Berlins scheidender Messechef: Raimund Hosch: "Das ICC muss nicht vergammeln"
Raimund Hosch stand über 14 Jahre an der Spitze der Berliner Messe ICC und zieht im Tagesspiegel-Interview Bilanz.
Herr Hosch, wie waren die vergangenen 14 Jahre als Berliner Messechef?
Spannend und lehrreich. Immer wieder war Fantasie erforderlich, um das Unternehmen auch über Umwege zum Erfolg zu führen.
Was war schwieriger: Das eigentliche Geschäft oder der Umgang mit der Politik?
Eher die politischen Rahmenbedingungen. Das liegt auch daran, dass sich Politiker schwer tun, die Situation eines im Wettbewerb stehenden Unternehmens zu sehen. Und wir als Geschäftsführung können nicht jede Entscheidung so transparent machen, wie sich die Politiker das wünschen, weil wir eben im Wettbewerb stehen. Hinzukommt in Berlin die äußerst komplexe Grundstücksfrage.
Inwiefern?
Bis 1999 hat das Land Berlin auf dem Messegelände alles gebaut und die Instandhaltungsmaßnahmen finanziert. Dabei wurde allein für die neuen Hallen im Südbereich eine Milliarde Euro ausgegeben. Doch nach 1999 hat sich das Land zurückgehalten, obwohl das Gelände nicht fertig war und wir einen neuen Südeingang bauen mussten, um die Hallen überhaupt vernünftig zu erschließen.
Sie wollten 2002 die Flächen und Hallen im Landesbesitz belassen und das Messegeschäft an einen Finanzinvestor verkaufen. Warum hat das nicht geklappt?
Weil die Vorbehalte zu groß waren. Wie überhaupt Public-Private-Partnership in Berlin kaum möglich ist. Anders als in Frankfurt, wo wir in den 90er Jahren solche Projekte realisieren konnten, die in Berlin unvorstellbar sind.
Zum Beispiel?
Wir haben dort beispielsweise einem Investor ein Grundstück für 75 Jahre erbpachtzinsfrei zur Verfügung gestellt, auf das er dann ein Hotel und ein Kongresszentrum gebaut hat. Das Hotel gehört ihm, das Kongresszentrum der Messegesellschaft – alle Beteiligten profitieren.
Warum ging das nicht in Berlin?
Ich verstehe das bis heute noch nicht.
Haben Sie eine Erklärung für das Scheitern der Hoteltürme auf dem Hammarskjöldplatz sowie gegenüber dem ICC?
Dafür gibt es viele Gründe. Denkmalschutz, Parteien, Bezirk und Senat – irgendeiner hatte immer etwas dagegen. Auch der damalige Senatsbaudirektor Stimmann, der mir erklärte, dass die Traufhöhe in Charlottenburg-Wilmersdorf maximal sechs Stockwerke erlaubt. Das kannte ich aus Frankfurt nicht, denn Hochhäuser sind dort Normalität. Ich hatte gedacht, die Türme wären mal etwas Spannendes für Berlin – und bekam eine Riesenklatsche. Die langwierigen Prozesse und die Planungsunsicherheit sind für unternehmerisch geprägte Menschen schon lästig. Zum Beispiel auch beim ICC, dessen spezielle Problematik wir schon 2001 angesprochen haben.
Ihr Lieblingsthema.
Mittlerweile nicht mehr. Aber das ICC Berlin ist schon ein ganz besonderes Gebäude. Die gesamte technische Ausrüstung, unter anderem große Turbinen für den enormen Luftaustausch, hat man in den 70er Jahren in den Keller gebaut und unter einer Betondecke versteckt. Die müssen aber irgendwann ausgetauscht werden – wofür die Bodenplatte aufgerissen werden muss. Bei laufendem Betrieb ist das nicht möglich, doch die Politik glaubte das viele Jahre.
Sie mochten das ICC nie, weil es angeblich nicht wirtschaftlich zu betreiben ist.
Das ist so nicht richtig. Weniger als zehn Prozent der Flächen sind tatsächlich vermarktbar. Doch das Gebäude ist wirklich weltweit einmalig und inzwischen eine eigene Marke. Aber unter der Oberfläche ist eben alles marode, und das hat dazu geführt, dass wir in den vergangenen Jahren etwa fünfmal so viel Geld in das ICC stecken mussten wie normalerweise üblich. Grundsätzlich war es all die Jahre nicht einfach, zwei Dinge unter einen Hut zu bringen: der Politik klar machen, dass dringender Sanierungsbedarf besteht, und gleichzeitig das ICC positiv am Markt platzieren, weil es natürlich ein Unikat ist. Aber ein Unikat, das heute nicht mal mehr ein Scheich bauen würde.
Hoschs Credo: Bestehendes erhalten.
Was würden Sie mit ICC machen?
Erst mal: Wir wollten das ICC nie abreißen, weil die Abrisskosten extrem hoch sind. Mein Credo ist, Bestehendes zu erhalten, umzuwandeln und einer sinnvollen Nutzung zuführen. Und so wollten wir andererseits einen attraktiven, wirtschaftlich vernünftig betreibbaren Neubau, der besser geeignet ist für Kongresse. Für das ICC Berlin hingegen braucht man einen Investor, dem eine alternative Nutzung einfällt. Wir hatten einen Investor, der sechs Hauptebenen einbauen wollte und die nutzbare Fläche deutlich erhöht hätte. Die Frage war nur: Bekommt er das ICC umsonst oder übernimmt das Land wenigstens die Asbestsanierung?
Und?
