nah an den Angestellten vorbeimüssen.“ Einen Markt ganz umzubauen, verwirre die Einkäufer, aber ein bisschen mehr verändern als bislang könnten Discounter und Drogerien durchaus. Valet spricht sich ebenfalls für Markierungen aus, die Einkäufer schneller und klarer durch die Flure lenken.
Worüber sich Kunden bei der Verbraucherzentrale beschweren? Die Erzählungen seien ganz verschieden. Ein älterer Mann konnte beim Bäcker nicht mehr mit Bargeld bezahlen. Eine Mutter wurde abgewiesen, weil sie mehrere Kinder dabeihatte. Und schließlich sei die Kassenzone trotz der Punkte auf dem Boden und der Trennwände Grund für Ärger.
Klar ist: Auch die Verbraucher tragen eine Verantwortung. „Sie sollten umsichtig sein, sich gegenseitig Platz machen“, sagt Armin Valet. Nicht vor sich hin husten! Keine Paprika anfassen und wieder zurücklegen! Valet rät außerdem, den Einkauf vorab zu planen. Statt jeden Tag sollte man ein, zwei Mal in der Woche gehen. Wer vorher notiert, was er braucht, irrt nicht suchend umher.
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