Wahl-Reaktionen der Wirtschaftsverbände: Sehnsucht nach einer stabilen Regierung
Das Volk hat gesprochen. Nun erwarten Wirtschaftsverbände und Bankanalysten komplizierte Koalitionsverhandlungen - und mahnen Reformen an.
Nach den ersten Hochrechnungen und der anschließenden Absage von SPD-Chef Martin Schulz einer Neuauflage einer großen Koalition, haben erste Vertreter von Wirtschaftsverbänden Forderungen an die Bundespolitik formuliert. Eric Schweitzer, Präsidiumsmitglied der Berliner IHK und Präsident des Dachverbandes DIHK sagte, der Wahlausgang mache die Regierungsbildung nicht leicht. „Wir brauchen in diesen schwierigen Zeiten eine stabile Regierung und einen Koalitionsvertrag als Investitionsprogramm, der sich stark auf die Schlüsselthemen der Zukunft konzentriert – Infrastruktur, Aus- und Fortbildung sowie Forschung und Innovation. Solche Investitionen sind auch wichtig für den Zusammenhalt in der Gesellschaft.“
Markus Voigt, der Präsident des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI), bedauerte, dass die AfD drittstärkste Kraft geworden ist. „Persönlich war ich kein Freund der großen Koalition und hätte mir jetzt eine bürgerliche Mehrheit in einem schwarz-gelben Bündnis gewünscht.“ Nun könne die Kanzlerin nur in einer Dreierkonstellation mit den Grünen weiterregieren. „Das hätte wenigstens den Vorteil, dass der Druck auf Angela Merkel, wirklich etwas zu verändern, steigt. Sollte am Ende doch die SPD wieder in eine große Koalition einsteigen, wäre das verheerend.“
Und Christian Amsinck, der Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) erklärte: „Die Herausforderungen der kommenden Jahre sind klar: Digitalisierung, Bildung, Fachkräfte, Infrastruktur, Energieversorgung – die neue Bundesregierung muss auf vielen Feldern Weichen stellen.“ Das sei besonders für Berlin und Brandenburg wichtig. „Nicht nur Ergebnisse der Landespolitik zählen, sondern auch die auf der Bundesebene. Damit die Erfolgsgeschichte der Hauptstadtregion weitergeht, muss es rasche Entscheidungen für bessere Rahmenbedingungen geben.“ Als Beispiele nannte Amsinck die Bewahrung der Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt, eine Deckelung der Sozialabgaben bei 40 Prozent und ein entschlossener Einsatz für offene Märkte in aller Welt. „Auch die Wachstumsbedingungen gerade für die innovativen kleinen und mittelgroßen Firmen, die in Berlin und Brandenburg eine wichtige Rolle spielen, müssen besser werden. Kurz: Die neue Koalition muss mehr Wirtschaft wagen.“
Beim Bitkom, dem Verband der Unternehmen aus der IT- und Digitalwirtschaft, mahnte man angesichts des starken Abschneidens der AfD eine verstärkte Zusammenarbeit aller „demokratischen Kräfte“ an. „Politik geht durch den Bauch, nicht durch den Kopf. Das gilt offenbar für einen wachsenden Teil der Wahlberechtigten“, sagte Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. Deutschland sei wohl noch nie weltweit so sehr bewundert und auch beneidet worden für seine wirtschaftliche Stärke, für seine gesellschaftliche und kulturelle Offenheit. Dennoch hätten die aktuellen Regierungsparteien historisch schlechte Wahlergebnisse erzielt. „Gerade wegen des für die Regierungsbildung schwierigen Wahlausgangs muss es für alle demokratischen Kräfte heißen: Verantwortung übernehmen!“ nächsten vier Jahre sind Deutschlands Schicksalsjahre. Jetzt entscheide sich, ob die digitale Transformation gelingt, so der Bitkom-Chef.
Die Volkswirte der Banken befassen sich derweil bereits mit einer möglichen Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen. Komme es dazu, könne er sich aber nicht vorstellen, dass die FDP eine Europa-Politik mitmachen wird, die stark auf den französischen Präsidenten Macron zugeht, schrieb Jörg Kramer, der Chefvolkswirt der Commerzbank in einer ersten Analyse. Beim Thema Verbrennungsmotor könne es zu einem Kompromiss kommen, auch dürfte es Steuersenkungen geben, da auch die Grünen diese wollten. „Da wird man sich einigen können. Eine Bürgerversicherung dürfte dagegen am Widerstand des bürgerlichen Lagers scheitern“, sagte Kramer. Der große Knackpunkt für eine Jamaica-Koalition sei aber die Einwanderungspolitik.
Uwe Burkert, Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), sagte, er erwarte nach diesem Wahlausgang „wenig Aufregung an den Märkten“. Allerdings könnte mittel- bis langfristig der Trend relativ zum Rest Europas von der neuen Koalition beeinflusst werden. In einer (nun sehr unwahrscheinlichen) Koalition mit der SPD wäre ein Europäischer Währungsfonds wahrscheinlicher ist als in einer Koalition mit der FDP, sagte Burkert. mit Reuters