Daraus ist nichts geworden. Auch wegen folgender Problematik: Es gibt vermutlich nur drei bis fünf Investoren in ganz Europa, die wissen, wie man ein solches Gebäude vermarkten und umgestalten kann. Keiner wird aber eine detaillierte Studie für ein oder zwei Millionen Euro erarbeiten, in der steht, was er alles vorhat. Die Studie gibt es nur, wenn sicher ist, dass er das Gebäude auch bekommt. Das zweite Problem ist die Nutzung, wenn die Politik bestimmte gewerbliche Nutzungen ausschließen will, zum Beispiel ein Möbelhaus oder andere Handelsgeschäfte, weil diese dann eventuell den Ku’damm gefährden könnten.
Also bleibt das Haus leer und vergammelt.
Das muss nicht sein, denn das ICC ist in einer absolut perfekten Verkehrslage mit drei Autobahnen und einer S-Bahn vor der Tür. Man könnte die Parkhauskapazität erhöhen und im Gebäude mit einer Fläche von 70 000 bis 90 000 Quadratmetern auch wirtschaftlich arbeiten. Bei dieser Größenordnung, das sind 10 000 bis 30 000 Quadratmeter mehr als das Kadewe, braucht man aber zwei, drei Ankermieter, um die herum dann Einzelhandel und Entertainment angesiedelt würden. So könnte es funktionieren.
Ihnen kann das egal sein, die Messe bekommt nun mit dem City-Cube ein neues Kongresszentrum.
Tatsächlich ging das nach den Wahlen 2011 überraschend schnell. Weil inzwischen auch allen klar war, dass wir während der ICC-Sanierung dort keine Kongresse durchführen können. Wir haben dann scharf kalkuliert und bauen jetzt den City-Cube mit allen Kongressfazilitäten für rund 80 Millionen Euro. Im ersten Quartal 2014 sind wir fertig und haben dann gut 12 000 Quadratmeter zur Verfügung. Und nicht ein einziger Kongress geht uns durch den Umzug vom ICC in den City-Cube verloren, wir sind sogar für die nächsten Jahre so gut wie ausgebucht.
Der City-Cube ist dann Ihr Denkmal.
Es gibt auch noch Selchow, unser Messegelände am Flughafen BER mit gut 21 000 Quadratmetern neuer Hallenfläche, wo wir das Gelände für 27 Millionen Euro hergerichtet und für weitere 17 Millionen Euro Hallen gebaut haben. Die brauchten wir auch dafür, um die Internationale Luftfahrtausstellung ILA zu retten. Aber nicht nur. Wenn der Flughafen am Netz ist, werden dort eine ganze Reihe neuer Veranstaltungen etabliert.
Draußen auf der Wiese?
Direkt am Flughafen ist der Standort prädestiniert für internationale Unternehmen, die in Europa Schulungen durchführen oder neue Produkte vorstellen. Nehmen Sie ein internationales Unternehmen, das seinen 6000 Händlern ein neues Produkt präsentieren möchte. Die Leute kommen nach Berlin geflogen, gehen zur Veranstaltung und anschließend in die attraktive City. Da gibt es ein großes Potenzial – wenn der Flughafen in Betrieb ist. Wir haben schon ohne Eröffnung des BER eine gute Nachfrage, die aber erst zum Geschäft wird, sobald der Flughafen offen ist. Bis dahin entgeht uns jedes Jahr ein Millionenertrag.
Ist mit Selchow und dem City-Cube die Expansion der Messe abgeschlossen?
Beim Flughafen könnten wir problemlos erweitern. Und wenn wir hier unterm Funkturm noch eine Halle bräuchten, vielleicht in fünf Jahren, dann wäre Platz im Südwesten des Messegeländes für weitere 10 000 Quadratmeter. Vor allem die ITB, die IFA und die InnoTrans könnten mittelfristig mehr Raum brauchen.
Vor gut zehn Jahren haben Sie eine Prognose gewagt. Der Umsatz der Messe könne sich bis 2012 auf 220 Millionen Euro fast verdoppeln. Tatsächlich waren es 247 Millionen Euro. Wie konnten Sie sich so irren?
In der Tat war ich sehr optimistisch, aber lag positiv daneben, wenn man bedenkt, dass der deutsche Messemarkt seit 2001 leicht geschrumpft ist. Aber die Messe Berlin konnte in der Zeit ihren Umsatz um 131 Prozent erhöhen. Und unsere Ertragskraft wurde dabei auch immer besser. Zur Finanzierung des City-Cube haben wir von den Banken 45 Millionen Euro mit einem AAA-Rating bekommen – wegen unserer guten Performance.
Was wird bloß aus der Messe ohne Sie?
Keine Sorge, das Unternehmen ist in guten Händen. Und ich selbst weiß mich zu beschäftigen. Beispielsweise habe ich ein paar Start-up-Ideen. Und es gibt Personalberater, die mit mir zusammenarbeiten wollen. Vielleicht auch deshalb, weil ich inzwischen gelernt habe, wie Politiker ticken.
Das Gespräch führte Alfons Frese.
Zur Person: Raimund Hosch (64) geht Ende Juni in den Ruhestand. Er war seit 1999 Chef der Messe Berlin und kam von der Messe in Frankfurt am Main. Zuvor hatte er eine Softwarefirma mit gegründet. Nachfolger wird Christian Göke, bisher zweiter Mann der Messe. Die landeseigene Gesellschaft erwirtschaftete mit gut 700 Mitarbeitern zuletzt einen Jahresumsatz von 247 Millionen Euro. Am heutigen Montag feiert die Messe Richtfest des neuen Kongresszentrums City-Cube an dem Ort, wo früher die Deutschlandhalle stand.