Deutsche Bahn: Rekorddefizit und nicht nur wegen Corona
Die Bahn macht 5,7 Milliarden Euro Verlust. Analysten bezweifeln, dass dafür primär die Corona-Pandemie verantwortlich ist. Schlimm ist die Lage bei Arriva.
Berlin - Für den Vorstand der Bahn kommt am Donnerstag der Moment der Wahrheit. Auf der Bilanzpressekonferenz muss Vorstandschef Richard Lutz darlegen, welche Folgen die Corona-Pandemie für den Staatskonzern hat. Die wichtigsten Kennzahlen sind bereits in der vergangenen Woche an die Öffentlichkeit gelangt.
Im vergangenen Jahr machte die Deutsche Bahn 5,7 Milliarden Euro Verlust. Das Minus liegt damit eine Milliarde höher, als Ende 2020 erwartet. Die Verbindlichkeiten steigen auf 29 Milliarden Euro. Für gut vier Milliarden Euro, und damit einen Großteil des Verlusts, macht der Konzern die Corona-Pandemie verantwortlich.
Diese Zahl verblüfft. Denn im Dezember schätzte die Bundesnetzagentur schätzte den Pandemie-Schaden der gesamten Eisenbahnbranche für 2020 auf nur auf 2,5 Milliarden Euro. Wie hoch der pandemiebedingte Verlust bei der Bahn wirklich ist, hat für den Konzern eine entscheidende finanzielle Bedeutung.
Wie schädlich war Corona wirklich?
Gut 13 Milliarden Euro wird Corona die Bahn in den nächsten Jahren insgesamt Kosten, schätzen DB-Vorstand und der Bund. Als Reaktion darauf hat der Bundestag die Schuldengrenze für den Staatskonzern erhöht. Bis zu 35 Milliarden Euro darf sich die Bahn bis Ende 2021 leihen.
Der Bund will der Bahn darüber hinaus für 2020 aber auch fünf Milliarden Euro direkte Hilfen gewähren, um eine Überschuldung zu verhindern. Die Gelder fließen allerdings nur, wenn die Deutsche Bahn einen konkreten Schaden durch die Pandemie nachweisen kann.
Das zusätzliche Eigenkapital dient auch als Entschädigung für die Verluste im Fernverkehr. In den ICE- und IC-Zügen transportierte die Bahn 2020 nur 81 Millionen Fahrgäste, 2019 waren es noch gut 150 Millionen.
Ihr Angebot strich die Bahn jedoch auf Geheiß der Bundesregierung kaum zusammen, um die Mobilität der Bevölkerung und ausreichend Abstand zu gewährleisten. Eine Eigenkapitalspritze sei jedoch der falsche Weg, kritisiert der FDP-Verkehrspolitiker Torsten Herbst. „Der Bund hätte dafür eine Notvergabe machen müssen.“
Auch die EU-Kommission sieht die Hilfen mit Skepsis, Wettbewerber der Bahn haben Beschwerde eingereicht. Die Auflagen aus Brüssel zum Erhalt des Wettbewerbs will der Bahnvorstand seit Monaten nicht akzeptieren.
Herbst fordert den Bund nun auf, das ganze Verfahren abzubrechen. Stattdessen könne man auch rückwirkend noch die Trassenpreise senken, sagt er. Die sei eine wettbewerbsneutrale Hilfe für den gesamten Eisenbahnsektor.
Bundesregierung lässt Bahnvorstand gewähren
Doch dazu wird es wohl nicht kommen. Die Bundesregierung schaut dem Kleinkrieg des DB-Vorstands mit der EU-Kommission seit Monaten weitgehend tatenlos zu, obwohl der Bahnbeauftragte Enak Ferlemann im Verkehrsausschuss mehrfach durchblicken ließ, dass er die Bedingungen aus Brüssel für akzeptabel hält. Der CDU-Politiker kündigte zugleich an, bei den von der Bahn angegebenen Corona-Schäden genau hinzuschauen.
