Von Lime-Juicer bis Uber-Fahrer: Sind die Mikrojobs die Vorboten eines neuen Niedriglohnsektors?
Die Plattformökonomie bringt immer mehr Gelegenheitsjobs auf Abruf hervor. Kritiker warnen vor Ausbeutung, doch Experten sehen darin auch große Chancen.
Stacy Brown-Philpot hat keinen Zweifel daran, dass ihr Unternehmen dringend benötigt wird. „Ich bin noch nirgendwo gewesen, wo es keinen Bedarf für Task Rabbit gab“, sagt die Geschäftsführerin des US-Unternehmens, das auf seiner Plattform in 70 Ländern kleine, haushaltsnahe Dienstleistungen vermittelt. Ab heute ist Task Rabbit auch in Deutschland verfügbar, zunächst in Berlin, Brandenburg und der Rhein-Ruhr-Region.
Wer keine Zeit findet, den Wocheneinkauf zu erledigen, findet hier jemanden, der statt seiner zum Supermarkt geht; wer jemanden braucht, der den tropfenden Wasserhahn repariert, wird hier ebenfalls fündig. „Die meisten unserer Tasker sind Studenten, Pensionäre oder auch Menschen, die in Teilzeit arbeiten – also Personen, die sich etwas dazuverdienen wollen“, erklärt Brown-Philpot. Im Gegenzug erspart sich der Auftraggeber eine lästige Tätigkeit.
In den vergangenen Jahren ist die Zahl solcher Gelegenheitsjobs gestiegen. Sogenannte Plattform-Unternehmen vermitteln auf ihren Internetseiten und Apps verschiedenste Dienstleistungen, die von Arbeitskräften ausgeführt werden, die dabei nur selten fest angestellt sind. Oft sind es Tätigkeiten, die keine Ausbildung oder sonstigen Vorkenntnisse erfordern. Fahrservices wie Uber, Essenslieferdienste wie Lieferando oder Putz-Start-ups wie Helpling sind mit diesem Konzept bekannt geworden. Doch ebenso kann man online Umfragen beantworten, Textbausteine für Internetseiten schreiben oder eben auf Task Rabbit vollkommen unterschiedliche Aufträge annehmen. Ist dieser Arbeitsmarkt also eine gute Möglichkeit, selbstbestimmt und flexibel Geld zu dazuzuverdienen oder der sichere Weg zu neuen prekären Beschäftigungsverhältnissen?
1,6 Millionen Deutsche haben Mikrojobs
Wie neu diese Form von Arbeit ist, sieht man schon daran, dass es keine einheitliche Definition oder Bezeichnung dafür gibt. Mal ist von Crowdworkern die Rede, weil sich auf einer Plattform eine Masse von Arbeitssuchenden sammelt; mal von Mikrojobs, weil es sich um sehr kleine Aufträge handelt. Unterschieden wird mitunter auch in Onlinejobs und Gigjobs – je nachdem, ob man sich am heimischen Rechner oder aushäusig erledigen muss. „Bisher haben sich keine einheitlichen Begrifflichkeiten und Abgrenzungen etabliert“, teilt auch das Bundesarbeitsministerium auf Anfrage mit.
Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung brachte im Mai dieses Jahres etwas mehr Klarheit ins Thema Plattformarbeit: Demnach haben zwei Prozent aller Deutschen in den vergangenen zwölf Monaten aktiv solche Aufträge angenommen, das sind immerhin gut 1,6 Millionen Menschen. Die meistgenutzten Internetportale dafür sind lieferando.de, freelancer.de und clickworker.de. Fasst man den Begriff der Plattformarbeit weiter, ist allerdings die Wohnungsvermietungsseite Airbnb der größte Auftraggeber.
Gewerkschaften sehen das Thema kritisch. „Plattformarbeit ist ein Schattenarbeitsmarkt, dem es an Transparenz und fairen Regeln fehlt“, meint Oliver Suchy aus dem DGB-Bundesvorstand. „Das ist oft eine fremdgesteuerte Arbeit auf Abruf, bei der auch noch Arbeitnehmerrechte und die soziale Sicherung bewusst ausgehebelt werden.“ Die versprochene Flexibilität entpuppe sich dabei oft „als Fata Morgana, weil Plattformarbeiter über Algorithmen gesteuert, überwacht und bewertet werden“. Unabhängig seien sie überdies auch nicht, weil einem digitalen Steuerungs-, Ranking- und Reputationssystem unterliegen.
Probleme bereitet den Arbeitnehmervertretungen auch, dass nicht nur die begriffliche Abgrenzung, sondern auch die rechtliche für derlei Jobs häufig noch nicht klar ist. „Der arbeitsrechtliche Status von Plattformarbeitern unterliegt noch erheblichen Unsicherheiten“, konstatiert die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung in einem Arbeitspapier zur Absicherung von Arbeit im digitalen Zeitalter. Auch Menschen, deren Haupterwerbsquelle Plattformarbeit ist, seien grundlegende Lebensrisiken wie Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit, Alter und Pflegebedürftigkeit seien nicht sozialstaatlich abgesichert, weil dieser Arbeitsmarkt einen „informellen Charakter“ habe, heißt es dort weiter.
Eine Chance, aus der Arbeitslosigkeit herauszukommen
Andere Arbeitsmarktexperten können die Aufregung über Plattformarbeit nicht verstehen. „Im Grunde ist diese Art der Tätigkeit häufig nicht neu“, sagt etwa Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Natürlich habe es vor ein paar Jahren den Job des E-Roller-Aufladers noch nicht gegeben. „Aber beispielsweise Zeitungsausträger gab es schon immer“, führt Brenke an. „Auch die haben nachts gearbeitet, auch die haben das häufig getan, um sich etwas hinzuzuverdienen.“
Er sieht sogar enorme Vorteile in dem Modell. „Solche unkomplizierten Anstellungsverhältnisse können gerade Menschen ohne jede Ausbildung dabei helfen, aus der Arbeitslosigkeit zu kommen“, meint er und findet einzig das Phänomen der Scheinselbstständigkeit bedenklich. „Hier braucht es aber keine neuen Gesetze, sondern eine stärkere Kontrolle“, sagt Brenke. „Es gibt genug Regeln auch für solche Jobs, man muss nur deren Einhaltung überwachen.“
Davon ist auch Brown-Philpot überzeugt. „Die meisten unserer Auftragnehmer sind Studenten oder Pensionäre oder auch Menschen, die in Teilzeit arbeiten – also Personen, die sich etwas dazuverdienen wollen“, berichtet sie. Tatsächlich würden ihre Erfahrungen auch zeigen, dass Plattformarbeit keineswegs schlecht bezahlt werden müsse. Nach ihrer Aussage ist der durchschnittliche Stundenlohn bei Task Rabbit in den USA fünfmal so hoch wie der gesetzliche Mindestlohn, in Frankreich dreimal und in Großbritannien 2,5 Mal. „Unsere Nutzer können ihre eigenen Preise festlegen, sie können selbst entscheiden, wann sie arbeiten wollen“, sagt die Geschäftsführerin. „Diese Flexibilität finden Sie in anderen Arbeitsumfeldern kaum.“
Die Bertelsmann-Studie stützt diese Sichtweise. Den Daten nach sind die meisten Plattformarbeiter keine Geringqualifizierten, sondern haben größtenteils Abitur und einen Studienabschluss. Mehr als die Hälfte kann zudem ein Nettogehalt von über 1500 Euro pro Monat vorweisen. Hauptberuflich geht demnach nur ein Prozent der Nutzer diesen Jobs nach.
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