Schutz vor Gesundheitsgefahren: Restrisiko im Supermarkt
Die Verbraucherorganisation Foodwatch warnt vor neuen Lebensmittelskandalen und fordert eine Generalreform des Lebensmittelrechts
53 Menschen starben im Frühjahr 2011 in Deutschland an einem aggressiven Darmkeim. Mehr als 3800 weitere erkrankten teils schwer, blutige Durchfälle und Nierenversagen waren die Folge. Schuld an der Ansteckungswelle war die bakterielle Verunreinigung von Obst und Gemüse, die als EHEC-Krise bekannt wurde.
Die Toten der EHEC-Krise seien vermeidbar gewesen, meint die Verbraucherorganisation Foodwatch jetzt. In einem umfassenden Bericht über die Schwachstellen des Lebensmittelrechts, den die Organisation am Montag vorgelegt hat, heißt es, dass „direkte und gefährliche Kontaminationen von Lebensmitteln selten geworden sind“, vermeidbare Gesundheitsrisiken aber durchaus noch auftreten würden. Die EHEC-Krise, Listerien-Infektionen durch Käse, an denen im Jahr 2010 acht Menschen in Deutschland und Österreich starben, sowie der Fipronil-Skandal im vergangenen Jahr, bei dem mit dem Insektizid Fipronil belastete Eier in 45 Länder exportiert worden sind, seien Beispiele dafür.
EU- und nationales Recht müssen reformiert werden, meint Foodwatch
Nach einer Prüfung der bestehenden Rechtslage war die EU-Kommission Anfang des Jahres zu dem Ergebnis gekommen, dass die EU-Lebensmittelbasisverordnung hohen Schutz der Verbraucher gegen Gesundheitsgefahren und Täuschung gewährleiste. Das bezeichnete Martin Rücker, der Vorsitzende von Foodwatch Deutschland, als „absurd“ und sprach von „Realitätsverweigerung“. Seine Organisation warf Ernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) vor, beim „Schutz der Verbraucher vor Täuschung und Gesundheitsgefahren“ zu versagen. „Wir erwarten, dass sie eine Debatte über eine Generalreform des europäischen Lebensmittelrechts anstößt“.
Foodwatch sieht besonderen Handlungsbedarf bei der Rückverfolgbarkeit von Lebensmittelketten. So müsste es Behörden ermöglicht werden, Warenströme nachzuverfolgen, um gesundheitsgefährdende Produkte schneller identifizieren und vom Markt nehmen zu können. Zudem fordert Foodwatch, dass Verbraucher über Verstöße gegen das Lebensmittelrecht umfassender informiert werden. Bis heute sei beispielsweise unklar, welche Produkte etwa beim Pferdefleischskandal (2013) statt Rindfleisch Pferdefleisch enthielten. Foodwatch fordert die Gesetze so anzupassen, dass Behörden sowohl Produkte als auch die Namen der Hersteller öffentlich machen müssen.
Ministerium weist Vorwürfe zurück
Hermann Onko Aeikens, Staatssekretär des Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, wies die Vorwürfe der Verbraucherorganisation in einer Pressemitteilung zurück. "Es ist nicht Aufgabe der Lebensmittelbehörden, die Rückverfolgbarkeit der Warenströme in der EU sicherzustellen", so Aeikens. Ganz bewusst sehe das EU-Recht hier die Lebensmittelunternehmen in der Pflicht. "Die zuständigen Lebensmittelbehörden in den Ländern wiederum sind dazu berufen, die Einhaltung der entsprechenden Rechtsvorschriften durch die Unternehmen zu kontrollieren, zu überwachen und mögliche Verstöße zu sanktionieren", sagte Aeikens. Auch die Information der Verbraucher sei in Deutschland gewährleistet.
Klöckner solle neben den Informationsrechten allerdings auch die Klagerechte der Verbraucher stärken, forderte Rücker darüber hinaus. Dafür brauche es ein Sammelklagerecht sowie ein Verbandsklagerecht, mit dem Verbraucherverbände juristisch gegen Behörden und Unternehmen vorgehen können, wenn diese gegen Gesetze verstoßen. Das neue Instrument der Musterfeststellungsklage, das Diesel-Fahrern ermöglichen soll, Ansprüche gemeinsam durchzusetzen, sei ungeeignet im Lebensmittelsektor, meint man bei Foodwatch. Denn der Preis für ein einzelnes Produkt, an dem sich der Streitwert orientiere, sei einfach zu gering. Zudem sei es häufig unmöglich nachzuweisen, dass eine Erkrankung tatsächlich auf den Verzehr eines bestimmten Lebensmittels zurückzuführen sei.
Leonhard Rosenauer