Der Bahnexperte Christian Böttger kann sich die von der Bahn angegebenen vier Milliarden kaum erklären. Beim operativen Ergebnis vor Steuern und Zinsen habe die Bahn „nur“ einen Verlust von drei Milliarden Euro erlitten, sagt der Wirtschaftswissenschaftler. Böttger fragt sich mit Blick auf die bereits bekannten Kennzahlen, wo die zusätzliche Milliarde Corona-Verlust herkommen soll.
Wegen der Niedrigzinsen musste die Deutsche Bahn eine zusätzliche Pensionsrücklage von 1,1 Milliarden Euro bilden. Mit Corona hat das ebensowenig zu tun, wie eine Wertbereinigung bei der Auslandstochter Arriva.
Die britische Regierung entzog Arriva im Januar 2020 das Recht, den Zugverkehr im Northern-Rail-Franchise zu betreiben, wegen einer unterdurchschnittlichen Betriebsqualität. Weil ein Verkauf von Arriva scheiterte, belastet deshalb nun eine Abschreibung von 1,4 Milliarden Euro die Bilanz.
Zukäufe wie Arriva haben der Bahn in den vergangenen Jahren insgesamt kein Glück gebracht. Viele Tochterfirmen des Konzerns seien obskur, sagt FDP-Politiker Herbst. „Allein im Geschäftsbereich von Arriva finden sich ein Ambulanzdienst auf Zypern, eine Energieagentur in Portugal, eine Catering-Firma in Großbritannien und eine Genossenschaftsbank im italienischen Aosta-Tal.“
Die Deutsche Bahn habe sich im Ausland völlig verzettelt. „Die Bahn fährt nun in einem ganz hohen Tempo auf den finanziellen Abgrund zu“, sagt Herbst. Er will den Konzern deshalb zerlegen. Das Netz möchte die FDP in staatliche Hand überführen und die Auslandsbeteiligungen und das Fahrgeschäft privatisieren.
Nach der Bundestagswahl wird eine Bahnreform debattiert
Für eine Trennung von Netz und Fahrgeschäft hat sich auch die Bundestagsfraktion der Grünen im Dezember in einem Positionspapier ausgesprochen. Doch das Konzept löste viel Kritik aus. Die Eisenbahnergewerkschaft EVG, die bei der Deutschen Bahn eine nicht zu unterschätzende Hausmacht hat, kündigte erbitterten Widerstand an.
In der Grünen-Parteizentrale wurde dies genau registriert. Im Wahlprogramm der Grünen taucht die Trennung von Netz und Betrieb deshalb nicht mehr explizit auf. Stattdessen heißt es lediglich, dass der Bahn-Konzern transparenter und effizienter werden solle.
Doch über eine Neustrukturierung der Bahn wird nach der Bundestagswahl gesprochen werden. Über 600 Tochterunternehmen machen das Management des Konzerns nahezu unmöglich.
Lukrativ wäre vor allem eine Veräußerung von Schenker. Der Logistiker hat im Corona-Jahr 2020 vom Luftfracht-Boom profitiert und ordentlich Umsatz gemacht. Bis zu acht Milliarden Euro könnte eine Verkauf bringen, schätzen Marktbeobachter:innen. Geld, das für die Verkehrswende und die kriselnde Bahn dringend benötigt wird.
Mit einem Schenker-Verkauf würde der Bahnkonzern zudem ein Drittel kleiner und damit viel besser steuerbar. Bei der Besetzung des Vorstands schafft die Bundesregierung nun allerdings noch vor der Wahl im September Fakten.
Bahnchef Richard Lutz und die Vorstände Ronald Pofalla (Infrastruktur) und Berthold Huber (Personenverkehr) erhalten eine Vertragsverlängerung. Der gesamte Vorstand erhält zudem zehn Prozent mehr Gehalt – wenn auch erst ab 2023. Das wird der Aufsichtsrat am Mittwoch beschließen.