Die wirtschaftlichen Folgen der Krim-Krise: Russland ist mächtig, Europa ist mächtiger
Im Ukraine-Streit rücken allmählich Sanktionen näher. Moskau hat in dem Poker allerdings die schlechteren Karten, denn die Russen haben fast nur Rohstoffe zu bieten.
Produkte aus Deutschland sind in vielen Ländern beliebt. Autos, Maschinen, Chemikalien oder Medikamente, die Klassiker der Bundesrepublik, finden vielerorts reißenden Absatz. Auch im Iran, in Nordkorea, Weißrussland, Guinea oder Syrien würde man gerne mehr Waren „Made in Germany“ kaufen. Allein: Der Bund hat etwas dagegen. Diese Länder – und noch einige mehr – stehen auf der deutschen Embargo-Liste, der Handel mit ihnen ist streng limitiert. Womöglich kommt bald ein weiterer Staat hinzu: Russland. Die Folgen wären weniger gravierend, als derzeit viele fürchten – zumindest für die deutsche Wirtschaft.
„Spätestens am Montag“ will Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) neue Sanktionen der EU beschließen – jedenfalls dann, wenn Moskau am Sonntag das Referendum über die Zukunft der Krim durchführen lässt. Bislang haben die Europäer nur Gespräche über Reiseerleichterungen und ein Grundlagenabkommen auf Eis gelegt. Die nächste Stufe wären Reiseverbote für bestimmte Personen und das Einfrieren von Vermögen, am Ende stünde laut Angela Merkel „eine breite Palette wirtschaftlicher Maßnahmen“. Was die Bundeskanzlerin damit meint, hat sie bislang nicht präzisiert.
Russland steht auf Rang elf der wichtigsten deutschen Handelspartner
Deutschlands Handel mit Russland ist nicht unbedeutend. Das Volumen liegt bei 76 Milliarden Euro, 6200 deutsche Firmen sind beteiligt. Russland steht auf Rang elf der wichtigsten deutschen Handelspartner. Beschränkungen würden beide Seiten aber unterschiedlich treffen. „Ein Handelskonflikt wäre für Deutschlands Wirtschaft schmerzhaft, für die russische Wirtschaft existenzbedrohend“, sagte am Mittwoch Anton Börner, Präsident des Außenhandelsverbandes BGA.
Russen haben fast nur Rohstoffe zu bieten
Der Grund: Die Deutschen liefern viele oft alternativlose Industrieprodukte. Die Russen haben fast nur Rohstoffe zu bieten. 100 Millionen Dollar pro Tag nimmt das Land durch den Verkauf von Öl und Gas ein. Ein Wegfall „würde dem russischen Staatshaushalt einen erheblichen Schlag versetzen“, sagte Börner. Für den deutschen Energiebedarf wäre es keine Katastrophe, würde das russische Gas versiegen. Die Speicher reichen nach dem milden Winter für Monate, und es gibt noch andere Lieferanten. Allerdings: Länder wie Algerien oder die Golfstaaten sind auch keine Vorzeige-Demokratien, und viele Nachbarn Deutschlands verfügen über weitaus geringere Gas-Reserven. Steigende Energiepreise wären zudem sicher, ebenso Finanzmarkt-Turbulenzen, fürchtet Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.
Vor einem Verzicht auf das Gas stünde aber wohl ein anderer Schritt der EU, der die Oligarchen treffen würde – Finanzsanktionen und Einreiseverbote. Viele Superreiche haben ihr Geld im Ausland geparkt, besitzen dort Immobilien oder schicken ihre Kinder auf Schulen im Westen.
Russland mit 143 Millionen Menschen der fünftgrößte Absatzmarkt der Erde
Und umgekehrt? Moskau ist auch jenseits seiner Energie-Vorräte wichtig. Das Land mit den 143 Millionen Menschen ist der fünftgrößte Absatzmarkt der Erde. Deutsche Firmen, Volkswagen und BMW etwa, haben dort 20 Milliarden Euro investiert. Enteignungen könnten teuer werden. Die Finanzbranche sieht die Gefahr russischer Reaktionen aber gelassen. Ende 2013 hätten deutsche Banken offene Forderungen von 885 Millionen Euro in Russland gehabt, sagte Bankenverbands-Präsident Jürgen Fitschen der „Zeit“. „Das wirft niemanden um.“
Gleichwohl sind Sanktionen kein Allheilmittel, warnt Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Nordkorea, Zimbabwe oder Syrien zeigen, dass auch jahrzehntelange Maßnahmen nicht zum Ziel führen können“, sagte er dem Tagesspiegel. Zumal sie oft unerwünschte Konsequenzen hätten – sie schädigten Bevölkerungsgruppen, die man nicht treffen will, und gäben regimenahen Kräften die Chance, sich zu bereichern. Perthes rät: „Sanktionen wirken, wenn sie smart sind und gezielt einzelnen Personen wehtun.“ Ein umfassendes Embargo dagegen wäre hanebüchen. „Russland ist zu groß, das funktioniert allenfalls beim Iran.“ Zumal seien derlei Maßnahmen kein Selbstzweck. „Sanktionen können immer nur Hilfsmittel der Diplomatie sein.“