Studie der Bertelsmann-Stiftung: Rentenpläne der Regierung helfen kaum gegen Altersarmut
In 20 Jahren könnte mehr als jeder fünfte Rentner von Armut bedroht sein. Die geplante Grundrente würde daran laut Studie wenig ändern.
Ideen für eine sichere Versorgung im Alter gab es in den vergangenen Monaten viele: So hat die Bundesregierung eine sogenannte Haltelinie für das Rentenniveau eingeführt, die Mütterrente wurde ausgeweitet. Außerdem sollen die Renten in Ost und West angeglichen werden. Allzu viel bringen wird das offenbar nicht. Das Risiko der Altersarmut steige weiter, warnt jetzt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Laut dessen aktueller Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung könnte in 20 Jahren mehr als jeder fünfte Rentner zu wenig Geld zum Leben haben.
Bereits heute sind demnach 16,8 Prozent aller älteren Menschen in Deutschland von Armut bedroht. Darunter fallen jene mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens, also Rentner mit einem Nettoeinkommen von unter 905 Euro im Monat. In Zukunft könnte es vor allem Geringqualifizierte und Alleinstehende treffen, prognostizieren die Forscher. Das zeigen ihre Erhebungen zu Anspruchsberechtigten von Grundsicherung – dem staatlichen Sicherheitsnetz. Bei diesen beiden Gruppen ist das Risiko, trotz Rente noch auf staatliche Hilfe angewiesen zu sein, demnach fast doppelt so hoch wie im Durchschnitt.
Ändert sich nichts an der gegenwärtigen Rentenpolitik, so könnten im Jahr 2039 rund 21 Prozent der Personen ohne Berufsschulabschluss zusätzlich Grundsicherung beziehen. Derzeit haben von ihnen rund 16 Prozent einen Anspruch auf die staatlichen Hilfen. Betroffene müssten deshalb noch besser in Arbeit gebracht werden, schlagen die Autoren der Studie vor.
Bei alleinstehenden Frauen würde die Grundsicherungsquote im selben Zeitraum von zwölf auf fast 20 Prozent klettern. Und auch die Situation von ostdeutschen Rentnern könnte sich drastisch verschlechtern. Liegt die Quote der Anspruchsberechtigten in Ostdeutschland mit aktuell 6,5 Prozent noch deutlich unter dem Niveau in Westdeutschland, könnte sie sich in den kommenden zwanzig Jahren nahezu verdoppeln.
Hinzu kommt: Eine mögliche Rezession der deutschen Wirtschaft haben die Forscher in ihren Berechnungen noch gar nicht berücksichtigt. „Selbst bei einer positiven Arbeitsmarktentwicklung müssen wir mit einem deutlichen Anstieg der Altersarmut rechnen“, sagt Christof Schiller, Arbeitsmarktexperte der Bertelsmann Stiftung.
Streit über Bedürftigkeitsprüfung
Die Bundesregierung will das verhindern und arbeitet derzeit an ihrem Konzept zur Grundrente. Darauf hatten sich Union und SPD bereits im Koalitionsvertrag geeinigt, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte im Frühjahr die Details seiner Reformpläne vorgestellt. Wer demnach mindestens 35 Jahre lang Beiträge in die Rentenkasse einbezahlt hat, aber trotzdem nur eine geringe Rente erhält, soll diese künftig aufgestockt bekommen.
Doch an der Umsetzung hakt es. Die beiden Koalitionspartner streiten darum, ob die Grundrente von der Bedürftigkeit seiner Bezieher abhängig gemacht werden soll. Geht es nach den Sozialdemokraten, dürften Bezieher alle weiteren Einkünfte etwa aus der Riester-Rente oder Mieteinnahmen behalten. Die Union will dieses Geld hingegen auf den Grundrentenbetrag anrechnen lassen. Eine Arbeitsgruppe soll nun eine Lösung ausverhandelt.
Grundrente hätte nur kleinen Effekt
Sollte sich Arbeitsminister Heil mit seinen Plänen zur Grundrente durchsetzen, würde das nach Ansicht der DIW-Forscher den Anstieg der Altersarmut aber kaum bremsen. Zwar ließe sich das Risiko bis 2039 um wenige Prozentpunkte reduzieren. Die Reform sei aber nicht sehr zielgenau, erklärt DIW-Studienautor Johannes Geyer. So würden auch viele Rentner profitieren, deren Einkommen deutlich oberhalb des Grundsicherungsmodells liegt – und die Aufstockung eigentlich gar nicht bräuchten.
Kritiker der Rentenpläne von Heil sehen sich durch die Studienergebnisse bestätigt. „Das Konzept schüttet Geld mit der Gießkanne aus und geht größtenteils an den bedürftigen Menschen vorbei“, sagt der rentenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion Johannes Vogel. Die Liberalen fordern stattdessen, einen Teil der Rentenansprüche in der Grundsicherung im Alter von der Anrechnung freizustellen.
Forscher schlagen Nachbesserungen vor
Auch die Autoren der Studie regen Nachbesserungen an. So könnte das Konzept von Heil um eine Einkommensprüfung ergänzt werden. Das soll sicherstellen, dass tatsächlich nur einkommensschwache Haushalte ihre Renten aufgestockt bekommen. Zudem schlagen die Forscher vor, auch flexiblere Versicherungszeiten statt der strikten 35 Beitragsjahre anzuerkennen. Schließlich seien die Lebensläufe der Beschäftigten immer vielschichtiger, viele Menschen hätten zwischendurch häufiger versicherungsfreie Zeiten.
Die Maßnahmen hätten noch einen weiteren Vorteil : Auch die Kosten der Reform ließen sich reduzieren, behauptet das DIW. Die gegenwärtigen Pläne von Heil würden Berechnungen zufolge im ersten Jahr rund sieben Milliarden Euro zusätzlich verschlingen. Das könne vor allem im Hinblick auf die demografische Entwicklung zu einem entscheidenden Faktor werden. In den kommenden 20 Jahren geht unter anderem die sogenannte Babyboomer-Generation in Rente. Das dürfte die Kassen ohnehin schon vor eine große Belastungsprobe stellen.