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"Da hängt das Herz dran": Schlecker-Frauen wollen kämpfen

Fast 12 000 Mitarbeiter der insolventen Drogeriekette Schlecker müssen gehen – doch kampflos nehmen die Beschäftigten das Ende nicht hin.

Die Regale in der Schlecker-Filiale am Berliner Ostbahnhof sind gut gefüllt. Vor etwas mehr als einem Monat, kurz nachdem die Drogeriekette in die Insolvenz rutschte, war das noch anders. Schlecker hatte Schulden bei seiner Einkaufsgemeinschaft, die Lieferungen stockten oder blieben ganz aus. „Wir haben nur noch das bekommen, was der Insolvenzverwalter bestellt hat“, sagt eine Mitarbeiterin, die ihren Namen nicht nennen möchte. Mülltüten, Toilettenpapier, Shampoo – wenn eine Marke fehlte, suchten die Mitarbeiterinnen nach Alternativen oder schickten die Kunden in andere Märkte. „Unsere Kunden, die verlassen sich doch auf uns“, sagt die 41-jährige. Die Kolleginnen, die ebenfalls anonym bleiben wollen, nicken. Gemeinsam mit den Betriebsräten haben sie sich vor der Filiale am Ostbahnhof spontan versammelt, um zu protestieren. Viele Kunden kommen gar nicht mehr in die Filialen, erzählt eine andere Mitarbeiterin. „Wir mussten uns schon beschimpfen lassen, dass wir so blöd sind, und für ein Unternehmen wie Schlecker arbeiten.“

Dass die Kunden ausbleiben, bestätigen auch die Marktforscher von der GfK. Die anderen Drogerieketten hätten im Januar wegen der Probleme bei Schlecker ihre Umsätze deutlich gesteigert. Vor allem Rossmann habe mit aggressiven Werbekampagnen versucht, dem insolventen Konkurrenten Umsatzanteile abzujagen. Auch die Supermärkte und Discounter profitierten. Für Schlecker ist das ein Teufelskreis. Mit weiter schrumpfenden Umsätzen sinken auch die Chancen, dass doch nicht alle 11 750 Mitarbeiter gehen müssen.

Am Ostbahnhof verteilen die Mitarbeiterinnen Flugblätter und halten selbst gemalte Transparente in die Höhe. „Für Autos, Banken, vieles mehr, sind die Töpfe niemals leer“, steht auf einem in orangefarbenen Buchstaben geschrieben. „Wir wollen unsere Arbeitsplätze behalten!“, auf einem anderen. Die kleine Demo vor der Filiale, zu der Verdi aufgerufen hat, soll erst der Anfang sein. Kommenden Donnerstag wollen die rund 1000 Schlecker-Mitarbeiter aus Berlin und Brandenburg vor dem Roten Rathaus protestieren. „Auch unsere Kunden wollen mitmachen“, sagt eine Mitarbeiterin.

25 000 Schlecker-Mitarbeiter bangen derzeit um ihren Arbeitsplatz. Wer gehen muss, welche Filialen schließen, das weiß noch keiner. In dieser Woche händigte der Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz die vorläufigen Schließlisten an die Gewerkschaft Verdi und die Betriebsräte aus. In den Verhandlungen, die am Montag weitergehen, wird dann der Kampf um jede Filiale und jeden Kollegen beginnen. Eine Entscheidung zu den Schließungen soll schon in der kommenden Woche fallen. „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen“, sagte Stefanie Nutzenberger, die im Verdi-Bundesvorstand für den Handel zuständig ist, immer wieder in den vergangenen Tagen.

„Die Mitarbeiter haben Angst, und jeder hofft, dass er bleiben kann“, sagt eine der Berliner Kolleginnen. Auch sie ist schon seit Mitte der 90er Jahre bei Schlecker, hat alles miterlebt, auch die Skandale um Leiharbeit. Über ihr Unternehmen will die 48-Jährige aber trotzdem kein schlechtes Wort verlieren. „Ich bekomme 14 Euro pro Stunde und habe einen unbefristeten Vertrag“, sagt sie und fügt hinzu: „Solche Bedingungen kriegen wir doch nie wieder.“ Bei der Konkurrenz gebe es viel mehr befristete Verträge. Das bestätigt auch Erika Ritter, Verdi-Fachbereichsleiterin für den Einzelhandel in Berlin und Brandenburg. „Die Vollzeitquote bei Schlecker liegt bei rund 60 Prozent, das ist höher als bei den Konkurrenten.“

Zwar hatte Dirk Roßmann, Chef der gleichnamigen Drogeriekette im Tagesspiegel gute Aussichten für die entlassenen Mitarbeiter prognostiziert. Verdi aber sieht das anders. Im Februar 2012 seien bundesweit 160 000 Menschen mit einer Ausbildung in Verkaufsberufen arbeitslos gewesen, errechnet die Gewerkschaft. Insgesamt suchten in dem Bereich 270 000 Menschen eine Arbeit.

Die Beschäftigten selbst, unter denen viele Mütter und ältere Frauen sind, rechnen sich wenige Chancen am Arbeitsmarkt aus. Das zeigt auch eine Petition, die die Schlecker-Betriebsräte in Berlin und Brandenburg an Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) geschickt haben. „Müssen wir erst ein Jahr Arbeitslosigkeit zulasten der Steuerzahler hinter uns bringen – danach Hartz-IV- Empfänger werden, um dann eventuell befristete Jobchancen mit Ihrem viel gepriesenen Vermittlungsgutschein zu erhalten?“ fragen sie darin. Und nennen ihre Perspektive: „Stellen als Leiharbeitnehmer mit einem Stundenlohn von 7,01 Euro, 400-Euro-Jobs mit einem Stundenlohn von circa 5,01 Euro oder der Job an der Tankstelle, mit Stundenlöhnen deutlich unter sieben Euro“. Wenn überhaupt.

Verdi will nun mit Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz eine Lösung finden, die möglichst vielen Schlecker-Frauen die Zukunft sichert. Der Verwalter hat aber wenig Zeit für seine Arbeit. Weil Schlecker noch Ende Januar Insolvenz anmeldete, zählt der Monat von Beginn an mit. Das heißt, dass das Insolvenzgeld, über das die Bundesagentur für Arbeit die Löhne drei Monate lang absichert, schon Ende März ausläuft. Dann soll das Insolvenzverfahren eröffnet werden, und Schlecker darf keine Verluste mehr machen. Und das scheint nach Geiwitz’ Berechnungen nur mit knapp 50 Prozent weniger Filialen und Mitarbeitern zu gehen.

Zwar gibt es noch Hoffnungen auf einen Investor. Doch Verdi setzt zunächst auf die Politik. Bürgschaften sind im Gespräch, eine Sonder-Verlängerung des Insolvenzgeldes, damit es erst mal weiter geht. Aber wenigstens eine Transfergesellschaft, die entlassenen Mitarbeitern bei der Jobsuche helfen soll. Darüber bekämen die Beschäftigten ein Jahr lang Kurzarbeitergeld. Momentan ist im Unternehmen nicht einmal dafür Geld da.

Die baden-württembergische Landesregierung erklärte am Freitag, sie wolle sich beim Bund für ein Darlehen der staatlichen Förderbank KfW für Schlecker stark machen. Diese Zwischenfinanzierung solle die rechtzeitige Gründung einer Transfergesellschaft ermöglichen, teilte das Finanzministerium in Stuttgart mit. Geiwitz erklärte am Freitag, die Zwischenfinanzierung mittels KfW-Kredit werde geprüft. Er bezifferte den Finanzierungsbedarf auf mehr als 70 Millionen Euro.

Die Mitarbeiter sind wütend, dass die Politik so zögerlich ist mit ihren Hilfsangeboten. Bisher hat außer Baden-Württemberg noch kein Bundesland konkrete Unterstützung zugesagt. „Wir kämpfen um unsere Arbeitsplätze und Herr Wulff streicht sich das Geld ein“, sagt eine Mitarbeiterin. „Allen anderen wird geholfen, sogar Griechenland, aber in den eigenen Reihen, hier in Deutschland, tut niemand etwas“, klagt ihre Kollegin.

Die Frauen vor der Filiale am Ostbahnhof wollen bei Schlecker bleiben. „Nach 14 Jahren hängt das Herz dran“, sagt eine. „Ich wäre bereit, Abstriche zu machen, wenn ich wüsste, wofür“, sagt eine andere. Um den Beitrag der 13 500 verbleibenden Mitarbeiter wird es bei den Verhandlungen zwischen Verdi und Geiwitz in der kommenden Woche ebenfalls gehen.

Anton Schlecker geben die Berliner Mitarbeiterinnen nicht die Schuld an der Misere des Unternehmens. „Bei dem Preiskampf, den die anderen Discounter machen!“, ruft eine Kollegin aus. „Ich habe Anton Schlecker kennengelernt, er ist sehr nett“, sagt sie. Das gelte auch für die Kinder, Meike und Lars. Eine weitere Kollegin kommt hinzu und spricht über das „besondere Miteinander bei Schlecker“. Tatsächlich haben viele der Frauen jahrelang gemeinsam gekämpft, für bessere Arbeitsbedingungen, Betriebsräte, Tarifverträge. Was sie sich wünschen, falls sie bleiben können und es weitergeht? „Dass die Filialen endlich modernisiert werden“, sagt eine Kollegin. „Und dass das Unternehmen wieder ins rechte Licht gerückt wird.“

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